Dinslaken/Voerde/Hünxe. Die Attacken auf SPD-Politiker sind kein Einzelfall. Kommunalpolitiker aus Dinslaken, Voerde, Hünxe berichten von alltäglichen Erfahrungen.

Auch in Voerde wurden zwei Politiker angegriffen. Das erklärt der Voerder SPD-Vorsitzende Stefan Schmitz im Kontext mit den jüngsten Attacken auf Politiker - unter anderem auf Matthias Ecke und Franziska Giffey von der SPD. Zwei Parteikollegen aus dem SPD-Ortsverein Voerde seien am Donnerstag von einem Mann verbal angegriffen worden. Dann habe dieser versucht, sie am Aufhängen von Plakaten für die Europawahl mit der Aufschrift: „Deine Stimme schützt die Demokratie“ zu hindern. Erst die hinzugerufene Polizei habe die Situation befrieden können.

Die Namen der Betroffenen sollen nicht veröffentlicht werden - aus Angst vor weiteren Attacken. Das sei eine „neue Dimension von Angriffen gegenüber denjenigen, welche sich für die Demokratie in unserem Land vor Ort einsetzen und sich in den letzten Jahren schon mit immer mehr Hass, Hetze und Drohungen auseinandersetzen mussten“, so Stefan Schmitz: Die „bedenkliche Zunahme politischer Angriffe und Anfeindungen“ sei „für uns alle eine große Herausforderung, um den Schutz der demokratischen Grundwerte zu gewährleisten.“

Politiker sprechen bestimmte Themen aus Angst nicht an

Viele Menschen, vor allem junge, hätten kein Vertrauen mehr in die Regierung und Demokratie. Sie seien „nicht mehr nahbar und öffnen sich für Populisten und demokratieverachtende Strömungen.“ Nun drohe die Gefahr, dass „Kommunalpolitiker vor Ort nicht mehr greifbar sind“ weil sie fürchten müssten, nicht nur verbal, sondern auch körperlich angegriffen zu werden. Sie würden aus Angst bestimmte Themen nicht mehr ansprechen und „überlegen, sich überhaupt vor Ort für die Politik zu engagieren“, so der SPD-Chef. Und dann werde es heißen, die Politik sei „mittlerweile so weit weg“. In der Folge werde die Wahlbeteiligung sinken - was wiederum den demokratischen Parteien schade.

Schmitz beklagt mangelnde Diskussionskompetenz. Es gebe „für viele nur noch Schwarz oder Weiß anstatt eines Kompromisses.“ Statt zuzuhören, werde die eigene Meinung verteidigt und die andere bekämpft - „leider, wie wir an den aktuellen Beispielen sehen, mit immer mehr zunehmender Gewaltbereitschaft“, so Schmitz.

Straftaten gegen politisch engagierte Menschen müssten „konsequent verfolgt und angemessen bestraft werden“, fordert Schmitz, präventive Maßnahmen sollen die Entstehung von Hass und Hetze verhindern. Zudem sei die Gesellschaft „gefordert, sich gegen demokratieverachtende Strömungen auszusprechen.“ Und: „Wir müssen einander zuhören, verstehen und wieder die Bereitschaft entwickeln, Diskussionen zu führen und Kompromisse zu finden und andere Meinungen auch mal zu akzeptieren. Gewalt und Einschüchterungen dürfen hier keine Lösung sein.“

Landessprecher der Linken aus Dinslaken wurde bedroht

Bei Sascha H. Wagner aus Dinslaken, Landessprecher der NRW-Linken und Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag, wecken die Angriffe böse Erinnerungen. Er wurde vor zwei Jahren von Querdenkern bedroht, auch vor seiner Haustür tauchten verdächtige Personen auf. Die Polizei habe ihm damals geraten, abends keine Termine wahrzunehmen, nach denen er alleine nach Hause komme. Und sie habe einen Lageplan seines Hauses aufgezeichnet - für den Fall der Fälle. „Da bekommt man schon ein mulmiges Gefühl“, so Sascha H. Wagner. Die Linken würden Wahlplakate abends nur noch mit Zweierteams aufhängen, auch Verteilaktionen in Wohnbezirken würden nur noch zu zweit absolviert. Es sei ohnehin schon schwierig genug, Menschen für das Ehrenamt Kommunalpolitik zu gewinnen. „Soll ich mich auch noch an Wahlkampfständen beschimpfen lassen?“ sei eine ganz berechtigte Frage.

