Buir. Im Hambacher Forst haben Kohlegegner rund 100 neue Baumhäuser errichtet. Seit einigen Tagen ist die Polizei häufiger präsent. Ein Besuch vor Ort.
Es ist ein wenig so, als wäre im Herbst 2018 nichts geschehen, als habe es damals nicht diesen gigantischen Polizeieinsatz gegeben, um die Baumhäuser im Hambacher Wald abzureißen. In der früheren Siedlung Oaktown im Nordosten haben sie wieder gebaut, in schwindelerregender Höhe schmiegen sich Hütten zwischen die Äste, verbunden mit Hängebrücken, auf blutroten Transparenten prangt die alte Parole „Stopp Kohle jetzt“. Es regnet Bindfäden an diesem Mittag, aber das ist es nicht, was den Leuten im Wald aufs Gemüt schlägt, im Gegenteil, sie begrüßen den Regen, weil die Dürre dem Wald geschadet hat. Aber die Polizei ist wieder öfter da, und sie befürchten, dass sich 2018 wiederholen könnte.
Der über 10.000 Jahre alte Hambacher Wald bei Kerpen ist zum Brennpunkt des Kampfes gegen die klimaschädliche Verfeuerung von Kohle geworden. Die alten Eichen und Buchen wuchsen hier einmal auf einer Fläche von 40 Quadratkilometern, jetzt sind gerade einmal 200 Hektar übriggeblieben, der Rest ist in dem gewaltigen Braunkohle-Tagebau verschwunden, der in die Landschaft wie eine schwärende Wunde gewuchert ist. Dass diese zwei Quadratkilometer heute noch stehen, liegt auch an Menschen wie Frodo, der natürlich nicht wirklich so heißt, aber wie alle diejenigen, die hier im Wald leben, seinen richtigen Namen nicht sagen will.
2018 wurden 86 Baumhäuser abgerissen
Frodo, Dreadlocks, barfuß, Poncho, war schon vor zwei Jahren dabei, als es eskalierte, und die Staatsgewalt einen der größten Polizeieinsätze der Geschichte Nordrhein-Westfalens entfesselte, um den Widerstand im Wald zu brechen, der mit ersten Besetzungen im Jahr 2012 begann. Kurz vor der geplanten Rodung durch den Energiekonzern RWE, der den Wald sein Eigen nennt, ließ die Landesregierung die damals 86 Baumhäuser abreißen.
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Immer wieder war es im Vorfeld der Räumung zu Sabotageaktionen und teils gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Waldbesetzern und Sicherheitskräften sowie Mitarbeitern von RWE gekommen. Die Begründung für den Einsatz lautete aber: fehlender Brandschutz. Naturschützer und Grüne warfen der Landesregierung damals vor, sich zum Erfüllungsgehilfen von RWE degradieren zu lassen, eine Kritik, die Schwarz-Gelb vehement zurückwies.
Eine Blamage für die Landesregierung
Zur Blamage für die Landesregierung geriet der Einsatz gleichwohl: Zehntausende Menschen solidarisierten sich mit den Waldbesetzern, das Oberverwaltungsgericht Münster stoppte die Rodung am 5. Oktober 2018. Mitte Januar 2020 einigten sich Bund und Länder auf den Fahrplan für den Braunkohleausstieg und beschlossen: Der Hambacher Wald, oder das was von ihm übrig geblieben ist, bleibt. Jetzt gibt es wieder rund 100 Baumhäuser, teils mehrstöckig, mit Glasfenstern, an manchen sind Solarpanele befestigt. Wieso sind die Besetzer wiedergekommen?
Einige Meter westlich von Oaktown kokelt in der kleinen Siedlung Luna unter einem dreistöckigen Baumhaus ein Kochfeuer, darauf steht eine gußeiserne Kaffeekanne. Frodo sitzt auf einer verschlissenen Matratze, zwei andere Besetzer haben es sich mit ihm bequem gemacht. „Wir sind solange im Wald, bis RWE aufhört, die Natur zu bedrohen“, sagt er. Der Energiekonzern will im Osten weiter zur Abraumgewinnung abgraben, im Süden sind Auskiesungsflächen unter anderem von der RWE-Tochter RBS ausgewiesen.
Für die Besetzer geht es um mehr als um den Wald
Die Radikalen im Wald sind nicht die einzigen, die befürchten, der Wald könne in eine bedrohliche Insellage geraten. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz warnt vor einer Bedrohung der Wald-Ökologie durch den nahen Tagebau und die geplante Abgrabung im Osten. Die Grünen im Landtag haben kürzlich in einer kleinen Anfrage kritisiert, dass die Abgrabungs- und Auskiesungspläne den dauerhaften Erhalt des Waldes gefährden könnten. „Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die diese Behauptung stützen würden“, heißt es in der Antwort spröde.
