Paris. Was würden die französischen Rechtsnationalen unternehmen, wenn sie an die Macht kämen? Ihr Wahlprogramm bereitet Experten Sorgen.
Es ist ein Programm wie ein Minenfeld: Jeder Schritt könnte eine politische Explosion auslösen. „Das Wohnsitzrecht wird aufgehoben“ lautet zum Beispiel eine „Sofortmaßnahme“ des Rassemblement National (RN) und ihres Parteichefs Jordan Bardella, der nächste Woche zum Premierminister Frankreichs ernannt werden könnte. Das „droit du sol“, wörtlich „Bodenrecht“ im Unterschied zum „Blutrecht“ der Familienabstammung, ist ein Grundpfeiler der französischen Republik; es verleiht bei der Geburt auf französischem Boden automatisch die französische Staatsbürgerschaft.
Der RN will das auch für Kinder von Migranten gültige Recht schlicht abschaffen. Wie brisant die Absicht ist, zeigt sich darin, dass konservative Präsidenten wie Jacques Chirac schon mit vorsichtigeren Bodenrechtsreformen gescheitert waren. Das „droit du sol“ ist in Frankreich sakrosankt. Jetzt soll es fallen, um die Immigration aufzuhalten.
Weitere „dringende“ Maßnahmen sind laut RN-Programm die verschärfte Ausweisung illegaler Zuwanderer oder die Beschränkung der Familiennachführung. Die unentgeltliche Krankenhilfe AME (l‘aide médicale de l‘état), die für die Rechte ein rotes Tuch ist, weil sie ein Magnet für operationsbedürftige und kranke Ausländer sein soll, wird ersetzt durch eine „lebenswichtige Nothilfe“. Noch so eine politische Mine.
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Frankreich: Ausländer sollen die Zeche für das teure Wahlprogramm zahlen
Die Frage der AME macht klar, dass Ausländer buchstäblich die Zeche für das teure Wahlprogramm des RN zahlen sollen. Die Abschaffung der Krankenhilfe soll laut den Lepenisten gut eine Milliarde Euro einsparen. Dieses Geld soll indirekt mithelfen, eine Kernmaßnahme der potentiellen Regierung Bardella mitzufinanzieren: die Senkung der Mehrwertsteuer auf Treib- und Brennstoffe von 20 auf 5,5 Prozent. Aus dem europäischen Energiemarkt will Le Pen zudem aussteigen, um die Preise für Gas und Strom staatlich subventionieren zu können. Nutznießer wären vor allem Auto fahrende Hausbesitzer auf dem Land – meist RN-Wähler.
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Seriöse Institute wie Montaigne oder Ifrap beziffern die Kosten der Mehrwertsteuersenkung anders als der RN auf über zehn Milliarden Euro. Die Abschaffung der Krankenhilfe würde dazu nur ein Zehntel beitragen. Die Energiepreispläne widersprechen überdies EU-Direktiven. Le Pen sagt leichthin, sie werde sie „neu aushandeln“. Und wenn die EU nicht mitspielt?
Ins Geld geht auch ihre Absicht, die von Präsident Emmanuel Macron vollzogene Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 rückgängig zu machen; in gewissen Fällen will sie sogar auf 60 Jahre zurückgehen. Geschätzter Kostenpunkt: neun Milliarden Euro. Selbst wenn die Macron-Reform Bestand hätte, wird die Rentenversicherung 2024 einen Fehlbetrag von 5,8 Milliarden Euro aufweisen. Mit der Le-Pen-Maßnahme also fast 15 Milliarden.
Bardella behauptet, sein Programm sei durchfinanziert. Er überschätzt allerdings die Einsparungen durch die AME-Abschaffung – und er behauptet, der Kampf gegen den Missbrauch bei den Sozialhilfen werde 50 Milliarden Euro eintragen. Das wirkt ziemlich über den Daumen gepeilt: Der französische Rechnungshof kommt nur auf sechs bis acht Milliarden Euro.
Bardella will deshalb den französischen Beitrag an das EU-Budget um zwei Milliarden kürzen – obwohl das nach EU-Recht frühestens in drei Jahren möglich wäre. Enthält Paris der Europäischen Union schon vorher nationale Beiträge vor, wäre ein schwerer Konflikt mit Brüssel sicher.
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Die Lepenisten verlangen auch freie Hand für protektionistische Maßnahmen zum Schutz der französischen Industrie und Arbeitsplätze. Dieser „wirtschaftliche Patriotismus“ steht ebenfalls in klarem Widerspruch zum EU-Recht. Der RN-Spezialist Jean-Yves Camus denkt, dass sich die Lepenisten an der Regierung auf ihre zwei traditionellen Sündenböcke – die Ausländer und die EU – einschießen werden, um die gravierenden Mängel ihres Wahlprogramms zu kaschieren.
Bardella hat angekündigt, dass er im Herbst einen umfassenden Kassensturz der Finanzlage Frankreichs vornehmen werde, da er sicher sei, dass die Vorgängerregierungen viele Löcher in der Staatsrechnung verheimlichten. Eine solche Buchprüfung ist nichts Neues für Pariser Regierungen; sie wird meist genutzt, um überrissene Wahlversprechen zurücknehmen zu können.
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Expertin: Das ökonomische RN-Programm ist „unterfinanziert und unklar“
Alles in allem nennt die Ökonomin Elvire Guillaud das ökonomische RN-Programm „unterfinanziert und unklar“. Der Pariser Börsenindex CAC 40 hat seit der Verkündung von Neuwahlen sechs Prozent verloren. Der aussagekräftige Zinsunterschied zwischen Frankreich und Deutschland, der sogenannte Spread, hat sich allerdings seit Montag stabilisiert. Vermutlich weil die Wahlchancen der Rechten wie auch der Linkspopulisten von Jean-Luc Mélenchon – er hat ein noch teureres Wahlprogramm – insgesamt gesunken sind.
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Eine politische Mine ist Le Pens Absicht, den öffentlichen Rundfunk zu privatisieren. Die Atomkraft will sie fördern, die nukleare Abschreckung mit niemandem teilen. Zur Außen- und Ukraine-Politik spricht die prorussische RN-Gründerin Le Pen dem Staatspräsidenten die Zuständigkeit ab. Immerhin will sie – anders als ebenfalls bereits verlautet – die deutsch-französischen Rüstungsprojekte nicht mehr ausdrücklich aufgeben.
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