Berlin. Ronald van Roeden, scheidender Botschafter der Niederlande, über Genehmigungsstau, Sprachverfall und Mahlzeiten mit Olaf Scholz.
Der Botschafter hat gepackt. Drei intensive Jahre lang repräsentierte Ronald van Roeden die Niederlande in Deutschland – am Freitag (4. Oktober) wechselt der 67-Jährige in den Ruhestand und kehrt in seine Heimat zurück. Der verheiratete Vater dreier Töchter hat während seiner langen Diplomatenkarriere in Bagdad, Paris, Oslo und Brüssel gelebt. Deutschland sei für ihn eine besondere Station gewesen, sagt van Roeden, als er diese Redaktion zum Abschiedsinterview in seinem Berliner Büro empfängt.
Die Niederlande seien nach China und den USA wichtigster deutscher Handelspartner, betont der Diplomat, der mit seiner Familie seit fast 40 Jahren um die Welt reist. Dennoch machen es die Deutschen den Holländern manchmal schwer.
Herr Botschafter, was können wir Deutschen von den Niederländern lernen?
Ich glaube, dass wir etwas pragmatischer sind. Wenn wir nicht genau wissen, ob etwas funktioniert, versuchen wir es einfach mal. Im Bereich der Innovationen kann das hilfreich sein. Damit verbunden ist, dass wir Wert legen auf eine gute Vernetzung, von der Verwaltung bis zu Unternehmensverbänden funktioniert die Zusammenarbeit. In Berlin und Düsseldorf gilt das Ressortprinzip: Jedes Ministerium hat seinen eigenen Verantwortungsbereich. Das sorgt in den Niederlanden für Erstaunen. Dann kann es – sehr selten – vorkommen, dass wir dachten, die deutsche Regierung war einverstanden, zum Beispiel bei der Ausmusterung der Verbrennungsmotoren. Später stellt sich heraus, dass es um nur einen Teil der Regierung ging.
Und die Niederländer von uns?
Sehr viel, unter anderem Professionalität. Ob ich mit Abgeordneten rede, mit Bürgermeistern oder mit Repräsentanten der Verwaltung oder von Unternehmen: Die Deutschen kennen sich in der Sache gut aus und haben sich tüchtig vorbereitet. Sie sind pünktlich, zuverlässig. Das hat damit zu tun, dass Deutschland eine Industrienation ist, in der richtig was produziert wird. Wir Niederländer sind hingegen eine Handelsnation. Für uns ist es wichtig, dass wir überall Leute kennen.
Belasten die kürzlich eingeführten Grenzkontrollen das Verhältnis der Länder?
Abwarten. Es hat immer mal Grenzkontrollen gegeben, etwa während der Fußball-Europameisterschaft. Sollte wirklich ständig und täglich kontrolliert werden, würde es den Grenzverkehr behindern. Andererseits muss man sagen: Vielleicht bringt es was. Nicht jede Art von freiem Grenzverkehr ist positiv.
Es gibt eine gewisse Empörung in den Niederlanden.
Ich glaube, dass der deutschen Regierung bewusst ist, dass so eine Maßnahme Auswirkungen hat auf das Verhältnis zu den Nachbarländern. Andererseits verstehe ich, dass nach dem grausamen Attentat von Solingen etwas getan werden musste. Ob Grenzkontrollen die Lösung sind, weiß ich nicht.
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Was läuft schlecht in Deutschland?
Bei der Infrastruktur gibt es einen riesigen Investitionsbedarf. Das Thema ist für die Niederlande extrem wichtig, weil wir die logistische Drehscheibe für Nordwesteuropa sind. Für die niederländische Logistikbranche ist das ein riesiges Problem. Wir warten immer noch auf die Fertigstellung der Betuwe-Linie, der Bahnstrecke, die Rotterdam mit dem Ruhrgebiet verbindet. Die ist in den Niederlanden schon seit Mitte der 90er-Jahre fertig. In Deutschland wartet man immer noch auf das letzte Teilstück – 60 Kilometer bis Duisburg. Da gibt es Tausende von Beschwerden, die alle bearbeitet werden müssen. Das dauert endlos.
Was waren die Themen, die Sie in den letzten drei Jahren am meisten beschäftigt haben?
Als ich 2021 das Amt übernahm, gab es bald darauf eine neue Bundesregierung. Sie hatte ambitionierte Ziele: Energiewende, Innovationen im Bereich Industrie und Infrastruktur, Bürger und Politik sollten enger zueinandergeführt werden. Ich fand das vielversprechend. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat das im Februar 2022 von einem Tag auf den anderen zunichtegemacht. Plötzlich ging es um Krisenmanagement. Deutschland und die Niederlande haben eng zusammengearbeitet, wenn es um militärische Unterstützung der Ukraine und um Energiesicherheit ging. Das hat mich in den ersten anderthalb Jahren stark beschäftigt.
