Paris. Kein Lager in Frankreich kommt nach den Wahlen auf eine Regierungsmehrheit. Nun droht womöglich eine institutionelle Blockade.
Rote Fahnen überall: Die Volksfront aus Sozialdemokraten, Grünen, Kommunisten und linkspopulistischen „Unbeugsamen“ feierte das Wahlergebnis am Sonntagabend als „Triumph über die Rechten“. Das sagte Jean-Luc Mélenchon, der Anführer der Partei „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich), der vor den Kameras ein Chanson des legendären kommunistischen Sängers Jean Ferrat anstimmte. Sozialistenchef Raphaël Glucksmann meinte euphorisch: „Gewonnen hat das humanistische Frankreich.“
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Laut Hochrechnungen hat die „neue Volksfront“ – die ihren Namen von der gleichen Allianz in den 1930er Jahren bezog – an die 200 Sitze in der 577-köpfigen Nationalversammlung errungen. Damit liegt sie zur allgemeinen Überraschung vorne – und kann an sich den Anspruch auf die Regierungsbildung erheben.
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Ebenso unerwartet ist das relativ gute Abschneiden des Wahlbündnisses von Präsident Emmanuel Macron, „Ensemble“ (Zusammen). Es könnte auf 160 Sitze kommen. Für den Staatschef ist das Resultat ein kleines Trostpflaster, nachdem er für die Ansetzung von Neuwahlen massiv kritisiert worden war. Allerdings verliert er seinen Premier Gabriel Attal, da die Sitzzahl nicht genügt, die Regierung weiterzuführen. Attal kündigte noch am Wahlabend seinen Rücktritt an. Montag will er ihn offiziell einreichen. Solange Frankreich keine neue Regierung hat, wird er aber im Amt bleiben.
Das kann „mehrere Wochen“ dauern, schätzten Politologen am Sonntagabend. Was in Deutschland üblich ist und sich mit den langen Koalitiosverhandlungen erklärt, stellt für Frankreich ein Novum dar. Kein Premier, keine Regierung, das bedeutet aber auch: Keine Stabiliät, kein Regierungskurs – kurz: Frankreich bleibt im politischen Nebel.
Wahl in Frankreich: RN verpasst absolute Mehrheit – Macronisten haben eines gezeigt
Das rechtsnationale Rassemblement National (RN) hat die vielenorts erwartete absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung mit ungefähr 140 Sitzen deutlich verpasst. Ihr Premier-Kandidat Jordan Bardella betonte zwar zu Recht, dass sein „Rassemblement National“ in der Nationalversammlung so stark sei wie nie zuvor. Ohne Allianzen ist die Partei aber nicht in der Lage, den Regierungsanspruch zu erhaben.
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Dass die Le Pen-Partei ihr Ziel verpasst hat, hat seinen Grund vor allem in den taktischen Absprachen der Le Pen-Gegner. In 50 Wahlkreisen zogen sich Linkskandidaten zugunsten von Macronisten zurück, um einen RN-Sieg in den betreffenden Wahlkreisen zu verhindern. Statt einer Regierungspartei wird das RN nun zur wichtigsten Oppositionspartei. Ihr Fernziel, 2027 mit Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen in den Elysée-Palast einzuziehen, bleibt ungebrochen.
Doch wer wird nun Premier und damit Regierungschef? In der Nationalversammlung hat kein Lager eine regierungsfähige Mehrheit. Die viel befürchtete Blockade mit drei Lagern ist nun Tatsache. Die Wähler wollten es so: Die Lepenisten haben heute vor allem auf dem Land eine breite Wählerbasis. Die Linke mobilisiert in den Städten und kehrt nach siebenjähriger Durststrecke mit einer starken Allianz zurück. Und die Macronisten zeigen, dass es in Frankreich heute ein solides Mittelager gibt, das womöglich über Macron hinaus Bestand haben kann.
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Frankreich hat gewählt: Jetzt bleiben drei Optionen
Der Erfolg des links-grünen Wahlbündnisses in Frankreich bei den Parlamentswahlen hat bei der SPD im Bundestag Erleichterung ausgelöst. „Das Schlimmste wurde vermieden“, sagte, Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der Fraktion, dieser Redaktion. Die Rechtspopulisten um Marine Le Len hätten „keine Aussicht auf eine Regierungsmehrheit“. Präsident Macron sei „politisch geschwächt“, er behalte aber „angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse eine zentrale Rolle“, so der SPD-Politiker.
Allerdings können weder die Lepenisten, Macronisten noch die Linken und Grünen allein regieren. Eine Lösung bestünde darin, dass die gemäßigten, etablierten Parteien eine Koalition bilden. Eine solche Kompromisskultur wie in Deutschland ist den französischen Parteien aber fremd. Der Staatschef, der in Paris de facto die Regierung bildet, hat drei Optionen:
- Möglich ist eine Linkskoalition ähnlich der deutschen, mit einem sozialdemokratischen Premier, der neben Macronisten auch bestandene Sozialisten und Kommunisten berufen würde. Das wäre eine indirekte Belohnung für die Volksfront, die sich in 50 Wahlkreisen zurückgenommen hat, um den Triumph Le Pens zu verhindern. Aber auch der Volkstribun Jean-Luc Mélenchon will Premier werden. Das Problem ist: Er will Macrons emblematische Rentenreform rückgängig machen. Ein Kompromiss scheint da fast unmöglich.
- Macron könnte seinerseits versuchen, eine „Regenbogen-Allianz“ aus allen Interessierten zu bilden – vor allem aber aus seiner Zentrumspartei, dem rechten Flügel der Sozialdemokraten sowie Realo-Grünen. Wie die Grünen-Chefin Marine Tondelier schon letzte Woche sagte: „Wir werden sicherlich Dinge machen müssen, die noch niemand gemacht hat.“ Gemeint ist eine Große Koalition über die Blöcke hinweg.
- Eine dritte Option wäre die Bildung einer „technischen“ Landesregierung aus Spitzenbeamten und Technokraten. Vorbild wäre in dem Fall nicht Deutschland, sondern Italien, wo Ministerpräsidenten wie Mario Monti oder Mario Draghi ähnlich apolitische Equipen anführten. In Paris weiß man aber auch, dass die Draghi-Regierung in Rom 2022 das Regierungsszepter an die Rechtskonservative Giorgia Meloni weitergeben musste. In Paris wartet Le Pen.
Und deren Machtantritt in knapp drei Jahren soll die nächste Regierung in Paris ja verhindern. Diese Mission hat absoluten Vorrang. Die Regierung hat dafür genau tausend Tage Zeit. Bei den Präsidentschaftswahlen von Mai 2027 wird an den Wahlurnen abgerechnet. Und Le Pen wartet vor dem Elysée-Palast bereits auf Einlass.