Gewalt gegen Politiker sei kein neues Phänomen - die gebe es schon länger, sagt Wagner. Es sei falsch, anlässlich der jüngsten Vorfälle von einer Zäsur zu sprechen, so der Dinslakener. Er erinnert an den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke, an die Angriffe auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker oder den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein. Mit dem Erstarken der Rechten habe die Gewalt zugenommen. Auch die Geschäftsstelle der Dinslakener Linken sei in der Vergangenheit Ziel von Anhängern der Identitären Bewegung gewesen.

Auch Dieter Holthaus (Linke Dinslaken) wurde schon „übel beschimpft“, sagt er. Auch seien AfD-Sympathisanten am Wahlkampfstand der Linken aufgetaucht und seien diese verbal angegangen. Das Klima sei allgemein aggressiver geworden, „man spürt, dass die Menschen unzufriedener geworden sind über die Politik, die ja direkte Auswirkungen auf ihr Leben hat“, so Holthaus.

Hünxer Politikerin wurde auf Facebook rassistisch angegangen

„Gewalt gegen Politiker ist nicht neu,“ sagt auch Jan Scholte-Reh (SPD-Vorsitzender Hünxe). „Über die Jahre haben Amtsträger – von Bundesministern bis zu Kommunalpolitikern – und ihre Familien zunehmend Stalking, Beleidigungen und sogar Morddrohungen erlebt“, sagt er. „Solche politisch motivierten Straftaten sind ein Angriff auf die Prinzipien unserer Demokratie.“

Mit Kommentaren, die sich pauschal gegen die „Regierung“ richten, könne er als Politiker in Hünxe „umgehen“: Die Menschen in Hünxe „unterscheiden zwischen uns als Kommunalpartei für Hünxe, der sie viel Wertschätzung entgegenbringen, und der Bundespolitik“. Es gebe aber auch „andere Fälle“: So sei seine Frau Mendina, ebenfalls SPD-Ratsfrau in Hünxe auf Facebook angegangen worden: Sie sei als Halb-Türkin Teil der „Umvolkung“.

Die Worte von Alexander Gauland, „Wir werden sie jagen!“, „haben eine bedrohliche Realität angenommen“, so Jan Scholte-Reh. Die „ständige Hetze von extremistischen Gruppen“ würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen, jede neue Provokation „die Grenze des Sagbaren“ verrücken. Mehr Polizeipräsenz sei vonnöten, löse aber nicht die „gesellschaftliche Ursache“. Jan Scholte-Reh ruft auf: „ Lasst uns also geschlossen gegen Hetze vorgehen, den respektvollen Dialog suchen und gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit finden. Zeigen wir, wer wir sind: Wir sind die Vielen!“

FDP-Politiker aus Dinslaken erlebt „täglich Beleidigungen“

Dennis Jegelka (FDP Dinslaken erlebt „täglich Beleidigungen, die oft aus Neid und der aktuellen Regierungsverantwortung resultieren.“ Die „Grenze zwischen verbalen Angriffen und physischer Gewalt verschwimmt“, so Jegelka - und das sei „äußerst beunruhigend“. Vor der Kommunalwahl 2020 wurden Plakate der FDP in Dinslaken zerstört und verunglimpft. Für Jegelka ein Symbol für „Unzufriedenheit, die sich oft in Gewalt entlädt“.

Feindseligkeiten, im Internet oder in der Realität, „sind die Vorboten für gewalttätige Angriffe auf Politiker, wie jüngste Ereignisse zeigen. Die Hemmschwelle sinkt, und die Aggressivität nimmt zu“, so Jegelka. Der „aggressive Umgangston“ werde zunehmend gesellschaftsfähig. Er wünscht sich „mehr Verständnis und Respekt“. Und er fordert „strengere Strafen, die konsequent durchgesetzt werden müssen.“

Voerder CDU-Mann sieht Ampel als Ursache

Ingo Hülser (CDU-Fraktionsvorsitzender Voerde) hat bislang weder tätliche Gewalt noch verbale Angriffe erleben müssen und kann sich dergleichen in Voerde auch kaum vorstellen. Er tausche gerne Argumente aus, es dürfe durchaus auch „härter zur Sache“ gehen. Er selbst sei auch relativ „robust“, Anwürfe gingen ihm nicht so nah. Gewalt sei aber grundsätzlich kein Mittel politischer Auseinandersetzung. Hülser sieht in der Politik der Ampel die Ursache für die zunehmend aggressive Stimmung: „Die Ampel spaltet die Gesellschaft“. Der Staat habe bereits Möglichkeiten, tätliche Angriffe zu sanktionieren und müsse diese konsequent nutzen, so Hülser.