Venlo. Seit Montag überprüft die Polizei an den Grenzen. Der Verkehr nach Holland fließt trotzdem – zur Enttäuschung mancher Medienvertreter.
Um Viertel nach zehn bricht plötzlich Hektik aus auf der nach Urin riechenden Asphaltfläche an der A40. Der Parkplatz „Tomm Heide“ bei Venlo: Ein paar Haltebuchten, ein Toilettenhäuschen ohne Spiegel oder Handtrockner und sechs Mannschaftswagen der Polizei. Beamte halten einen schwarzen Audi mit Herner Kennzeichen und Duftbaum am Rückspiegel an. Darin sitzen vier bärtige Männer aus Syrien. Einer nach dem anderen steigt aus, nervös nehmen sie tiefe Zigarettenzüge. Fünf Uniformierte überprüfen ihre Pässe sowie den Innenraum des Autos, einer hält eine Maschinenpistole in den Händen. Als sie die Pressevertreter sehen, machen die gestressten Syrer gestikulierend deutlich, dass sie keinesfalls fotografiert werden wollen. Ein Kamerateam von RTL hält trotzdem drauf. Seit Stunden warten die Medienleute darauf, dass endlich etwas passiert. Sie hatten die Hoffnung beinahe aufgegeben.
Gut 20 Minuten dauert die Überprüfung, die Polizisten ziehen Handschuhe über, bevor sie den mit Koffern, Taschen und Jacken vollgestopften Heckraum durchwühlen. Die vier Syrer haben sich einen schlechten Tag ausgesucht, um in einem klapprig wirkenden Wagen über die deutsch-niederländische Grenze zu brettern. Aber sie haben nichts zu verbergen. Als die Polizisten sicher sind, dass die Männer weder einen Landsmann unter der Rückbank versteckt haben noch Drogen transportieren, dürfen sie weiterfahren. Doch der Audi springt nicht mehr an. Einer der Insassen hüpft heraus und schiebt an. Erst dann knattert der Motor los. Die Männer rollen zurück auf die Autobahn. Nächste Station: Herne.
Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Holland: Das Chaos bleibt aus
Deutschland schaut neuerdings genauer hin, wer zu uns kommt. Seit Montag kontrollieren Beamte an den Grenzen – auch im Westen, an den Flanken zu Belgien und den Niederlanden. Spediteure und mehr als 40.000 Holland-Pendler in NRW fürchteten lange Staus und chaotische Zustände auf den Autobahnen. Nach dem ersten Tag dürfen sie erleichtert aufatmen: Kaum einer hat etwas mitbekommen von den staatlichen Erhebungen, die zunächst sechs Monate lang stattfinden sollen, „um die irreguläre Migration weiter zurückzudrehen“, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) es formuliert. Die Bundespolizei ist bemüht, „die Beeinträchtigungen für den Reisendenverkehr so gering wie möglich halten“, teilt die verantwortliche Direktion in Sankt Augustin bei Bonn auf Anfrage dieser Redaktion mit.
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Woher die Beamten wissen, wen sie rauswinken sollen? Erfahrung, sagt Sprecherin Andrea Hoffmeister: „Die Grenzkontrollen werden im Bereich unserer Behörde grundsätzlich mobil durchgeführt, das heißt wir setzen Bundespolizeistreifen uniformiert und zivil ein, welche fahndungsrelevante Fahrzeuge oder Personen aus dem fließenden Verkehr ziehen. Unsere Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen sollen hierdurch unberechenbar für das ,Fahndungsklientel‘ sein.“
Wie das konkret aussieht, zeigt sich am Montagvormittag auf dem A40-Rastplatz. Es sind vor allem Männer in dubiosen Kleinbussen oder zerbeulten Autos, die die gefürchteten „Halt Polizei“-Kellen zu sehen bekommen.
Ein rostiger weißer Transporter mit belgischem Nummernschild und abgeklebten Rückfenstern etwa. Wollte ein Regisseur ein Schmugglerfahrzeug in seinem Film zeigen, sähe es so aus. Während der Fahrer den Kofferraum öffnet, sitzt der Nebenmann mit erhobenen Händen auf dem Beifahrersitz. Die bewaffneten Männer und Frauen in Uniform jagen ihm offenkundig einen Heidenrespekt ein. Doch alles geht mit rechten Dingen zu, die Belgier dürfen weiterfahren. Weiter nördlich, an der A30 bei Rheine, fassen Beamte drei Spanier mit Haschisch im Kofferraum. Die Drogenschmuggler brausen nach Polizeiangaben zunächst davon, Beamte gehen auf Verfolgungsjagd. Erst nach 30 Kilometern schnappen sie die Männer.
An der grünen Grenze sieht es aus wie immer
Es sind Momentaufnahmen. Anderswo ist weit und breit keine Polizei zu sehen. Auf der A61 fließt der Verkehr an diesem Morgen so flüssig, als hätte es Faesers Kontrollplan nie gegeben. An der sogenannten grünen Grenze zwischen Tegelen in Limburg und Kaldenkirchen im Kreis Viersen ein ähnliches Bild. „Es sind audrücklich keine Vollkontrollen des gesamten grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs vorgesehen“, betont die Bundespolizei. Im Grenzgebiet haben sie keine Sorge, dass die Kontrollen irgendetwas am Zusammenleben ändern. „Die Holländer kennen mit ihren Fahrrädern so viele Schleichwege, die werden sich nicht abhalten lassen“, sagt Khaled Bareche, Kioskbetreiber aus Kaldenkirchen. Die Besucher aus dem Nachbarland werden weiterhin kommen, glaubt der 33-Jährige.
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Die Hoffnung mancher Medienvertreter auf Wutreden verärgerter Brummifahrer im Stau ist vergeblich. Während er am Parkplatz „Tomm Heide“ auf die nächste Kontrolle wartet, berichtet der müde wirkende Reporter einer Boulevardzeitung, er habe dort im Auto übernachtet, um bloß nichts zu verpassen. Hätte er sich allerdings sparen können, kommentiert er ernüchtert. Für Pendler ist das eine gute Nachricht.