Berlin. Statt Kaffeesatz liest Historiker Allan Lichtman Bücher – und gibt Vorhersagen zur Präsidentschaftswahl. Wen sieht er im Weißen Haus?
Harris – oder Trump? Zwar ist die US-Vizepräsidentin noch nicht offiziell Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. Es ist aber so gut wie ausgeschlossen, dass die Partei jemand anderen auf das „Ticket“ schreibt. So darf man sich durchaus guten Gewissens die Frage stellen, wer von den beiden das Rennen ins Weiße Haus wohl gewinnen mag.
Allein auf die Umfragen zu schauen, hilft dabei nur bedingt weiter. Die vielen Meinungsforschungsinstitute in den USA sehen mal den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und verurteilten Straftäter Donald Trump vorn, mal die Vizepräsidentin Kamala Harris.
Und allzu oft trennen die beiden ohnehin nur ein paar Prozentpunkte, was eingedenk der Fehlerquote bei Umfragen eine Vorhersage über den Ausgang der US-Wahl weiter erschwert. Also doch in die Kristallkugel schauen? Kaffeesatz lesen? Ein Orakel befragen? Letzteres kann im Falle der USA tatsächlich Antworten liefern, und dazu noch ziemlich treffsichere.
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Denn das Wahlorakel der USA schlechthin ist der Historiker Allan Lichtman – und der hat in den vergangenen 40 Jahren jede Präsidentschaftswahl richtig vorhergesagt, mit einer Ausnahme. Im Jahr 2000 hatte Lichtman auf Al Gore getippt, der seine Präsidentschaft am Ende vor Gericht gegen George W. Bush verlor. Die Trefferquote des 77-Jährigen ist beeindruckend, hat ihm den Spitznamen „Amerikas Nostradamus“ eingebracht und kommt nicht von ungefähr.
Orakel mit System
Für seine Vorhersagen schnüffelt Lichtman nicht etwa am Weihrauchfässchen, er nutzt eine Checkliste mit 13 Schlüsseln. Die werden nicht in einen Kreidekreis geworfen, sondern beschreiben bestimmte Voraussetzungen, die aus Lichtmans Sicht für den Einzug ins Oval Office unumgänglich sind.
Die Checkliste basiert dabei auf einem System, das der Geophysiker Wladimir Keilis-Borok zur Vorhersage von Erdbeben entworfen hat. Sie stellt Ja-nein-Fragen; für jede Frage, die mit Nein beantwortet wird, bekommt der Herausforderer einen Schlüssel. Etwa: Hat die Regierungspartei den Amtsbonus? Die Antwort ist derzeit: nein. Also bekommen die Republikaner den Schlüssel.
Sind sechs oder mehr Fragen mit Nein zu beantworten, verliert die Regierungspartei die Wahl und im Weißen Haus wechseln die Vorhänge.
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Das Überraschende: Während die Demokraten seit dem Kandidaturverzicht Joe Bidens Aufwind verspüren, insbesondere in puncto Kriegskasse, sieht Lichtman die Partei wichtige Schlüssel verlieren. Dem US-Nachrichtenportal „Newsnation“ sagte der Historiker, den Demokraten fehle seit Bidens Verzicht nicht nur der Amtsbonus, sondern auch Charisma. Außerdem habe die Partei ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren, ein weiterer Schlüssel.
Dennoch glaubt der Historiker nicht an einen Sieg der Republikaner im November. Dafür müssten die Demokraten weitere vier Schlüssel verlieren, von denen sechs die Partei derzeit in Händen halte. Dazu zählt Lichtman: kurzfristiger wirtschaftlicher Erfolg, langfristiger wirtschaftlicher Erfolg, weitreichender Politikwechsel, Skandalfreiheit, Einheit der Partei und fehlendes Charisma beim Herausforderer. Und den Amtsbonus könnten die Demokraten sogar zurückerobern – wenn Biden als Präsident zurücktritt und Kamala Harris nachrückt.
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Vier wichtige Schlüssel noch im Spiel
Ganz den Demokraten will Lichtman den Sieg noch nicht zuschlagen. Vier wichtige Schlüssel seien noch im Spiel, etwa der Einfluss eines dritten Kandidaten, die Möglichkeit sozialer Unruhen und ein möglicher außenpolitischer/militärischer Misserfolg beziehungsweise Erfolg. Es sei etwa möglich, dass es im Zuge des Nominierungsparteitags der Demokraten zu Ausschreitungen komme, meint der Historiker.
Auf der anderen Seite könnte der Biden-Regierung noch gelingen, die Hamas-Geiseln freizuverhandeln – oder eben nicht. „Darum bemüht sich Harris gerade um einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln“, sagte Lichtman „Newsnation“. Gelingt das, könnten die Demokraten einen wichtigen Schlüssel erobern.
Wenig beziehungsweise gar keinen Einfluss wird laut dem Historiker dagegen Harris‘ Wahl eines Vizekandidaten haben. „Es gibt keine Beweise dafür, dass die Auswahl eines Vize das Wahlergebnis beeinflusst“, erklärt Lichtman. Entsprechend ist auch egal, ob Trump bei J. D. Vance bleibt oder den mit Kommentaren zu Katzenfrauen in Verruf geratenen Senator austauscht.
Und auch beim überraschenden Dritten sieht Lichtman keine Gefahr. Der beliebteste derzeit ist Robert F. Kennedy Jr. Damit der einen, aus Sicht des Historikers, nennenswerten Einfluss auf die Wahl nimmt, müsste er zehn Prozent der Wählerschaft auf sich vereinen. „Das ist möglich“, so Lichtman, „aber unwahrscheinlich.“
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