Düsseldorf. Der Gutenachtbus versorgt immer mehr Obdachlose. Wie ein Einsatz für die Ehrenamtlichen abläuft und was die Hilfe für die Betroffenen bedeutet.
Mit einem kräftigen Handschlag begrüßt Massoud Jabbari-Arfaei Mohamed. „Alles gut bei dir heute?“ fragt er ihn. Mohamed nickt. „Na dann hol dir erstmal eine Suppe ab.“ Wieder ein Nicken und schon verschwindet er in der Schlange. Wenige Minuten später hält Mohamed eine kleine Plastikschale in den Händen. Dieses Mal gibt’s eine rote Gemüsesuppe mit Wursteinlage. Sie dampft noch. „Schmeckt gut“, sagt der 40-Jährige und lächelt. Zweimal pro Woche sucht er den Gutenachtbus in der Düsseldorfer Altstadt auf. Hier gibt es neben einer heißen Suppe und belegten Brötchen, Wasser, Kaffee, warme Kleidung – und vor allem ein offenes Ohr.
Seit elf Jahren steuert der Gutenachtbus, ein Projekt des Vereins „Vision:teilen“ in Kooperation mit dem Straßenmagazin „fiftyfifty“ von montags bis freitags um 22 Uhr die Altstadt, kurz vor Mitternacht dann den Hauptbahnhof an, um Obdachlose mit Essen und Kleidung zu versorgen. Die Zahl der Bedürftigen steige derzeit deutlich an. „Wir bekommen die Folgen der angespannten wirtschaftlichen Situation sehr stark zu spüren“, erklärt Daniel Stumpe, Büroleiter des Düsseldorfer Vereins.
Zahl der Bedürftigen am Gutenachtbus nimmt kontinuierlich zu
Rund 120 Gäste versorgt das Gutenachtbus-Team jede Nacht. Tendenz steigend. Vor einem Jahr waren es im Schnitt noch 70 bis 80. „Schon während Corona haben wir einen Zuwachs gespürt. Viele haben ihren Job verloren, sind dadurch in eine Schieflage geraten“, erinnert sich Stumpe. Jetzt sei es die Inflation. Wer vorher schon nicht viel Geld hatte, sei jetzt noch schlechter dran. „Am Ende des Monats stehen mittlerweile auch oft Rentner bei uns am Bus, die nicht zwingend wohnungslos sind, aber kein Geld mehr für Kleidung oder Lebensmittel haben.“
Der Gutenachtbus finanziert sich durch Spenden. Dass das Land NRW die „Kältehilfen“ in diesem Jahr von 400.000 Euro auf 850.000 Euro verdoppelt hat, ist für David Stumpe aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Große Anschaffungen seien auch damit nicht möglich. „Das ist einfach zu wenig für ein komplettes Bundesland“, sagt er.
Einen Zuschuss von 6000 Euro habe der Verein von den „Kältehilfen“ für Schlafsäcke beantragen können. „Ein guter Winterschlafsack, der Temperaturen von bis zu minus 21 Grad erträglich macht, kostet schon 40 bis 50 Euro.“ 120 Schlafsäcke können davon also gekauft werden. „Wir haben ja schon in einer Nacht bis zu 120 Gäste“, gibt Stumpe zu bedenken.
Feiernde Altstadtbesucher und wartende Bedürftige an einem Ort
Vor Ort könnte die Situation um kurz vor 22 Uhr an der Dominikanerkirche gegensätzlicher nicht sein. Während die Altstadtbesucher keine 50 Meter entfernt ausgelassen in den Clubs und Bars feiern, freuen sich die wartenden Obdachlosen über die vermutlich erste richtige Mahlzeit des Tages, die sie am Gutenachtbus gleich bekommen werden. Wenig später fährt der Bus vor. Das Team hat den Motor des umgebauten Sprinters noch gar nicht abgestellt, da bildet sich schon eine Schlange vor dem Bus. „Geht gleich los“, ruft Teamleiter Gerhard Bormes in die Runde.
Es regnet. Das stört hier aber niemanden. Schnell werden die Türen geöffnet, der schwarze Klapptisch aufgestellt. Mehr braucht es nicht. Das Team beginnt die Suppe, die ein Düsseldorfer Restaurant gekocht und zur Verfügung gestellt hat, auszugeben. Wer möchte bekommt außerdem noch eine abgepackte Tüte mit gespendeten Backwaren.
Knapp 240 Menschen leben in Düsseldorf dauerhaft auf der Straße
Kurz nach Beginn der Ausgabe kommen zwei Beamte vom Ordnungsamt vorbei. Wie immer. Es ist Routine. Sie prüfen die Ausnahmegenehmigungen der Ehrenamtler, damit diese ihre Autos nah am Gutenachtbus abstellen dürfen. Auch darin befinden sich noch Decken oder Schlafsäcke, die nicht mehr in den Bus gepasst haben.
Der Bedarf an warmer Kleidung ist hoch. „Gerade jetzt brauchen die Menschen auf der Straße eine vernünftige Jacke, Decken und warme Getränke“, sagt Bormes. Die Kältewelle in der vergangenen Woche hätte vielen Obdachlosen besonders zugesetzt. 239 Menschen leben – laut aktueller Zählung des Vereins „Vision:teilen“ – in Düsseldorf dauerhaft auf der Straße.
In den ersten Minuten sind schon gut 40 Gäste versorgt. Das Gutenachtbus-Team spricht von Gästen, nicht von Bedürftigen. Die meisten von ihnen nehmen ihre Essensration entgegen und sind so schnell wieder weg, wie sie gekommen sind. Einige andere bleiben vor Ort. Essen gemeinsam, unterhalten sich noch mit den ehrenamtlichen Helfern.
