Lützerath. Eine kleine Siedlung bei Erkelenz soll als letztes Dorf für die Kohle abgerissen werden. Klimaaktivisten wollen das verhindern. Ein Ortsbesuch.

Es ist ein bewölkter und herbstlich kühler Oktobermorgen, und Eckhardt Heukamp ist nicht gut drauf. Er steht in einem Anhänger auf dem Hof hinter dem weiß-roten Absperrband und kramt in einem Haufen Habseligkeiten. „Was gibt es hier zu gucken“, herrscht er uns an. Er ist sichtbar angepackt vom Abschied von dem alten Gehöft, das sein zu Hause war und das er lange gegen den Zugriff des Energiekonzerns RWE verteidigt hat.

Jetzt hat er verkauft, es ging nicht anders, alle juristischen Möglichkeiten waren ausgeschöpft. Sein Kampf ist zu Ende. Die Klimaaktivisten auf der Wiese hinter dem Bauernhof wollen weiterkämpfen. Der Weiler Lützerath ist für sie von ähnlicher Symbolkraft, wie es einst der Hambacher Forst war.

Lützerath, das ist eine kleine Siedlung bei Erkelenz, südlich von Mönchengladbach. Sieben Gebäude, direkt an der Abbruchkante, hinter der die gewaltige Grube des Tagebaus Garzweiler klafft, in der die riesigen Braunkohlebagger wie Spielzeug wirken. Es ist das letzte Dorf, das der Braunkohle zum Opfer fallen soll, die in der Region seit hundert Jahren abgebaut wird. Es ist ein Kompromiss, den RWE und die grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) am Dienstag verkündet haben. Der Energiekonzern steigt schon 2030 aus der Kohle aus, dafür darf er noch rausholen, was unter Lützerath liegt.

Es ist dieselbe Mona Neubaur, die vor einem Jahr in Lützerath gemeinsam mit Klimaaktivisten für den Erhalt der Siedlung demonstrierte. „Uns war schon lange klar, dass wir uns nicht auf die Politik verlassen können. Die Grünen haben immer wieder bewiesen, dass sie ihre Ideale verraten, wenn sie in der Regierung sind“, sagt Mara.

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Die freundliche Mittzwanzigerin sitzt auf einem Plastikstuhl vor einem der Versammlungszelte in dem Camp, das in den vergangenen Monaten auf der Wiese hinter dem Heukamp-Hof gewachsen ist. Abenteuerlich konstruierte Baumhäuser, Zelte, Solar-Panele, mit Holzstreu bedeckte Wege, Plakate und Transparente mit politischen Parolen. „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“ oder: „Der Kampf um Befreiung ist antinational“. Es geht ihnen hier um weit mehr als den Kohleausstieg. Sie wollen eine andere Gesellschaft, revolutionäre Veränderungen.

An diesem Morgen sind nur wenige Aktivsten zu sehen, manche ziehen sich Tücher vor die Gesichter, als sie uns sehen. Aus einem Unterstand weht Klaviermusik. Einige Leute hacken Holz. „Hier sind immer zwischen 100 und 300 Menschen“, sagt Mara. Am meisten Zeit verschlingen hier die Plenen, auf denen das Zusammensein besprochen wird. „Wir haben hier Basisdemokratie, da gehört viel Kommunikation dazu“, erklärt die junge Frau und lacht. Es gibt hier Arbeitsgruppen für alles – die Pressekontakte, die „Küche für alle“, das „Awareness“-Zelt, bei dem sich Menschen melden können, wenn sie sich diskriminiert oder anderweitig unwohl fühlen.

RWE bleibt der Feind, dem sie sich entgegenstellen wollen

Mara ist eine Sprecherin der Initiative „Lützerath bleibt“, sie kommt eigentlich aus Brandenburg und lebt seit dem vergangenen Herbst im Camp. Dass die Grünen den vorgezogenen Kohleausstieg als Erfolg verkaufen wollen, hält sie für „lachhaft“. Jeder Tag, an dem länger an der Kohle festgehalten werde, sei „ein Schlag ins Gesicht der Menschen im globalen Süden, die schon jetzt unter den Folgen des Klimawandels leiden“, referiert Mara. RWE bleibt hier der Feind, dem man sich entgegenstellen will. „Wir bleiben hier, und wir werden das Dorf verteidigen“, sagt sie.

Im Herbst 2018 war es ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sich gegen die Rodung des Hambacher Forstes 30 Kilometer weiter südlich stemmte, auf einer Großdemonstration kamen 50.000 Menschen zusammen. Das war in der Zeit vor Corona und vor der Energiekrise, die vielen Menschen Angst macht. Glauben die Aktivisten im Camp, dass sie für ihren Kampf um Lützerath auf Verständnis stoßen? „Es werden gerade verschiedene Krisen gegeneinander ausgespielt. Uns hier geht es auch um das Wohlergehen der Menschen“, betont Mara. RWE mache derzeit Rekordgewinne, gleichzeitig stiegen die Strompreise, das sei ungehörig. Es müsse, sagt sie, auch möglich sein, Energiesicherheit zu gewährleisten, „ohne unsere Lebensgrundlagen zu vernichten“.

Über das Camp knattert ein Hubschrauber. „Wir werden hier oft überflogen“, sagt Mara. Der Werkschutz von RWE, mit dem sie sich im August noch Auseinandersetzungen geliefert haben, hat sich aber weit hinter das Dorf zurückgezogen. Auch die Polizei war schon länger nicht mehr da. Wann die Räumung beginnen wird, ist den Aktivisten im Camp nicht klar. „Wir rechnen damit, dass es noch in diesem Jahr passiert.“ Mara rechnet mit großem Widerstand, wenn es so weit ist. Knapp 10.000 Menschen hätten angekündigt, Lützerath gegen den Abriss zu verteidigen. Zu was sie bereit sind, kann oder will Mara nicht sagen. Über das Ausmaß möglicher Militanz finde „ein Austausch“ statt.