Kempen. In der 22. Schwangerschaftswoche erlitt Caro (27) eine Fehlgeburt. Wenig später ging sie wieder arbeiten. Wie ein neues Gesetz künftig helfen soll.
- Am Donnerstag (30. Januar) hat der Bundestag ein neues Gesetz zum gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten verabschiedet
- Der Anspruch soll künftig bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche greifen
- Caro (27) verlor ihr Kind im vergangenen Jahr in der 22. Schwangerschaftswoche, einen Anspruch auf Mutterschutz hatte sie nicht und musste sich krankschreiben lassen
Früher hatte Caro Angst vor Friedhöfen. Heute ist die 27-Jährige jeden Tag dort. Auch an diesem bewölkten Vormittag steht sie auf dem grasbewachsenen Gräberfeld in Kempen. Die weiße Grabkerze brennt. Es ist das Grab ihres Kindes, das die junge Frau im vergangenen Jahr in der 22. Schwangerschaftswoche verlor und tot zur Welt bringen musste. Nur wenige Wochen nach der Geburt kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Nicht unbedingt, weil sie bereit war, sondern weil sie keine andere Wahl hatte. Einen Anspruch auf Mutterschutz gab es damals nicht, lediglich einen Krankenschein.
Ein Jahr zuvor sollte das schönste Kapitel des jungen Paares aus Kempen beginnen. Es war Caros erste Schwangerschaft, kurz nach der Hochzeit im Jahr 2023. „Alles verlief unauffällig, bei den Routineuntersuchungen war alles in Ordnung“, erinnert sie sich. Dann folgte die zweite große Untersuchung – und die änderte alles. „Ich habe direkt am Blick des Frauenarztes erkannt, dass irgendetwas nicht stimmt mit unserem Baby.“ Die Diagnose folgte dann schnell bei einer feindiagnostischen Untersuchung: ein schwerer Chromosomendefekt, der das Baby nicht überlebensfähig machte. Gleichzeitig erfuhren Caro und ihr Mann, dass es ein Mädchen werden sollte.
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Baby in der 22. Schwangerschaftswoche verloren: „Eine ganz schreckliche Situation“
Es folgte ein etwa zwei Wochen langer Ärztemarathon. „Wir hätten unser Kind auf jeden Fall bekommen, auch wenn es krank gewesen wäre, das stand außer Frage.“ Doch die Ärzte machten deutlich, dass die Fortführung der Schwangerschaft nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich für Caro sein könnte. „Trotzdem wollten wir jeden Arzt hören. Hätte nur einer von ihnen gesagt, dass ein Funken Hoffnung besteht, hätten wir weiter gekämpft.“ Doch dazu kam es nicht.
In der 22. Schwangerschaftswoche fuhr das Ehepaar ins Krankenhaus und die Geburt wurde eingeleitet. Nach langen Stunden der Wehen brachte die Kempenerin das Baby schließlich tot zur Welt. „Eine ganz schreckliche Situation“, erinnert sie sich heute an den Tag im Februar 2024. „Aber ich war in dem Moment so im Hormon- und Adrenalinrausch, dass ich gar nicht realisiert habe, was passiert ist.“
Mutterschutz nach Fehlgeburt: Neues Gesetz
Das Mutterschutzgesetz sieht bislang vor, dass Frauen, die ab der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, acht Wochen nach der Geburt nicht arbeiten dürfen. Frauen, die ihr Kind in einer früheren Phase der Schwangerschaft verlieren, haben hingegen keinen Anspruch auf Mutterschutz. Bis jetzt. Am Donnerstagabend (30. Januar 2025) hat der Bundestag ein neues Gesetz verabschiedet, das am 1. Juni dieses Jahres in Kraft tritt. Das Gesetz sieht einen gestaffelten Mutterschutz bei einer Fehlgeburt ab der 13. Woche vor, dieser soll auf Freiwilligkeit beruhen.
Von einer Fehlgeburt spricht man bei einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft vor der 24. Schwangerschaftswoche und wenn das Kind unter 500 Gramm wiegt. Verstirbt das Baby nach der 24. Schwangerschaftswoche und wiegt es mindestens 500 Gramm, spricht man von einer Totgeburt beziehungsweise einer „stillen Geburt“. Anders als Fehlgeburten unterliegen Totgeburten einer standesamtlichen Meldepflicht. Im vergangenen Jahr hat es laut dem Statistischen Landesamt (IT.NRW) im Bundesland insgesamt 718 Totgeburten gegeben, also 11,18 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Was für viele Frauen der Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes gewesen wäre, blieb für Caro jedoch eine Lücke im System. Ihr Baby wog bei der Geburt 460 Gramm. Zu dem Zeitpunkt sah das Gesetz vor, dass Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden und deren Kind weniger als 500 Gramm wiegt, keinen Anspruch auf Mutterschutz haben. Die heute 27-Jährige hätte also direkt nach der stillen Geburt wieder zur Arbeit zurückkehren müssen, hätte sie sich nicht krankschreiben lassen.
