Kreis Wesel. Neucamper erwarten am Niederrhein Service wie im Hotel, die Preise klettern und alte Regeln sind ausgesetzt. Warum kleinen Plätzen der Ruin droht.
In der Campingwelt hat sich einiges getan. Altcamper beklagen einen allgemeinen Sittenverfall am Platz, Neueinsteiger stellen andere Ansprüche als noch die Generationen vor ihnen. Zudem klettern munter die Preise für Parzelle und Strom, mal berechtigt, mal nicht. Wir haben mit Leo Ingenlath, gesprochen, er betreibt den Campingplatz Kerstgenshof in Sonsbeck. Als Vorsitzender des Fachverbandes der Freizeit- und Campingunternehmer NRW kennt er die Branche gut. Und die steht vor anderen Problemen als bloßen Verstößen gegen die Etikette.
„Das Campingverhalten hat sich verändert“, hat auch er festgestellt, Corona sei nur einer der Gründe dafür. „Es wurden mehr Wohnmobile und Caravans verkauft. Vor zehn Jahren noch hatten wir Leute, die durch ihre Kindheit oder Freunde zum Campen gekommen sind“, sagt Ingenlath auf Anfrage. „Jetzt haben wir zahlreiche Gäste, die vorher Pauschaltouristen waren.“ War es früher normal, dass man seine Hilfe den Nachbarn anbietet, haben viele neue Gäste diese Kultur nicht übernommen, bedauert er. Das sei schade, denn „Kommunikation macht Camping aus“. Man grüße nicht, helfe nicht und benötige wegen der modernen Fahrzeuge selbst kaum Unterstützung.
Gäste erwarten einen 24-Stunden-Service wie im Hotel
Falls doch, machen auch die Platzbetreiber neue Erfahrungen: „Ist früher mal der Strom ausgefallen, hat man nebenan gefragt.“ Jemand wusste dann Rat, hat etwa die Sicherung wieder eingedreht oder den sensiblen Stecker fixiert. „Inzwischen greift man zum Handy und ruft die Rezeption an, damit jemand vorbeikommt.“ Gern rund um die Uhr. „Ein Gast hat um 3 Uhr nachts deshalb angerufen. Um 8 Uhr stand er dann auf dem Hof.“ Warum er die Sicherung nicht wieder eingeschaltet hat – sie sei gut ausgeschildert gewesen? Das sei nicht seine Aufgabe. Ein Trend: Gäste erwarteten auf dem Campingplatz Hotel-Service mit 24 Stunden besetzter Rezeption.
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Liegt das vielleicht daran, dass die Preise deutlich angezogen haben? Ingenlath räumt ein, dass heute ein Campingplatz meist mehr kostet als früher eine einfache Pension etwa in der Uckermark oder der Eifel, dabei gibt es nicht mal Frühstück und Bettwäsche. Zudem gebe es Plätze, die investieren, aber auch „gruselige, die seit 50 Jahren nichts getan haben und trotzdem die Preise anheben“, auch im Kreis Wesel. Teuer wurde nicht nur das Campen, auch viele Betreiber rechneten in der Regel spitz. Für Ärger sorgen beispielsweise hohe Energiepauschalen, in seltenen Fällen bis zu acht Euro pro Nacht. „Das ist in der Höhe zu hinterfragen“, sagt Ingenlath.
Strompauschale sorgt zunehmend für Ärger unter den Campern
Aber: Wer in der Hochpreisphase langfristige Versorgungsverträge unterschrieben habe, sei jetzt in einer schwierigen Situation. Bei der Pauschale pro Nacht hat das Nachsehen, wer wenig verbraucht. „Manche haben Klimaanlage, Tiefkühler, es wird Warmwasser vorgehalten und weil es eine Pauschale ist, statt der Heizung das E-Öfchen angeworfen“, zählt Ingenlath die Tücken auf. Stromfresser und Stromsparer als Nachbarn, da wird eine faire Kalkulation schwierig. Die Lösung scheint simpel: verbrauchsabhängige Abrechnung. Der Kerstgenshof arbeite so, aber „dahinter steckt eine mordsteure Technik“. Es geht nicht allein um die Zähler, viele Plätze haben für diese immensen Auslastungen gar nicht das nötige Netz. „Die Kabelquerschnitte sind nicht dazu geeignet, solche Strommengen durchzulassen.“ Ergebnis: erhitzte Kabel, heiße Muffen, die Sicherung fliegt raus, die Gäste sind sauer.
Aus dem Dilemma komme nur, wer immense Investitionen schultern kann. Ingenlath nennt den Betreiber eines kleinen Platzes in Hessen, der 300.000 Euro investieren müsste. „Es sind gerade die kuscheligen, kleinen Plätze, die jetzt vor wirtschaftlichen Herausforderungen stehen.“ Ähnliches Thema ist WLAN, jeder erwarte nun Free Wi-Fi und etliche bieten es an. Aber: Die Systeme gehen aufgrund der Datenmenge bereits in die Knie, „wenn dem Opa Videos und Fotos der Enkel geschickt werden, etwa.“
Wer mithalten will, muss auch hier Geld in die Hand nehmen. Investitionen, die sich in den Preisen bemerkbar machen, aber nötig sind. Denn Ingenlath ist sich sicher: Der Boom neigt sich dem Ende entgegen, „irgendwann wird es einen Buchungsrückgang geben“. Dann haben schlecht ausgestattete Plätze das Nachsehen. Er macht das an den massiv eingebrochenen Neuzulassungen seit Herbst fest, „die Händler stehen mit neuen Wohnwagen voll.“ Etliche Neucamper werden, sobald sie aus der Finanzierung heraus sind, ihren Caravan wieder verkaufen, erwartet er, nach drei bis fünf Jahren. „Mancher hat erkannt: Das ist nicht das Richtige für mich“. Vor allem nach dem nassen Jahr lockt wieder das sonnige Südeuropa. Wohin das führt? Abwarten.
Etikette oder nicht? Miteinander reden hilft
Zurück zur Etikette. Sind denn alle Neucamper oder jüngeren Gäste Rüpel? Zum Teil gib es immer einen Anteil Menschen, die früher alles besser fanden, räumt Ingenlath ein. Und die jüngeren Leute seien mitunter „sehr rustikal“, liefen beispielsweise über die Nachbarparzelle direkt am Frühstückstisch vorbei. Aber: „Das muss nicht im Streit enden, miteinander sprechen hilft.“ Kommt es dazu, sagt man dann „Du“ oder „Sie?“ Egal, ob Zoff oder Geplauder, ganz klar: „Camper sagen untereinander Du.“