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Für die Besetzer im Wald geht es aber längst um mehr, als um den Wald: „Wir müssen das gesamte System nachhaltig verändern, wir müssen begreifen und begreifbar machen, wie die Zahnräder ineinander greifen“, erklärt Frodo. Sie wollen, sagen sie, Kapitalismus und Patriarchat abschaffen und gegen Rassismus kämpfen, weil sie glauben, dass Ausbeutung und Zerstörung von Natur nur Symptome einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Krankheit sind. Das Kohleausstiegsgesetz mit seiner üppigen Milliarden-Entschädigung für RWE und den Kohlelaufzeiten bis 2038 gilt ihnen hier als Beweis für die durchgreifende Macht von Lobbyisten.
Tiefes Misstrauen gegen den Staat
Auch deswegen ist der Widerstand im Wald radikaler und internationaler geworden. Mittlerweile sind hier Menschen aus aller Welt, es gibt Vernetzungen mit anderen Bewegungen, bis hin zum kurdischen Freiheitskampf im Norden Syriens. Regional solidarisieren sich die Waldbesetzer mit den Menschen in der Initiative „Alle Dörfer bleiben“, die vor allem gegen den Tagebau Garzweiler aktiv ist, und mit denen, die den Betrieb des Steinkohlekraftwerks Datteln stoppen wollen. „Es kann nicht sein, dass in Deutschland die Steinkohleförderung eingestellt wird, und gleichzeitig ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht“, sagt Frodo.
Es ist im Wald ein tiefes Misstrauen gegen den Staat zu spüren. Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ist hier eine Reizfigur. Er hatte vor „rechtsfreien Räumen“ gewarnt. Für den Staat sind die Leute im Wald potenziell gewalttätige Linksextremisten. „Das ist kein rechtsfreier Raum hier, wir haben aber unsere eigenen Rechte und Gesetze“, stellt der Waldbesetzer klar und grinst.
Polizei räumt bei Großeinsatz Barrikaden ab
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Seit einigen Wochen sind vermehrt Sicherheitskräfte unterwegs. Das macht sie hier nervös. Die Polizei hat am Dienstag vergangener Woche wieder einen Großeinsatz durchgeführt, „pünktlich vor der Hauptversammlung von RWE“, ätzt Frodo, und sie hat Barrikaden abgeräumt. Die Beamten hätten fotografiert und kartografiert, und „das sind notwendige Schritte für eine Räumung“. Bei der Polizeiaktion wurden zwei Frauen kurzfristig festgenommen, weil sich einem Platzverweis widersetzten. Sie beschmierten den Polizei-Transporter mit Exkrementen.
Eine Woche später waren wieder Polizisten da, einige Tage, nachdem Aktivisten für einige Stunden den Tagebau Garzweiler stillgelegt hatten. Droht wieder ein Großkonflikt wie 2018? Sie wollen nicht provozieren, sagen die drei Besetzer an der Kochstelle, deswegen hielten sie sich zurück. „Die Polizei will uns aber kriminalisieren.“
Ministerium: Polizei räumt nur Rettungswege frei
Die Polizei, beteuert das Landesinnenministerium, mache lediglich turnusmäßig Rettungswege frei, damit Verletzte erreicht werden könnten. Und das Baurecht, das 2018 als Begründung für die Räumung diente? „Zuständig für die baurechtliche Bewertung der Baumhäuser im Hambacher Forst sind die Städte und Kreise vor Ort sowie das Bauministerium“, schreibt das Innenministerium.
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Kurz bevor sich Frodo auf den Weg ins nahe Dorf Buir macht, um eine neue Gas-Kartusche zu kaufen, erzählt er nichts mehr über den Kampf gegen das Kapital oder das Patriarchat. Er berichtet von den Eichhörnchen. Es sind in dem Baum, in dem er lebt, drei kleine auf die Welt gekommen, die ihn jeden Morgen wecken, weil sie sich durchs Blätterwerk jagen. Er lacht, als er die Geschichte erzählt.
Am Tag danach sind wieder Einsatzkräfte im Wald unterwegs, sie entfernen kleinere Barrikaden. „Um ihrem gesetzlichen Auftrag der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nachkommen zu können, wird die Polizei auch weiterhin im Hambacher Forst präsent sein“, heißt es in einer Pressemitteilung.