Emmerich/Berlin. Evan Tepest kommt aus Emmerich, lebt in Berlin und hat nun seinen ersten Roman geschrieben. Wieso das Buch „knallgegenwärtig“ ist.

In zwei Minuten ruft er zurück, schreibt Evan Tepest, gerade wartet er noch auf seinen Kaffee... Dann aber ist es so weit! Der Emmericher, den es nach Berlin gezogen hat, klingelt durch. Im Hintergrund sind die Geräusche der Großstadt zu hören, in der er seit einigen Jahren lebt – und in der er auch seinen ersten Roman veröffentlicht hat: „Schreib den Namen deiner Mutter“. Dabei hat die Karriere des 35-Jährigen einst am Niederrhein begonnen.

Herr Tepest, eigentlich sind Sie ja ein Kollege...

Genau, bei mir fing alles mit einer Schülerzeitung in Emmerich und mit einem Schülerpraktikum bei der NRZ an. Bei der NRZ in Emmerich und später in Kleve bin ich auch bis zu meinem Abitur geblieben. Bei meinen Terminen war alles Mögliche dabei, zum Beispiel kann ich mich noch gut an ein Motorradrennen erinnern, wofür ich bis nach Holland gefahren bin (lacht).

Dann aber hat es Sie weggezogen?

Ich habe mal Jura studiert und bin dafür nach Berlin gezogen. Danach bin ich zu Arabistik in Leipzig gewechselt, habe auch in Kairo und im Libanon gelebt, bevor ich meinen Master in Schweden gemacht habe. Seit 2018 lebe ich wieder in Berlin.

Das Schreiben hat Sie aber nicht losgelassen...

In Studienzeiten habe ich wieder angefangen, journalistisch zu arbeiten, beispielsweise für das Missy Magazine. Ich habe auch viel für die Taz oder die Süddeutsche Zeitung über Literatur und für den Tagesspiegel über queere Themen geschrieben. Das war eine schrittweise Annäherung bis hin zum klassischen Roman. Eine Weile habe ich das aber nur nebenbei gemacht, weil ich beruflich für eine Linken-Abgeordnete im Bundestag gearbeitet habe. Als die Linke bei der letzten Wahl nicht mehr in den Bundestag gekommen ist, hatte ich zwar noch verschiedene Job-Angebote im politischen Bereich. Aber da habe ich gedacht: Jetzt ist der Zeitpunkt, mich zu trauen und es zu hundert Prozent mit dem Schreiben zu versuchen.

Und es hat geklappt!

Ja, ich habe in einem Jahr zwei Bücher geschrieben.

Evan Tepest, der aus Emmerich stammt, hat das Buch „Schreib den Namen deiner Mutter“ geschrieben.
Evan Tepest, der aus Emmerich stammt, hat das Buch „Schreib den Namen deiner Mutter“ geschrieben. © Piper Verlag

Erst die Essaysammlung „Power Bottom“ und dann den Debütroman „Schreib den Namen deiner Mutter“, den der Verlag Piper als „knallgegenwärtiges Debüt über familiäre Leerstellen“ beschreibt. Wieso ist es so „knallgegenwärtig“?

Hmm (überlegt kurz)... In meiner Generation und vielleicht auch in anderen Generationen, aber die Millennials kenne ich nun mal am besten, gehen viel mehr Menschen in eine Therapie oder beschäftigten sich mit der Familiengeschichte als beispielsweise noch die Generation der Boomer. Und wenn solche Gespräche stattfinden und Heilungsprozesse beginnen, kann es immer sein, dass das Gegenüber andere Vorstellungen davon hat, wie Dinge behandelt werden sollten. Das ist natürlich eine nicht so leicht zu lösende Situation. Diese aber nicht geradlinig, sondern mit einem gewissen Humor oder auch einer Selbstironie anzugehen, damit können hoffentlich viele Menschen etwas anfangen.

In dem Buch geht es um Alex, die nach dem Tod ihres Großvaters in die niederrheinische Provinz zurückkehrt. Dort setzt sie sich intensiv mit der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter auseinander. Wieso hat Sie die Tochter-Mutter-Beziehung so interessiert?

