Mülheim. Vorher war er Büromensch, fand dann aber den Weg weg vom Schreibtisch und krempelte sein Leben nochmal um. Was den Mülheimer dazu gebracht hat.
Denkt er zurück an die Zeit, die er hier als Zivi verbracht hat, dann macht sich ein Lächeln auf dem Gesicht von Jens Weymann-Reh breit. Gute 30 Jahre ist es her, dass der inzwischen 52-Jährige seinen Zivildienst bei der Mülheimer Awo abgeleistet hat, genauer: am und im Spielmobil, jenem besonderen Gefährt, das inzwischen seit 40 Jahren Mülheimer Kindern die Langeweile vertreibt. Und – fast noch wichtiger – als feste Anlaufstelle dient, um mit anderen Kindern und mit den pädagogischen Betreuern in Kontakt zu kommen.
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Das so, ganz nebenbei zwischen Hüpfburg, Pedalo fahren und Bastelrunde, echte Bindungen entstehen können, erfährt Jens Weymann-Reh immer wieder. Etwa, wenn er in der Innenstadt gemütlich im Café sitzt. „Alle paar Minuten kommt da jemand vorbei, der Hallo ruft und sich ans Spielmobil erinnert“, erzählt Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin der Mülheimer Awo, die das Spielmobil betreibt. Dass Weymann-Reh ständig erkannt und als „Herr Spielmobil“ freudig begrüßt wird, habe sie kürzlich erst bei einem gemeinsamen Treffen erlebt, schildert sie schmunzelnd. Und Jens Weymann-Reh sagt strahlend: „Das ist Freude pur.“
Spielmobil-Mitarbeiter bieten Mülheimer Kindern Anlaufstelle
Für die Awo bedeutet das wohl: Alles richtig gemacht bei der Auswahl der Mitarbeitenden – schon damals. „Gerade für die Kinder ist es wichtig, kontinuierlich dieselben Bezugspersonen am Spielmobil zu treffen“, weiß die Awo-Geschäftsführerin. Eine ganz ausgeprägte Kontinuität beweist auch Jens Weymann-Reh: Nach seinem Zivildienst in den 90er-Jahren blieb er dem besonderen Gefährt verbunden, engagiert sich seit dem ehrenamtlich und begleitet Einsätze des Spielmobils. „Inzwischen“, erzählt er, „kommen die ersten, die ich noch als Kinder kennengelernt habe, mit ihren eigenen Kindern vorbei.“
Und auch für Jens Weymann-Reh selbst hat sein Kontakt mit dem Spielmobil weitreichend sein Leben verändert. Waren die Weichen für ihn nach dem Schulabschluss – und vor Beginn des Zivildienstes – eigentlich so gestellt, dass er im kaufmännischen Bereich unterkommen wollte, änderte sich das grundlegend. „Ich habe eigentlich eine ganz andere Karriere angestrebt und habe eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandel gemacht und ein bisschen in dem Beruf gearbeitet.“ Bis der Einberufungsbescheid kam.
Zurück in den Beruf am Schreibtisch? „Auf keinen Fall“
„Als ich hörte, dass ich Zivildienst machen muss – das war ja nicht freiwillig – bin ich auf das Spielmobil gekommen, denn das kannte ich schon, weil das überall durch Mülheim fuhr.“ Dass er Spaß an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hatte, wusste der Mülheimer damals schon aus seinem Engagement in der Kirchengemeinde: „Da habe ich etwa den Kindergottesdienst-Helferkreis betreut sowie Konfirmandengruppen und habe Freizeiten organisiert.“
Bei der Awo war zu der Zeit eine Stelle frei – ausgerechnet beim Spielmobil, dem Traumjob von Jens Weymann-Reh: „Von da an habe ich eigentlich mein Hobby zum Beruf gemacht“, blickt der 52-Jährige schmunzelnd zurück. Denn nach einem guten Jahr unterwegs mit dem Spielmobil war ihm klar: Zurück an den Schreibtisch, für den Rest seines Berufslebens, das will er auf gar keinen Fall. Also gibt er seinem Leben einen neuen Kurs und studiert Sozialpädagogik. Heute arbeitet er im Jugendzentrum des Vereins Soziale Kinder- und Jugendarbeit (SKJ) an der Nordstraße.