Ein versuchter Diebstahl direkt vor dem Gutenachtbus
Dann aber kippt die friedliche Stimmung plötzlich. Ein Obdachloser versucht einem anderen den Trolly mit seinem Hab und Gut zu stehlen. Massoud Jabbari-Arfaei sieht das. Er eilt dem Dieb hinterher, greift ein und kriegt die Lage schnell wieder in den Griff. Der Sozialarbeiter und Einsatzleiter des Gutenachtbusses ist eine Respektsperson. Das wird schnell deutlich.
„Der Gutenachtbus ist sehr wichtig für uns“, betont auch Mohamed. „Er gibt uns Sicherheit, auch abends noch etwas zu essen zu bekommen.“ Der 40-Jährige hat selbst lange Zeit auf der Straße gelebt, wie er sagt. Mittlerweile ist er in einem kleinen Zimmer untergekommen, das ihm die Stadt vermittelt habe. Zum Gutenachtbus kommt er weiterhin gerne – nicht nur wegen der warmen Mahlzeit. „Im Laufe der Jahre lernt man sich hier kennen. Hier muss man niemandem seine Situation erklären, man ist unter sich, man kann einfach mal reden.“
Nach einer knappen Stunde packt das Team allmählich wieder zusammen. Es geht weiter zum zweiten Einsatzort, dem Düsseldorfer Hauptbahnhof. „Dort haben wir meistens ein ganz anderes Klientel“, erzählt Sozialarbeiter Massoud Jabbari-Arfaei. „Viele sind stark drogenabhängig.“ Es ist eine Feststellung, keine Wertung, die der Sozialarbeiter vornimmt. Auch hier begrüßt er einige seiner Gäste mit einem freundlichen Handschlag.
>>>Energiekrise: Kommunen an Rhein und Ruhr beschäftigen sich mit Wärmeräumen
Trotz der eisigen Temperaturen in den vergangenen Tagen sind die Gasspeicher in Deutschland noch zu rund 88 Prozent gefüllt. Die Bundesnetzagentur spricht von einer stabilen Gasversorgung, insgesamt sei die Lage aber weiterhin angespannt. Auch die Krisenstäbe an Rhein und Ruhr verfolgen die Meldungen der Bundesnetzagentur. Die kommunalen Notfallpläne sehen zum Beispiel vor, im Falle eines Stromausfalls oder Gasmangels sogenannte Wärmeinseln, also öffentlich zugängliche Anlaufstellen einzurichten, in denen sich Menschen aufwärmen könnten.
In Essen beschäftige sich der Krisenstab der Verwaltung zur Gasmangellage mit dem Thema. Ob es sich dabei später um Wärmeinseln handeln wird oder es eine andere Bezeichnung geben werde, bleibt abzuwarten, teilt ein Sprecher mit. „In jedem Fall soll es Anlaufstellen im Stadtgebiet geben, die nach Möglichkeit fußläufig für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen sind und wo sie insbesondere Informationen bekommen.“
Duisburg und Moers könnten kurzfristig Wärmeinseln einrichten
Die Stadt Duisburg plane zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit sogenannten Wärmeinseln. Der Katastrophenschutz ist jedoch darauf vorbereitet, die im tatsächlichen Ereignisfall betroffenen Personen zu versorgen. „Sollte es zum Ausfall der Gas- oder Wärmeversorgung in einem Straßenzug oder in einem Stadtteil kommen, würden ortsnahe Unterbringungsmöglichkeiten eingerichtet, in welchen dann die betroffenen Menschen warm untergebracht und auch mit Nahrungsmitteln versorgt würden“ heißt es auf Anfrage der Redaktion.
In Düsseldorf gibt es hingegen keine Pläne zur Einrichtung von Wärmeinseln. Auch für die Stadt Moers gebe es aktuell keine Anzeichen dafür, dass Wärmeinseln oder Wärmeräume nötig seien. „Falls dies aber der Fall sein sollte, könnten wir kurzfristig öffentliche Gebäude für diesen Zweck zur Verfügung stellen. Die Wahrscheinlichkeit schätzen wir aber momentan als äußerst gering ein. Deshalb ist auch noch nicht final entschieden, welche Gebäude wir nutzen würden“, erklärt ein Stadtsprecher.
Kreis Kleve bereitet „Leuchttürme“ für Notsituationen vor
Der Kreis Kleve bereitet derzeit in Zusammenarbeit mit den 16 Städten und Gemeinden so genannte „Leuchttürme“ vor, die alle Kommunen bereithalten werden. Es handelt sich dabei nicht um klassische „Wärmeinseln“, sondern allgemeine Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger, bei denen sie im Notfall Informationen und Hilfsangebote bekommen würden. „Wärmeinseln können diese „Leuchttürme“ aber ergänzen oder an diese angedockt werden“, teilt der Kreis Kleve mit.
Die konkrete Ausgestaltung dieser Anlaufstellen ist jedoch Aufgabe der Städte und Gemeinden. Die jeweiligen Standorte der „Leuchttürme“ sollen in Kürze veröffentlicht werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass „Leuchttürme“ (mit oder ohne Wärmeinseln) aufgrund der Energiemangellage in diesem Winter genutzt werden müssen, könne seitens des Kreises Kleve nicht beziffert werden. Allerdings sollen diese Anlaufstellen auch dauerhaft in anderen Notsituationen und Krisen zur Verfügung stehen.