Bedburg-Hau. Noch bis zum 1. September ist im ArToll Kunstlabor in Bedburg-Hau die neue Ausstellung zu sehen. Erstmalig liegt der Fokus auf der Fotografie.

Professorin Judith Samen und zwölf ihrer Studentinnen und Studenten haben sich auf eine ganz besondere Reise begeben: Sie sind von der Kunsthochschule Mainz nach Bedburg-Hau gereist, in das Haus Nummer 6 der LVR-Klinik. Noch heute lässt sich in dem ehemaligen Klinikgebäude die Geschichte des einstigen „Frauenhauses“ erahnen, in dem Frauen mit der Diagnose Hysterie eingesperrt und separiert wurden. An die Vergangenheit erinnern vor allem die ehemaligen Zellen der Patienten, die noch heute an den Holztüren mit den Gucklöchern zu erkennen sind.

Heute werden die Räume des ehemaligen Klinikgebäudes vom ArToll Kunstlabor genutzt. Jährlich begibt sich eine Auswahl an Künstlerinnen und Künstlern für das Sommerlabor dorthin und zieht für etwa zwei Wochen in das ehemalige Klinikgebäude, das sich in direkter Nachbarschaft zu Bewohnern und Patienten der forensischen und psychiatrischen Abteilungen der LVR-Klinik befindet.

Die Künstler haben sich von der Geschichte des ehemaligen Klinikgebäudes inspirieren lassen

„Hier vor Ort kreieren die Künstler ihre Werke, die dann auch ausgestellt werden“, erklärt Carla Gottwein, 2. Vorsitzende des ArToll Kunstlabors. Ein Thema gibt es für die Kunstschaffenden vorher nicht. „Wir bieten im ArToll eine Art Experimentierort, wo die Künstler die Möglichkeit haben, verschiedene Ideen auszuprobieren.“

Künstler des diesjährigen Sommerlabors

Zum diesjährigen Sommerlabor mit dem Schwerpunkt Fotografie hat das ArToll die Fotografin und Professorin Judith Samen gemeinsam mit zwölf Studierenden der Kunsthochschule Mainz, darunter Yawei Chen, Hannah Glaser, Mona Heß, Hetty Hollm, Rasaq Jurhat, Lorenz Alexander Kerkhoff, Laura De Luca, Mykyta Manuilov, Kora Riecken, Daiaana Sergucheva, Laura-Maria Walker und Elisa Mathilda Weikert, eingeladen.

Vom 4. bis zum 16. August haben die Künstlerinnen und Künstler ihre Fotografien vor Ort in dem ehemaligen Klinikgebäude angefertigt. Judith Samen, die gebürtige Gladbeckerin ist und am Niederrhein mit ihrer Ausstellung im Museum Schloss Moyland im Jahr 1999 zum ersten Mal präsentiert wurde, ist für ihre streng komponierten, inszenierten Fotografien bekannt.

Hetty Hollm hat sich besonders auf den Ort eingelassen. „Ich habe mich schon vor der Anreise über die Geschichte des Gebäudes informiert“, so die Künstlerin, die Meisterschülerin bei Prof. Judith Samen ist. Die Gruppe hat auch an einer Führung durch das Museum der LVR-Klinik teilgenommen. „Die Eindrücke, die wir dort bekommen haben, haben mich sehr beeindruckt.“

Neue Ausstellung im ArToll in Bedburg-Hau zeigt ehemalige Klinikhefte

Daher greift die Künstlerin in ihren Werken auch die Geschichte des Klinikgebäudes und der Insassen auf. Zu sehen sind kleine, verblichene Heftchen, die an der Wand des Klinikgebäudes aufgehängt wurden. Was zunächst unscheinbar wirkt, hat jedoch eine große Bedeutung, denn: „Die kleinen Bücher zeigen die Liste der Gegenstände, die die Patienten damals bei sich haben durften“, so Hollms. Links ist die Liste der Männer zu sehen, die in einem anderen Gebäude untergebracht waren, rechts die der Frauen. „Sie stammen von 1961.“

Nicht das Einzige, das Hollms an dem Ort fasziniert hat. Die Meisterschülerin hat sich nämlich auch mit dem Pflegemodell, das zur damaligen Zeit angewendet wurde, auseinandergesetzt. „Das Ziel war damals, dass die Patienten satt, still und sauber waren“, so Hollms. „Dieses historische Konzept wollte ich in meinen Werken aufgreifen.“ Dafür hat sie sich in dem ehemaligen Klinikgebäude und auf dem Gelände umgeschaut. Entstanden sind drei Polaroids, die verschiedene Gegenstände und Räume zeigen, die sie vorgefunden hat. So ist beispielsweise ein Teller mit Besteck zu sehen, der stellvertretend dafür stehen soll, dass die Patienten „satt“ sein sollten.