Mülheimer: „Heute kommen die Kinder von damals mit ihren eigenen Kindern“
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Als Zivi sei es toll gewesen, mit dem Spielmobil von Spielplatz zu Spielplatz zu fahren, vorab Plakate mit den Terminen aufzuhängen. „Da hatten die Kinder schon echte Vorfreude und haben dann schon auf mich gewartet – das ist natürlich eine schöne Arbeit.“ Aber auch zu den großen Festen Mülheims wie „Voll die Ruhr“ oder Weltkindertag sowie zu Schulfesten oder Veranstaltungen an Kleingartenanlagen, die das Gefährt gemietet haben, hat der Mülheimer das Spielmobil gesteuert.
Und zum Flüchtlingsdorf, das schon Mitte der 90er Jahre auf dem Kirmesplatz an der Mintarder Straße stand und damals Geflüchtete aus dem Libanon aufgenommen hat. „Da hab ich dann die Hüpfburg und die Röllchenbahn aufgebaut“, erinnert sich Weymann-Reh. „Die Kinder von damals sind ja heute auch schon um die 30. Manche leben noch in Mülheim, hin und wieder treffe ich sie.“ Das seien Begegnungen, die er nie vergessen werde, sagt der Sozialpädagoge.
Bis heute übernimmt er – inzwischen als Ehrenamtler – immer wieder Einsätze des Spielmobils, sein Herz hängt an dem Gefährt und noch viel mehr an den Kindern, die durch das Angebot Perspektiven bekommen. „Die können da einfach Kind sein und haben einen Ort, um sich zu treffen und zu spielen“, weiß Weymann-Reh auch um Last und Erwartungshaltung in manchen Familien.
Spielmobil steuert benachteiligte Mülheimer Stadtteile an
Und bis heute gelte, dass das Spielmobil eher Spielplätze in Stadtteilen ansteuert, in denen die Kinder Bedarf an mehr Angeboten und Betreuung haben, erklärt Tobias Schwandt, der das Fahrzeug heute als Sozialarbeiter betreut. „Dort treffen wir Kinder und Jugendliche, die an das, was es sonst noch in der Stadt gibt, wie Sportvereine oder Musikschulen, nicht gut angebunden sind, nicht selten aufgrund der Einkommensarmut der Eltern.“
Damals wie heute gelte, dass es beim Spielen keine Grenzen gibt und die Herkunft keine Rolle spielt. Und die Kinder merkten: „Hier interessiert sich jemand für mich, hier wird mir etwas zugetraut. Wir gucken nicht mit der Defizitbrille auf die Kinder.“ Das sei nicht in jedem Elternhaus gegeben.
Mülheimer Spielmobil ist auf Spenden angewiesen
Das Spielmobil betreibt die Mülheimer Awo mit einer halben Personalstelle, mehr als einmal habe es angesichts knapper Kassen auf der Streichliste gestanden, räumt Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum ein. Doch bis heute, 40 Jahre nach seiner Gründung, konnte es gerettet werden. Zum einen durch das Engagement von Ehrenamtlichen wie Jens Weymann-Reh, zum anderen durch Spenden.
Auch die Benefiz-Aktion dieser Redaktion hat das Spielmobil bereits unterstützt. Im Jahr 2017 flossen die Erlöse aus unserer Jolanthe-Aktion für diesen Zweck an die Awo. Doch weiterhin ist das Spielmobil auf Spenden angewiesen: Awo-Spendenkonto bei der Sparkasse Mülheim, DE 33 3625 0000 1175 8147 83 (Verwendungszweck „Spielmobil“) oder per PayPal über awo-mh.de im Bereich „Spenden“.
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