Brüssel. Ungarns Premier wirbt in Moskau für ein Ende des Ukraine-Kriegs. Unserer Redaktion hat er erklärt, wie er sich die Lösung vorstellt
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat mit einem unangekündigten Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau mitten im Ukraine-Krieg Empörung in der Europäischen Union ausgelöst. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, Orban habe die Gespräche nicht als Vertreter der EU geführt, die Reise ändere nichts an der entschiedenen Politik der EU gegenüber Putin. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stellte klar, dass Ungarn derzeit zwar die rotierende EU-Ratspräsidentschaft ausübe, er sei aber kein Vertreter der Union, sondern sei nur als Vertreter Ungarns unterwegs.
Der Ministerpräsident war am Freitag nach Moskau gereist und dort von Putin empfangen worden, nachdem er am Dienstag in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammengetroffen war und dort für eine Feuerpause im Krieg geworben hatte. „Die Friedensmission geht weiter. Zweiter Halt: Moskau“, sagte Orban zu seiner Reise. „Wenn wir in Brüssel sitzen bleiben, können wir dem Frieden nicht näherkommen.“
Ganz überraschend kommt die Mission nicht: In einem Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion hatte Orban Ende Juni angekündigt, die Beendigung des Ukraine-Kriegs werde ein Schwerpunkt der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft sein. Es sei klar, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine völlig inakzeptabel sei und die Grundsätze der internationalen Beziehungen verletze, sagte Orban. Es müsse jetzt aber darum gehen, „das Töten an der Front zu stoppen“.
Viktor Orban besucht Putin: „Wir haben es nie versucht“
Der Premier schlug vor, dass der US-Präsident gegenüber der Ukraine und Russland die Initiative ergreife und sage: „Hört zu, wir stoppen morgen früh das Töten und verhandeln.“ Dies wäre eine Chance, meinte Orban. Er ließ offen, ob die Ukraine in einer solchen Situation auf Gebiete verzichten müsse, wie es Putin als Bedingung für Friedensverhandlungen verlangt hatte. Man wisse nicht, was passieren würde und was die russische Reaktion wäre: „Wir haben es nie versucht.“
Er betonte, es gehe ihm nicht um die Interessen der Ukraine oder Russlands: Ziel sei es, mit einem Waffenstillstand Spielraum zu gewinnen, um einen Weg zum Frieden zu finden, der für beide Seiten akzeptabel sei und ebenso für Europa. Orban forderte im Gespräch mit unserer Redaktion, Europa müsse sich entscheiden, was sein Ziel für die Unterstützung der Ukraine sein solle. „In diesem Krieg geht es darum, das Recht der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft zu sichern – was Russland absolut ablehnt und der Westen absolut unterstützt. Aber wollen wir eine Nato-Flagge auf der Krim?“
Finnlands Ministerpräsident hält Besuch für verstörend
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zu Orbans Reise: „Nur Einigkeit und Entschlossenheit werden den Weg zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine ebnen“. Der Grünen-Europapolitiker Daniel Freund erklärte Orban zum „russischen Troll“. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo nannte das Vorgehen des ungarischen Premiers verstörend: „Sein Besuch zeigt Missachtung der Aufgaben der EU-Ratspräsidentschaft und untergräbt die Interessen der Europäischen Union.“
Einzig Putin ließ erklären, er sei bereit, mit Orban die „Nuancen“ der Friedensvorschläge zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine zu erörtern. Er wolle sich die Position des ungarischen Premiers zur Ukraine anhören und von ihm die Ansichten der anderen europäischen Partner erfahren.
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