Beerdigung nach Fehlgeburt: „Im kleinen Rahmen haben wir Abschied genommen“
Neben psychischer und körperlicher Belastungen stand etwa eine Woche nach der späten Fehlgeburt der wohl schwerste Termin für die Eltern an. „Wir haben uns vorher darüber informiert, wie wir sie beerdigen wollen.“ Das Ehepaar knüpfte Kontakt zu einer Seelsorgerin aus der Gemeinde, plante die Beerdigung auf dem Gräberfeld des Kempener Friedhofs, auf dem Eltern ihre Sternenkinder – also Kinder, die nicht lebend geboren werden – begraben können. „Wir haben uns eine kleine Holzkiste besorgt und sie rosa angestrichen. Familienmitglieder haben Briefe geschrieben, die wir mit ihrer Kuscheldecke mit ins Grab gelegt haben.“
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An die Bestattung kann sich Caro noch gut erinnern: „Es war so, wie man sich eine Beerdigung vorstellt. Im kleinen Rahmen haben wir Abschied genommen. Aber ich habe erst alles realisiert, als ich vor ihrem Grab stand“, sagt sie und zeigt auf den roten Blumentopf, der direkt neben der großen Gedenktafel auf der Wiese steht. In großen Lettern erinnert der Spruch „Erinnerungen sind kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel unserer Trauer leuchten“ an die vielen Sternenkinder, die auf der Fläche anonym begraben liegen.
Für Caro und ihren Ehemann ist das hier ein Zufluchtsort. „Jeden Tag schauen wir, dass ihre Kerze brennt und verbringen gerne Zeit an ihrem Grab“, sagt die 27-Jährige. Kurz nach dem Verlust ihres Kindes fand Caro Hilfe bei ihrer Hebamme. „Ich hatte ja noch gar keine Geburtsvorbereitung, aber sie hat mir nach der Geburt bei der Rückbildung geholfen“, sagt die Kempenerin. Denn die Beschwerden waren die gleichen wie bei einer normalen Geburt, „nur, dass ich kein Kind mehr hatte.“ Die heute 27-Jährige musste abstillen, ihren Körper wieder in den natürlichen Zyklus bringen.
Fehlender Mutterschutz nach Fehlgeburt: „War wichtig, dass es mir körperlich wieder gut ging“
„Bevor ich wieder zur Arbeit gegangen bin, war uns wichtig, dass es mir körperlich wieder gut ging. Dass das Psychische noch dauern wird, das wussten wir von Anfang an.“ Vier Wochen nach der Geburt ihres Kindes kehrte die Medizinische Fachangestellte also wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Der erste Arbeitstag nach dem Verlust sei schwierig für die junge Frau gewesen. „Ich hatte das Gefühl, meine Kolleginnen und Kollegen sind anders zu mir und wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen.“ Zwar tat es einerseits gut, in den Alltag zurückzukehren, aber andererseits „hätte der Mutterschutz den Druck herausgenommen.“
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Noch immer sei das Thema Fehlgeburt ein Tabu. Und das, obwohl laut Schätzungen des Bundesverbands der Frauenärzte etwa jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens eine Fehlgeburt erfährt. „Es traut sich halt keiner, darüber zu sprechen“, weiß die 27-Jährige. Seit April vergangenen Jahres besucht das junge Paar deshalb eine Austauschgruppe für Sterneneltern in der Gemeinde Grefrath. „Dort fühle ich mich verstanden. Ich kann offen reden, weil jeder die Erfahrung teilt. Außerhalb habe ich oft das Gefühl, dass ich aufpassen muss, wie viel ich erzähle.“
Viele wüssten nicht, wie mit der Situation umzugehen sei, sagt Caro. Für sich hat das Paar mittlerweile einen Weg gefunden. „Ich bin schon Mama, nur lebt mein Kind nicht mehr“, antwortet die 27-Jährige oft, wenn jemand nach der Familienplanung fragt. Das Grab ihrer Tochter ist heute ein Ort der Erinnerung und der Liebe. Und der Kinderwunsch, den sie kurz nach dem Verlust nicht mehr spürte, ist zurückgekehrt. „Ich habe danach gesagt, ich will keine Kinder mehr. Aber jetzt ist der Wunsch größer denn je.“