An Rhein und Ruhr. Eine Umfrage der Ärztekammer hat ergeben, dass Gewalt gegen Ärzte längst kein Einzelfall mehr ist. So nehmen Kliniken die Situation wahr.
Beleidigungen, Rumgeschreie oder sogar Tritte gegen Mülleimer. „Die Gewalt gegen ärztliche Kollegen eskaliert“, betont Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Wie eine Umfrage der Ärztekammer gezeigt hat, sei Gewalt gegenüber Ärztinnen und Ärzten längst kein Einzelfall mehr. Der ÄKWL-Präsident zeigt sich schockiert und betont: „Wir können und dürfen dieses Thema gesellschaftlich nicht länger ignorieren.“
Gewalt gegen das Klinikpersonal kommt am häufigsten in den Notaufnahmen vor
Andere Studien, die sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So auch eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts. Aus dieser geht zudem hervor, dass bei der Hälfte der Häuser solche Übergriffe auf Krankenhausmitarbeiter häufiger in den Notfallambulanzen stattfinden.
Ergebnisse der Umfrage der Ärztekammer Westfalen-Lippe
An der Umfrage haben insgesamt 4.513 Kammerangehörige teilgenommen. 2.917 davon haben auf die Frage, ob sie schon einmal in ihrem ärztlichen Alltag Gewalt erfahren mussten, mit „Ja“ geantwortet. Dabei handelte es sich in 2.676 Fällen um verbale Gewalt und in 1.015 Fällen um körperliche Gewalt.
1.354 Fälle sollen sich im stationären Bereich ereignet haben, 1.339 im ambulanten Bereich und 254 im Rettungsdienst. Hauptsächlich ging die Gewalt von Patienten (2.159 Fälle) oder Angehörigen (1.563 Fälle) aus.
Ähnliches beobachten die Kliniken in der Region. „Bei uns kommt es nur selten zu solchen Gewalttaten“, betont Tobias Pott, Sprecher der Uniklinik Düsseldorf. „Kommt es jedoch zu einer Gewalttat, dann ist vor allem die Notaufnahme betroffen.“ Körperliche Gewalt käme seltener vor als verbale. „Wir hatten mal vor ungefähr drei Jahren einen Fall, wo ein Angehöriger mal mit einem Buttermesser herumhantiert hatte“, erinnert sich Pott. „Das ist aber ein Einzelfall. Was eher bei uns vorkommt, ist ein ungebührliches Verhalten.“ Sprich: Dass sich Patienten oder dessen Angehörige aufregen, lauter werden oder sich nicht ganz so respektvoll verhalten.
Und auch in den Krankenhäusern des VKKD (Verbund katholischer Kliniken Düsseldorf) kommt Gewalt gegenüber dem Krankenhauspersonal vor. „Hauptsächlich in den Notaufnahmen der innenstadtnahen Akuthäuser, also dem Marien Hospital und St. Vinzenz-Krankenhaus“, so eine Sprecherin. „Unsere Ärzte und Pflegekräfte werden hier teils heftig beleidigt oder bedroht.“ In solchen Situationen versucht das Personal deeskalierend zu reagieren, indem sie die aggressiven Patienten aus den Räumlichkeiten begleiten – „auch damit z.B. keine Geräte zerstört werden können“ – oder um für einen Wechsel der Ansprechpartner zu sorgen. Sollten die Maßnahmen nicht greifen, wird die Polizei gerufen. Zudem unterstützt im Marien-Hospital jede Nacht ein Sicherheitsdienst das Personal.
Pflegekraft bemerkt, dass Gewalt gegenüber dem Personal in den letzten Jahren zugenommen hat
In der Zentralen Notaufnahme der Sana-Kliniken in Duisburg habe man hingegen in den letzten Monaten einen Anstieg an „verbalen Angriffen“ auf Mitarbeitende wahrgenommen, so der ärztliche Direktor Prof. Dr. Markus Schmidt. „Hin und wieder kommt es auch schonmal zu einer kleineren Sachbeschädigung, wie einem Tritt gegen einen Mülleimer. Tätliche Angriffe sind bisher aber die absolute Ausnahme.“ Für die Mitarbeiter gebe es regelmäßige interne Schulungen, „um in eventuellen Ausnahmesituationen die Ruhe zu bewahren und möglichst deeskalierend zu agieren“, so der ärztliche Direktor. Zudem sei auch dort ein Sicherheitsdienst im Einsatz.
