Eibergen. Weil auf niederländischem Campingplatz Luxus-Unterkünfte gebaut werden sollen, müssen langjährige Mieter gehen. Doch die wollen nicht.
Neulich rückten frühmorgens Bagger an und holzten alles ab. Kahlschlag im Auftrag des Investors. Eine Genehmigung hatte die Firma nicht, doch sie schuf Tatsachen. Die Botschaft: Die Tage dieses Campingplatzes sind gezählt, Widerstand ist zwecklos. Erst als sich einige Camper den Maschinen in den Weg stellten und die Polizei riefen, rückten die Bagger ab. Die Stämme ließen sie liegen. Schluss mit Gemütlichkeit.
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Eine der letzten, die es auf dem niederländischen Platz „De Fontein“ aushalten, ist Cristi Kluivers. An einem grauen Novembernachmittag läuft die 71-Jährige an verlassenen Wohnwagen vorbei durch den Matsch und wird mit der ganzen Brutalität der Situation konfrontiert. Die meisten Dauercamper haben das Gelände schon verlassen. Die, die noch da sind, leiden schwer. Kluivers spricht die vereinzelten Spaziergänger an, sie will den Kampfgeist stärken. Zusammen schimpfen sie über den Investor, der ihre zweite Heimat in einen Ferienpark für Besserverdiener verwandeln will. Eine Frau bricht in Tränen aus. Kluivers legt ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Sie muss viel Trost spenden in letzter Zeit.
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Neue Eigentümer wollen Luxus auf dem Campingplatz
Die Wohnmobilisten weinen um ihren Garten Eden. „De Fontein“ liegt an einem von Wald umgebenen Badeweiher zwischen Winterswijk und Enschede. Ein paar Gassen mit Wohnwagen und Chalets rechts und links, ein Waschhäuschen, ein kleiner Strand. Viele der Mieter kommen seit knapp 30 Jahren. Damit soll es bald vorbei sein. Die früheren Betreiber haben das Gelände verkauft, der neue Eigentümer plant den großen Wurf: Der Platz soll geräumt werden, um dort Luxus-Unterkünfte zu bauen. Bis Jahresende müssen die Camper gehen. Ein kleiner rebellischer Haufen wehrt sich.
Die Niederländerin Cristi Kluivers ist eine der Anführerinnen. Sie fühlt ihre Existenz bedroht. Die Fotokünstlerin – schwarzer Mantel, schwarzer Hut – hat in einem Anbau ihrer Hütte ein Atelier eingerichtet. Kluivers sagt: „Die Unterkünfte, die hier entstehen sollen, können sich nur Reiche leisten. Künstler und Arbeiter will man nicht mehr haben.“ Hilfe erhält sie von ihrem gleichaltrigen guten Freund Leo Schilderinck. Beide sind zusammen im nahen Eibergen aufgewachsen. Dann zog es sie in die Stadt – sie ging nach Amsterdam, er nach Rotterdam. Jahrzehnte später sehnten sie sich nach dem ruhigen Leben in der Heimat – und trafen sich auf „De Fontein“ wieder. „Ein Atelier mit 30 Quadratmetern kostet in Amsterdam mindestens 1500 Euro Miete“, klagt Kluivers. Sie kann sich nur ihr Mobilhaus am See leisten. Die langjährigen Freunde haben einen Anwalt und die Lokalpolitik eingeschaltet und werden bleiben, solange es geht. „Wir wollen“, sagt Schilderinck, „unseren Lebensabend hier verbringen.“
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Ferienhaus in Holland ab 239.000 Euro
Die Metanoia-Gruppe hat etwas dagegen. Der Projektentwickler aus der Provinz Flevoland beschreibt die Pläne so: Dort wo sich „derzeit noch“ der Campingplatz befinde, „wird eine komplett neue Ferienanlage errichtet. Mit einem modernen, luxuriösen Erscheinungsbild und einem wundervollen Strandfeeling wird die Anlage alles andere als gewöhnlich sein.“ Die mehr als 100 neuen Ferienhäuschen sollen zwischen 239.000 und 339.000 Euro kosten. Die Bauarbeiten beginnen nach Metanoia-Angaben planmäßig 2025.
Hunderttausende Euro für ein Ferienhaus fernab der Küste? Kluivers und ihre Mitstreiter fragen sich, wer das bezahlen soll. Niederländische Campingplätze sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus von Kriminellen geraten. Vor einem knappen Jahr etwa musste der aus dem holländischen Reality-TV bekannte Unternehmer Peter Gillis (62) einen Ferienpark bei Eindhoven schließen, weil die Behörden ihm Steuerbetrug vorwarfen. Der Journalist John van den Heuvel (61) spricht von einer „Camping-Mafia“, die in die Jahre gekommene Plätze aufkaufe und saniere, um Schwarzgeld zu waschen. „Plätze werden zunehmend umgewidmet, die Dauercamper werden zurückgedrängt“, sagt Thomas Reimann vom Campingportal Pincamp zu dieser Redaktion.
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Seit 30 Jahren besitzen die Deutschen ein Ferienhaus in Holland
Nicht nur Holländer, auch einige Deutsche sind betroffen. Der frühere Bergmann Manfred Gnip etwa, der auf „De Fontein“ mit seiner Frau ein weißes Häuschen mit umzäuntem Garten am Ufer bewohnt. „Zehn Monate im Jahr“ verbrächten sie in den Niederlanden, nur wenn es allzu kalt ist, fahren sie heim nach Herten. Der 67-Jährige, mittlerweile in Rente, schwärmt von der „tollen Gemeinschaft“ unter den Campern. Einen vergleichbaren Alternativstandort werde er kaum finden.
Bei einem Kaffee mit Kokosmilch in ihrem Wohnzimmer erzählen Theo und Martina Furtmann, warum sie vor 30 Jahren nach Holland kamen. „Damals waren unsere Kinder noch klein und konnten draußen herumlaufen. Es ist total ruhig am See“, berichten sie, während der Ofen den Raum wärmt. Sie wohnen im Westmünsterland, nur eine halbe Autostunde entfernt. Seit das Ehepaar das Berufsleben hinter sich gebracht hat, verbringt es fast jede Minute drüben. „Ich fahre nur nach Bocholt, wenn ich zum Arzt muss oder mich mit meinen Kegelbrüdern treffe“, sagt Theo Furtmann. Sie haben Angst, ihren Sehnsuchtsort zu verlieren. Zwar steht das Haus ein paar Meter vom Platz entfernt und wird nicht abgerissen. Die Furtmanns könnten also bleiben. Aber wollen sie das? „Es fühlt sich doch niemand wohl, wenn rundherum alles weggebaggert wird.“
Cristi Kluivers, die kämpferische Künstlerin, fühlt sich wie die letzte Mohikanerin. „Ich träume davon, dass wir Camper den Platz zurückkaufen. Vielleicht können wir das über Crowdfunding finanzieren.“ Sie hofft, dass ein Gericht die Gentrifizierung stoppt. Die Zeit wird knapp.