Seit Juli gibt es in den Niederlanden eine neue, rechte Regierung. Was bedeutete das für Sie als Botschafter?
Ich vertrete die Regierung. Ich muss erklären, was in den Niederlanden los ist. Manchmal stimmt die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland nicht mit dem überein, was in den Niederlanden wirklich los ist. Die Niederlande sind nicht von einem Tag auf den anderen antieuropäisch geworden. Das Programm der neuen Regierung ist klar proeuropäisch. Man darf das Parteiprogramm der PVV von Geert Wilders oder seine Aussagen nicht verwechseln mit dem Regierungsprogramm.
Sie finden nicht, dass es einen Rechtsruck gab?
Es ist ein Rechtsruck in dem Sinn, dass jetzt vier rechte oder konservative Parteien die Koalition bilden. Das wichtigste Thema besteht darin, die Migration in den Griff zu bekommen. Im sozialen Bereich ist es fragwürdig, ob die Koalition tatsächlich rechts ist. Es gibt Forderungen nach höheren Sozialleistungen. Das Links-Rechts-Schema funktioniert nicht. Das ist ähnlich wie bei der Migrationsdebatte in Deutschland, wo nun nicht nur Kräfte von rechts Maßnahmen fordern.
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Wie klappt die Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Dick Schoof?
Die Bereitschaft zusammenzuarbeiten, hat sich nicht geändert. Sein Vorgänger Mark Rutte war 14 Jahre Ministerpräsident, er kannte sich gut aus in der europäischen Politik und auch in Deutschland. Diese Erfahrung muss jetzt neu aufgebaut werden. Das war in Deutschland genauso, als sich Angela Merkel verabschiedet hat. Letztlich geht es in der Diplomatie um Verhältnisse zwischen Menschen. Es ist wichtig, dass man sich kennt und versteht. Das wird weiter so sein.
Waren Sie mit dem Bundeskanzler mal Holländisch essen?
Nee! Zweimal gab es Regierungskonsultationen – einmal im Bundeskanzleramt, einmal in Rotterdam. In Rotterdam gab es Essen von niederländischen Köchen.
Kann man auf höchster politischer Ebene überhaupt Frikandel und Bitterballen auftischen – oder fehlt es der niederländischen Küche an Reputation?
Bitterballen servieren wir hier in der Botschaft am Königstag. Pommes gehören auch dazu. Ich behaupte: Das kann man servieren. (lacht)
Immer weniger Niederländer sprechen Deutsch. Warum ist das so?
Englisch hat alle anderen Fremdsprachen verdrängt. Ich habe in der Grundschule neben Englisch auch Deutsch und Französisch gelernt. Das ist heute anders: Die Schüler dürfen eine Fremdsprache auswählen und weniger wählen Deutsch. Die Popkultur ist ein Grund dafür, aber auch die internationale Orientierung der Niederlande. Englisch ist die Lingua franca.
In holländischen Großstädten hört man mittlerweile mehr Englisch als Niederländisch auf der Straße.
Wir kümmern uns nicht um unsere eigene Sprache. Wir akzeptieren es – vielleicht zu viel –, dass man irgendwo in Amsterdam oder Rotterdam in ein Restaurant geht und die Kellner dort nur Englisch sprechen. Das ist hier in Deutschland anders. Ich habe ein Lieblingshotel in Den Haag, in dem ich öfter bin. Dort spricht keiner der Angestellten Niederländisch. Im niederländischen Fernsehen läuft seit Jahren eine Wissensshow, in der die Kandidaten möglichst fehlerfrei Diktate schreiben müssen. Drei Viertel der Teilnehmer sind Niederländer, ein Viertel kommt aus Flandern. Bislang hat, glaube ich, noch nie ein Niederländer gewonnen. Die Belgier achten viel mehr auf ihre Sprache.
Sehen Sie die Chance, dass in Zukunft wieder mehr junge Niederländer Deutsch lernen?
Ich hoffe es und plädiere dafür. Deutschland hat eine so lebendige Kultur – wer die Sprache nicht spricht, versteht auch die Kultur nicht. Es lohnt sich, Deutsch zu lernen. Nicht nur in der Grenzregion.
Was werden Sie am Leben in Deutschland vermissen?
Deutschland ist für mich nie weit weg. Wir wohnen auf dem Land, etwa 45 Kilometer von der Grenze entfernt. Wir können einfach mal sagen: Heute fahren wir nach Münster oder Osnabrück. Vermissen werde ich meinen Lieblingsbiergarten in Berlin. Da war ich gestern das letzte Mal.