Für die Ausstellung im ArToll hat Künstlerin Elisa Weikert Lichtstrahlen eingefangen

Es geht weiter durchs Gebäude, vorbei an den Zellen, über die Treppen hoch, bis ins Obergeschoss. Dort sitzt schon Elisa Weikert. Inmitten eines lichtdurchfluteten Zimmers hat sich die Studentin einen Tisch aufgestellt, der mit einer großen Papierrolle ausgelegt ist, auf der Weikert mit verschiedenen Farben Muster auf das Papier malt. Dafür geht sie um den Tisch herum, wechselt die Positionen. Mal steht sie, mal hockt sie.

ArToll Kunstlabor in der LVR Klinik Bedburg-Hau
Im ehemaligen Klinikgebäude in Bedburg-Hau fängt Studentin Elisa Weikert die Lichtstrahlen ein, die in den Raum fallen. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

„Ich habe mich hier vor Ort mit dem Raum auseinandergesetzt und geschaut, wie das Licht durch die Fenster fällt“, erklärt Weikert ihr Vorgehen. „Ich möchte die Lichtstrahlen einfangen, während sie auf das Papier fallen. Ich wollte mich da zurücknehmen und der Natur freien Lauf lassen. Ich reagiere also quasi darauf, was mir das Licht vorgibt.“

Ihre Faszination für Licht begleitet sie schon seit ihrer Kindheit. „Ich bin in einem kleinen Dort aufgewachsen und war als Kind schon immer viel in der Natur unterwegs“, erinnert sich die Künstlerin. „Mein Vater hat immer viel fotografiert und mitgefilmt. Dabei habe ich gemerkt, welchen Einfluss das Licht auf die Aufnahmen haben kann.“

Schwerpunkt der neuen Ausstellung im ArToll ist die Fotografie

Auf der Papierrolle hält sie die Lichtstrahlen fest, intuitiv entscheidet sie sich dabei für verschiedene Farben. Rot, Gelb oder auch Orange und Grün. „Die Muster durch das Licht erinnern mich auch an die Medizin. Die Lichtstrahlen erinnern beispielsweise an Ultraschallaufnahmen“, sagt Weikert. Neben der Zeichnung hat sie auch Fotografien angefertigt, die zeigen, welches Muster die Lichtstrahlen auf der Haut und im Raum hinterlassen.

ArToll Kunstlabor in der LVR Klinik Bedburg-Hau
Der Schwerpunkt der Ausstellung im Zuge des Sommerlabors liegt erstmals auf der Fotografie. Ebenfalls zu sehen sind Bilder von Studentin Hannah Glaser. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

„Der Schwerpunkt des Sommerlabors liegt erstmalig auf der Fotografie“, so Carla Gottwein. Deswegen umfassen die Arbeiten der Studierenden auch zahlreiche Aufnahmen und Videoinstallationen. Auch Arbeiten von Prof. Judith Samen sind dabei. In ihren Fotografien greift sie Alltagserfahrungen auf. „Hier vor Ort im ehemaligen Klinikgebäude wollte ich mich mehr mit Prozessen von körperlicher und geistiger Verletzlichkeit und Heilung beschäftigen“, so die Künstlerin. Entstanden sind verschiedene Aufnahmen von Personen, die die klassischen Körperbilder aufbrechen und so eine neue Sicht auf den Körper ermöglichen sollen.

Die Ausstellung „Helle Nächte und Wassereis“ ist noch bis zum 1. September zu sehen. Der Titel ist dabei eine kleine Hommage am Arbeitsprozess vor Ort. „Hier wurde teilweise bis in die späten Abendstunden und die Nacht hineingearbeitet und das dann auch noch bei der Hitze, wo auch schon mal das ein oder andere Eis zusammen gegessen wurde“, sagt Gottwein.

Die Ausstellung kann samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr im ArToll Kunstlabor, Zur Mulde 10, besucht werden. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.