Kiew. Er ist enger Berater des ukrainischen Präsidenten. Im Interview sagt Mychajlo Podoljak, wie eine Vermittlung mit Russland klappen kann.

Mychajlo Podoljak ist einer der wichtigsten Berater und Strategen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Entsprechend viel hat der 52-jährige in diesen Tagen zu tun, kurz nachdem Russland einen verheerenden Angriff auf das Kinderkrankenhaus Okhmadyt geflogen hat. Hinzu kommt der Nato-Gipfel in Washington, bei dem es vor allem um die Situation in der Ukraine geht.

Herr Podoljak, Russland hat eine Kinderklinik in Kiew bombardiert. Bei den Vereinten Nationen herrscht Entsetzen...

Mykhaili Podoljak: Der Vorsitz des UN-Sicherheitsrates wird aktuell von Russland geführt. Da wird es schwierig werden, einen Beschluss zu fassen. Der Angriff auf die Kinderklinik war ein gezielter Angriff. Zugleich wurde eine Geburtsklinik in Kiew angegriffen. Nach internationalem Recht wäre es an sich logisch, Russland die Teilnahme an solchen Treffen zu verwehren. Mit Russland am Tisch werden wir keine Ergebnisse sehen.

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Woran misst sich beim Nato-Gipfel für die Ukraine Erfolg?

Wir brauchen einen Moderator, der die rasche Lieferung von Waffen und Munition abwickelt. Wir brauchen dieses System, um all das nicht mit jedem einzelnen Partner abwickeln zu müssen. Zweitens: Es geht hier um das Ansehen der Nato. Die Nato ist eine Allianz freier Staaten. Sie muss mit einem politischen Beschluss klarmachen, dass jedes freie Land ein Nato-Land werden kann. Und dass die Ukraine irreversibel ein Nato-Land sein wird. Es braucht eine klare Position der Nato.

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„Irreversibel“ kann viel bedeuten: In 50 Jahren, in 10 Jahren oder in einem Jahr. Was ist realistisch für die Ukraine?

Das ist keine Frage der Jahre. Es braucht die Garantie. Es braucht eine klare Position: Wenn du ein freies, souveränes Land bist und der Nato angehören möchtest, dann kannst du das auch. Und wenn du dann diese und jene Vorgaben erfüllst, dann hast du auch die Sicherheitsgarantien dieser Allianz. Wenn das nicht kommuniziert wird, ist es ein fatales Signal an Russland oder andere potenzielle Aggressoren.

Sind Sie optimistisch, dass es trotz interner Nato-Streitereien solch klare Ansagen geben wird?

Dass demokratische Staaten auch untereinander ihre Debatten und Konflikte haben, ist normal. Es muss aber nach außen klar gesagt werden: Wenn die Ukraine Mitglied dieser Allianz sein will, dann kann sie das auch. Ungarn oder die Türkei sind dem Bündnis ebenfalls mit eigenen Sicherheitsinteressen beigetreten. Warum sollten sie also unseren Beitritt blockieren? Wir haben auch unsere Sicherheitsinteressen. Wo wäre da die Gerechtigkeit? Aber ich bin optimistisch.

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Der ungarische Premier Orban ist derzeit sehr aktiv: Er reist nach Russland, in die Ukraine, nach China. Hat er all das mit Kiew abgesprochen?

Nein, das ist nicht abgesprochen. Präsident Selenskyj hat sehr klar gemacht, dass Ungarn kein Zwischenhändler sein kann. Er ist EU-Ratsvorsitzender, hat aber kein Mandat. Wir sehen das als technische Reise. Er ist hierher gekommen, und er hat seine sehr eigenartige Position in diesem Krieg klar gemacht: Wir sollen aufhören, uns zu wehren. Dann geht er nach Moskau, trifft Putin und spricht dort über die Kapitulation der Ukraine. Und genau an dem Punkt, an dem er sagt, dass die Ukraine doch das Feuer einstellen soll, beschießt Russland ein Kinderkrankenhaus in Kiew. Das ist keine Initiative. Orban versteht die Natur dieses Konfliktes nicht. Vermittler können nur die EU, China oder die USA sein.

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Im Krisenmodus

Was bedeutet all das für die ukrainische Friedensformel?

Hier geht es um Orbans eigene Interessen. Ungarn hat keine Instrumente in der Hand, um diesen globalen Prozess zu beeinflussen. Daher bleiben wir bei der von uns vorgeschlagenen Formel: der Rückkehr zu internationalem Recht. Auf dieser Basis können wir alle weiteren Fragen besprechen. Es gibt drei Wege zu Frieden: militärisch, mit Sanktionen, um Russland die Ressourcen für diesen Krieg zu nehmen, und durch Isolation Russlands in internationalen Organisationen.

Auch die Türkei hat sich als Moderatorin angeboten. Besteht das Risiko, dass der Ukraine auf diplomatischer Ebene die Initiative entgleitet?

Nein, es geht nicht darum, wie viele Staaten Hilfe oder Vermittlung anbieten. Wir haben ja auch zum Beispiel auf humanitärer Ebene viele Vermittler: die Türkei, Saudi-Arabien, Katar oder den Vatikan. Andere Ebenen sind die politische und die militärische. Die Ukraine leitet diese Prozesse. Die ukrainische Position ist, dass wir uns nach internationalem Recht richten müssen. Russlands Strategie ist es, genau dieses internationale Recht zu brechen.

Sehen Sie Chancen, dass etwa China nach dieser Formel mitarbeiten wird?

Die Frage lautet, ob China eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen will. Vielleicht ist China noch nicht bewusst, dass nicht Russland den Ton angeben muss, sondern China selbst den Ton vorgeben könnte. Peking hat die Chance, ein Schiedsrichter zu sein, diesen Krieg zu beenden und danach eine gewichtige Position in der Weltgemeinschaft zu haben – wenn die Chinesen ihre Karten richtig spielen. Sie müssen sich nicht an Russland orientieren. Aber wenn sie das tun, werden sie gemeinsam mit Russland verlieren. Alle Staaten haben letztlich ein Interesse daran, internationales Recht zu wahren. Eine Kooperation mit Staaten wie Russland oder Nordkorea hat allerdings kein Potenzial.