An Rhein und Ruhr. Bei der Kommunalwahl im September treten viele Amtsinhaber an Rhein und Ruhr nicht mehr an. Die Gründe sind alarmierend
In früheren Zeiten haben die Menschen in Hünxe an einem Strang gezogen, wenn es gegen den Wolf ging. Davon zeugt das im Rathaus ausgestellte zweihundert Meter lang Wolfsnetz, mit dem die Raubtiere gefangen wurden. Heute ist der Wolf zurück und ein Thema, über das in der 14.000-Einwohner-Gemeinde gestritten wird. „Emotional aufgeheizt“ sei die Debatte, klagt Bürgermeister Dirk Buschmann. Oder besser: der scheidende Bürgermeister. Buschmann wird nicht mehr bei der Kommunalwahl im September antreten. Er ist nicht der einzige Rathauschef an Rhein und Ruhr, der amtsmüde das Handtuch wirft. Es ist eine beispiellose Entwicklung.
„Im Kreis Wesel wird fast die Hälfte der bisherigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht mehr antreten. Das habe ich noch nie erlebt“, sagt Christoph Landscheidt, Präsident des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes und seit einem Vierteljahrhundert Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort. Häufig würden für die Entscheidung nicht mehr anzutreten, neben persönlichen Gründen auch solche genannt, die die „man sehr ernst nehmen muss und die mir Sorge bereiten“. Konkret: Die enger werdenden Handlungsspielräume in den Kommunen und die durch die sozialen Medien befeuerte Verrohung der Debattenkultur.
Im Hünxe will sich Dirk Buschmann genau aus diesen Gründen nach zehn Jahren keine weitere Amtszeit mehr antun. „Die Finanzausstattung stimmt nicht mehr, geht man Projekte an, muss man sich durch einen riesigen Bürokratieaufwand kämpfen.“ Gleichzeitig hat der parteilose Bürgermeister genug von Debatten, in denen er als Rathauschef im Fokus von Beschimpfungen und Anfeindungen steht – ob es nun der Wolf ist, eine Gastrasse oder die Windkraft. „Das Klima ist wesentlich rauer geworden“, sagt Buschmann. „Häme und Frust werden immer häufiger vor den Türen der Rathäuser abgeladen“, klagt auch Christoph Landscheidt.
Im Nachbarkreis Kleve wird der Gocher Bürgermeister Ulrich Knickrehm nicht mehr antreten. Er ist wie Buschmann am Ende seiner zweiten Amtszeit. Er wird bald 70. „Es ist genug“, sagt er. Es ist nicht nur sein Alter, das ihn zu seinem Schritt bewogen hat. „Man muss den Leuten immer häufiger erklären, warum kein Geld für irgendetwas da ist.“ Das macht auf Dauer mürbe. Auch Christoph Landscheidt sagt: „Es war nie vergnügungssteuerpflichtig. So schwierig wie aktuell war es allerdings noch nie. Das Ringen um den Haushalt wird immer mühseliger.“ Viele Kolleginnen und Kollegen hätten ihm gesagt, dass sie sich das nicht mehr antun wollten.
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Bürgermeisterin von Wesel sagt: „Ich will selbstbestimmt aufhören“
Nicht alle, die aufhören, sehen so düster wie Landscheidt oder Buschmann. Mit Ulrike Westkamp hört in Wesel eine altgediente Bürgermeisterin auf, die zwei Jahrzehnte lang die Amtsgeschäfte führte. Die Sozialdemokratin sagt, es seien vor allem persönliche Gründe, die sie dazu bewogen hätten, nicht mehr anzutreten. „Ich will selbstbestimmt aufhören.“ Außerdem habe jede Zeit ihre Herausforderungen gehabt. Westkamp erinnert an die Flüchtlingskrise vor zehn Jahren oder die Finanzkrise in den Nuller Jahren. Aber auch sie räumt ein: „Es ist schwieriger geworden. Der finanzielle Spielraum ist enger geworden.“
In der Großstadt Essen will der Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) weitermachen und tritt erneut zur Wahl an. „Das Bürgermeister-Amt ist attraktiv. Man kriegt ja auch viele positive Rückmeldungen“, sagt er. Dass ihm nicht selten - als Lob gemeint – beschieden werde: „Ihren Job möchte ich nicht machen müssen“, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass die Bevölkerung selbst merkt, vor welchen Herausforderungen diejenigen stehen, die sich noch um den Chefsessel in den Rathäusern bewerben.
Wie andere Amtsinhaber auch beklagt Kufen eine „zunehmende Kompromisslosigkeit“ durch eine von den sozialen Medien getriebene roher werdende Debattenkultur. „Es gibt zunehmend große Erwartungen an die Politik, aber fast kein Vertrauen mehr in die Politik, dass sie in der Lage ist, etwas zu verändern.“ Dazu befänden sich die Kommunen seit einem Jahrzehnt in einem Dauerkrisenmodus, müssten mit dem Fachkräftemangel, der Wirtschaftsflaute und explodierenden Kosten für Bauprojekte kämpfen.
Der Präsident des NRW-Städte- und Gemeindebundes warnt angesichts der Misere vor einer weiteren Gefahr für die Kommunen. Schon in einer mittelgroßen Stadt brauche man für das Bürgermeisteramt Menschen, die qualifiziert seien, eine Verwaltung mit mehreren Hundert Mitarbeitern zu führen. „Menschen mit solchen Qualifikationen fragen sich angesichts der Probleme womöglich, ob sie nicht etwas anderes machen sollten. Ob diejenigen, die sich jetzt bewerben, Menschen sind, die man in Führungspositionen braucht, ist manchmal fraglich“, so Christoph Landscheidt.
Landscheidt: „Wir müssen alle viel aktiver werden“
Was also tun, um den Job wieder attraktiver zu machen? Zunächst müsse das Land „die strukturelle Verbesserung der finanziellen Grundausstattung der Kommunen“ in die Wege leiten, fordert Landscheidt. Konkret: „Der kommunale Anteil am Steueraufkommen des Landes muss von jetzt 23 auf mindestens 25 Prozent erhöht werden.“ Gegebenenfalls müsse das Land Förderprogramme durchforsten, um die entsprechenden Mittel freizustellen.
Landscheidt nimmt aber auch die Gesellschaft in die Pflicht: Zwar gebe es viele Ehrenamtliche und Freiwillige, die sich für das Gemeinwohl, für Demokratie und die Meinungsfreiheit einsetzten. „Wir müssen aber alle viel aktiver werden und uns nicht wegducken.“