- Lesen Sie auch: Kreis Wesel: Polizei und Retter spüren rauen Umgangston
Doch wie erlebt das Pflegepersonal die Situation? Sarah Goebel arbeitet seit vier Jahren als Pflegekraft in der Notaufnahme der Uniklinik in Essen. „Man merkt schon, dass Gewalt gegenüber uns als Personal in den letzten Jahren zugenommen hat.“ Das lege ihrer Einschätzung nach daran, dass viele Leute das Gesundheitssystem nicht verstehen würden. „Viele, die zu uns kommen, wollen von einem Facharzt behandelt werden. Dabei müssen sie dafür eigentlich zu ihrem Hausarzt, um eine Überweisung zu erhalten“, so Goebel. Doch bis man einen Termin bekommt, würde es oft länger dauern. „Wir in der Notaufnahme sind aber eigentlich dazu da, akute Notfälle zu behandeln. Und wenn es sich dann um keinen handelt, denken die Leute schnell, dass man ihnen nicht helfen wolle.“
Man werde dann auch mal angeschrien oder beleidigt. „Ich glaube, ich wurde schon mit ziemlich allen Beleidigungen konfrontiert“, so die 27-Jährige. „Auch wird man als unfähig oder inkompetent bezeichnet.“ Laut Goebel würde jede Pflegekraft in ihrer Laufbahn einmal verbale oder körperliche Gewalt erleben. „Man hat immer ein bisschen Angst, wenn man zur Arbeit geht. Man weiß nämlich nie, ob nicht heute der Tag ist, an dem etwas passiert.“
- Lesen Sie auch: Kliniken im Kreis Wesel kämpfen um die Zukunft
Auch die Mitarbeitenden der Notaufnahme im Bethanien Krankenhaus in Moers erleben übergriffiges Verhalten. Die Ursache ist oftmals dieselbe. „Die Vorstellung in der Notaufnahme ist für den Patienten oft mit Unsicherheit und Angst verbunden. Wenn dann lange Wartezeiten und das Unverständnis für die Prozesse einer Notaufnahme hinzukommen, läuft das Fass gelegentlich über“, erklärt eine Krankenhaus-Sprecherin. Körperliche Gewalt sei jedoch eher selten. „Falls es zu solchen Vorkommnissen kommt, dann treten diese meist abends, am Wochenende und bei intoxikierten oder psychiatrisch auffälligen Patienten oder Angehörigen auf.“
Ärztekammer fordert ein flächendeckendes Meldesystem
Doch wie lässt sich der Entwicklung entgegenwirken? Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein betont: „Wichtig ist, dass wir ein Bewusstsein in der Gesellschaft wecken, dass verbale wie tätliche Übergriffe nicht nur die vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung nachhaltig beschädigen, sondern auch dazu führen, dass sich Ärztinnen und Ärzte ohne Sicherheitsschutz in Notaufnahmen oder Notfallpraxen nicht mehr sicher fühlen und dort aus Angst nicht mehr arbeiten wollen.“ Henke fordert, dass die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung im Krankheitsfall gestärkt werden muss, inklusive einer Aufklärung über die sachgerechte Inanspruchnahme der Akut- und Notfallversorgung.
„Ich glaube, ich wurde schon mit ziemlich allen Beleidigungen konfrontiert.“
Im April 2021 wurde zudem eine Strafrechtsverschärfung umgesetzt: „Hilfeleistende eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme wurden dabei im Paragrafenteil des Strafgesetzbuches integriert. Das ist gut, aber leider noch nicht ausreichend. Unabhängig vom Tätigkeitsort und Einsatzgebiet müssen alle Ärzte stets dem Schutz dieses Gesetzes unterliegen. Dafür werden wir uns als Kammer gegenüber der Politik einsetzen.“
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe fordert zudem ein flächendeckendes Meldesystem. Darin sollten Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt im Gesundheitswesen konsequent angezeigt sowie Erkenntnisse gewonnen werden, wie und mit welchen präventiven Maßnahmen solche Gewaltakte verhindert werden können.