Manheim. Der Energiekonzern RWE will ein kleines Wäldchen bei Manheim roden. Aktivisten halten es aber für ökologisch wichtig.
Von Manheim ist nicht mehr viel geblieben. Die meisten Häuser sind schon dem Erdboden gleichgemacht, ein paar denkmalgeschützte Gehöfte und die alte Kirche stehen noch. Vor dem Geisterdorf klafft die gewaltige Grube des Tagebaus Hambach, in der selbst die gigantischen Braunkohlebagger wie Spielzeuge aussehen. Am Ortsrand von Manheim liegt ein Hain, hier wachsen Eichen und Buchen. Es heißt, die Dorfjugend habe sich früher dort nach Anbruch der Dunkelheit vergnügt. Jetzt sind in das „Sündenwäldchen“ Anti-Kohleaktivisten eingezogen. Der jahrelange Konflikt zwischen ihnen und dem Energiekonzern RWE könnte wieder hochkochen.
Schnee knirscht unter den Schuhen, Sonnenstrahlen tanzen auf dem Laub. Es ist kalt an diesem Morgen. Einige Fahrräder lehnen an den Bäumen, Zelte stehen auf dem gefrorenen Boden, eine Gemeinschaftshütte. In manche Wipfel haben sie in schwindelerregender Höhe Baumhäuser gebaut.
RWE will Sand und Kiese aus dem Boden holen
„Es ist hier sehr ruhig“, sagt Lerche, Mitte 20. Die junge Frau, die ihren richtigen Namen nicht sagen will, lebt seit drei Wochen im „Sündi“, wie sie das gerade einmal sechs Hektar große Wäldchen nennen. „Wälder retten, nicht Konzerne und Banken!“ steht auf einem zwischen die Bäume gespannten Plakat. Etwas mehr als ein Dutzend Menschen haben den Hain besetzt. Wie lange es ruhig bleibt, ist die große Frage.
Das „Sündenwäldchen“ soll gerodet werden, weil RWE in der „Manheimer Bucht“ Sand und Kiese aus dem Boden holen will, um die Böschungen des Tagebaus abzuflachen. So sieht es der neue Hauptbetriebsplan vor. In ferner Zukunft soll die bis zu vierhundert Meter tiefe Kohlegrube zu einem See werden, die Gegend zu einer Naherholungsregion. Die Aktivisten stemmen sich gegen die Pläne. Sie befürchten, dass ohne Not ein ökologisch wertvolles Biotop zerstört wird.
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Es ist das wohl letzte Kapitel in der jahrelangen Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen dem mächtigen Energiekonzern und den Anti-Kohleaktivisten im Rheinischen Braunkohlerevier. Es ist nicht zu erwarten, dass der Konflikt eine Dynamik entwickelt wie die Kämpfe für den Erhalt des Hambacher Forstes und der Siedlung Lützerath, für die zehntausende Menschen mobilisiert werden konnten. Aber der Widerstand wächst.
Am vergangenen Wochenende waren etwa 200 Menschen vor Ort, um gegen die drohende Rodung des Sündenwäldchens zu demonstrieren. Unter den Demonstranten war auch Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Nordrhein-Westfalen. Er bezeichnet das Wäldchen als einen „ökologischen Trittstein“ zwischen dem Hambacher Forst im Westen und dem Naturschutzgebiet Steinheide im Osten.
Im Sündenwäldchen sollen geschützte Tierarten heimisch sein. Die Bechsteinfledermaus, die Haselmaus, über 100 Brutvogelarten sollen es zumindest als Zwischenstation nutzen. Der BUND kämpft deswegen juristisch gegen die Rodungs- und Auskiesungspläne von RWE. Jansen ist überzeugt: „Es gibt Alternativen. RWE muss nur wollen.“ Das Material für die Abflachung der Böschungen könne beispielsweise aus anderen schon bestehenden Kiesgruben gewonnen werden – oder durch Abraum des noch laufenden Kohleabbaus.
Derzeit scheinen die Fronten verhärtet. RWE pocht auf das Recht, zu roden und auszukiesen. „Die Inanspruchnahme der Fläche in der ehemaligen Ortslage von Manheim ist im Zuge von planmäßigen und von der Bezirksregierung Arnsberg genehmigten Arbeiten zur Gestaltung des künftigen Hambacher Sees erforderlich“, so ein Sprecher des Konzerns. Dies sei „gemäß der Leitentscheidung des Landes Nordrhein-Westfalen vorgesehen und vom Braunkohlenausschuss beschlossen worden“.
Konzern hat Stillhaltezusage gegeben - bis Ende Januar
Über einen Eilantrag des BUND gegen die Rodungspläne wird das Oberverwaltungsgericht Münster bis Ende Januar entscheiden. RWE hat bis dahin eine „Stillhaltezusage“ abgegeben.
In der Szene der Aktivisten und Umweltschützer wird aber seit Tagen darüber spekuliert, dass der Konzern ohnedies Fakten schaffen will und noch im Januar mit Rodungsarbeiten beginnen wird. RWE dementiert das halbherzig. „Wir betonen seit Wochen, dass im sogenannten Sündenwäldchen, das außerhalb des Hambacher Forsts liegt, derzeit keine Rodungen stattfinden“, so der Konzernsprecher. Einen Zeitplan könne er nicht nennen.
Der Konflikt um das kleine Waldstück könnte die Gräben zwischen Anti-Kohleaktivsten und Grünen weiter vertiefen, die schon seit der Zerstörung der Siedlung Lützerath im Januar 2023 schier unüberbrückbar geworden sind. Jansen wirft der schwarz-grünen Landesregierung vor, den eigenen Koalitionsvertrag zu verletzen, in dem gefordert wird, eine „Verinselung“ der Waldgebiete beim Tagebau Hambach zu verhindern.
Auch in der Partei rumort es wieder. Die grünen Minister in der Landesregierung tragen die Pläne des Konzerns mit. Die Grüne Jugend aber rebelliert: Man müsse das Wäldchen so lange wie möglich erhalten „für den Klima- und Artenschutz sowie für die Zeit nach dem Tagebau“ fordern die beiden Co-Vorsitzenden des Landesverbandes, Aslı Baskas und Björn Maue. Sie erklären sich solidarisch mit denen, die jetzt für den „Sündi“ kämpfen.
An der Mahnwache, die zum Jahreswechsel am Rande des Sündenwäldchens aufgebaut wurde, stehen an diesem kalten Morgen einige Aktivisten zusammen. Es läuft ein Lied der Band „Wir sind Helden“ – „Gekommen, um zu bleiben“.