Es gibt ja viele Kulturprodukte, die sich mit der Ur-Beziehung zwischen Tochter und Mutter beschäftigen. Was mich jedoch interessiert hat, ist, eine andere Geschichte zu erzählen, die nicht so dramatisch ist und für mich dadurch viel realistischer erscheint. Beispielsweise, wenn jemand das Gespräch sucht, aber es vorher schon eine Ablenkung gibt. Es geht also auch um Fragen wie: Welche Voraussetzungen braucht es überhaupt, um sprechen zu können?

Wie lässt sich denn eine Sprachlosigkeit der Figuren mit der Sprache eines Romans darstellen?

Das war eine sehr krasse Feinarbeit! Ich habe mit meinem Lektor an Sätzen und an deren Positionierung gefeilt, um den Fokus auf Alltagsbewegungen zu legen. Was dann überhaupt noch gesagt wird, wird symbolisch total aufgeladen. Beispielsweise gibt‘s eine Situation, in der die Mutter in der Küche einen Apfel schneidet und ihn Alex anbietet, die aber ablehnt. Daraufhin spült die Mutter sofort alles ab. Die Mutter hat also einen fürsorgerischen Impuls, aber das kann Alex einfach nicht annehmen.

Alex sagt an einer Stelle: „Ich glaube, ich bin keine Frau.“  Wie geht‘s danach weiter?

Die Transidentität ist nicht zentral, aber spielt natürlich trotzdem eine Rolle im Buch. Nach der Aussage verändern sich die Pronomen: Wenn vorher noch von „sie“ und „ihr“ die Rede war, werden danach nur noch geschlechtsneutrale Pronomen verwendet. Ich fand, dass das eine schöne Technik ist und fast etwas Spirituelles hat. Denn es ist eine wohlmeinende Erzählinstanz, die sagt: ‚Ich ändere die Pronomen deinem Wunsch entsprechend, auch wenn du dich selbst noch nicht so richtig traust.‘ Danach nimmt die Erzählung auch weiter an Fahrt auf, unter anderem kommt es zu einer dramatischen Situation auf einem Schützenfest...

Queerness, gerade auch eine Transidentität, ist auf dem Dorf nochmal etwas anderes als in der Großstadt. Welche Erfahrungen haben Sie selbst damit gemacht?

Als ich in Emmerich aufgewachsen bin, gab‘s noch kein Social Media. Mittlerweile haben Jugendliche vielleicht einen anderen Zugang zu solchen Themen, sodass sich bei der Frage nach der Sexualität wahrscheinlich schon vieles verändert hat. Also, wenn jemand lesbisch oder schwul ist, aber eine Ausbildung gemacht und ein Haus gekauft hat, dann ist das mittlerweile akzeptierter. Dagegen wird Transidentität immer noch als etwas sehr Ungewöhnliches wahrgenommen. Für mich war das lesbische Coming-Out auch nicht einfach, aber das trans* Coming-Out hat nochmal länger gedauert. Ich weiß noch, wie ich, nach meinem ersten Coming-Out, in der Oberstufe nur hohe Schuhe getragen habe, damit ich mich nicht noch angreifbarer mache. Je mehr Abweichungen es gibt, desto schwieriger wird es. Transidentität bringt eine Hypersichtbarkeit mit sich, durch die oft sehr intime Fragen beispielsweise zur Operation oder zur Sexualität aufkommen.

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Sie gehen selbst aber offen mit Ihrer Transidentität um, gerade in den Sozialen Medien.

Für mich ist das eine Flucht nach vorne. Ich öffne Räume der Intimität, um gleichzeitig bestimmte Sachen auch nicht zu sagen.

Nimmt Ihr nächster Roman das Thema noch mehr in den Fokus?

Alles, was ich schreibe, hat etwas mit mir zu tun. Deshalb ist es naheliegend, mich auch mit der Transidentität zu beschäftigen. Wahrscheinlich schreibe ich aber nach der Sommerpause erst wieder ein Sachbuch und danach einen Roman, das scheint mein Rhythmus zu sein.

Das Buch „Schreib den Namen deiner Mutter“

Das Buch „Schreib den Namen deiner Mutter“ von Evan Tepest ist im Piper Verlag erschienen, hat 192 Seiten und kostet 22 Euro.

Evan Tepest ist Kolumnist für das Missy Magazine und lehrt im kommenden Semester auch als Dozent für Essayistik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Weitere Infos: www.evantepest.com

Danke für Ihre Zeit, Herr Tepest! Und genießen Sie noch Ihren Kaffee.

Danke (lacht). Und gerne, für die NRZ doch immer!