Mülheim. „Nach der ersten Stunde hat sie die ganze Fahrt über nach Hause gelacht.“ Mädchen mit Gendefekt macht das Reiten glücklich. Wir unterstützen sie.
Leise schnaubt Taja, als Lea Duckwitz ihre Tochter sachte auf dem Rücken des Pferdes absetzt. Dort nimmt Ulrike Wölker Fritzi in Empfang, denn die Dreijährige kann nicht ohne Hilfe auf dem Pferd sitzen - wird es vielleicht niemals können. Das Mädchen hat einen schweren Gendefekt, kann weder selbstständig laufen, noch sprechen, leidet an Epilepsie und ist rund um die Uhr auf Unterstützung angewiesen. Hier, auf dem Carolinenhof, einem integrativen Reiterhof im Essener Süden, erhält das mehrfach schwer behinderte Kind Hippotherapie. Mithilfe des Pferdes und den rhythmischen Bewegungen des Reitens sollen alle ihre Sinne angesprochen werden.
Ihre kleinen Beine hängen links und rechts des breiten Pferderückens herunter, die rosafarbenen Turnschuhe baumeln über der Satteldecke. In Fritzis Rücken sitzt Physiotherapeutin Ulrike Wölker, die zusätzlich speziell für die Hippotherapie ausgebildet ist und auch Reitlehrerin ist. Sie umfasst das Kind mit ihren Armen von hinten, richtet Fritzis Becken aus und stützt das Mädchen beim Sitzen. Dann setzt sich Stute Taja langsam in Bewegung, setzt entspannt einen Huf vor den anderen und verfällt in einen rhythmischen Schritt. Genau das ist es, was den Kern der Hippotherapie ausmache, erklärt Therapeutin Wölker. „Durch die Bewegungen, die sich vom Pferd übertragen, wird beispielsweise Fritzis Wirbelsäule mobilisiert.“
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Hippotherapie für behinderte Fritzi aus Mülheim spricht Körper, Geist und Seele an
Nach der ersten Runde, bei der Fritzi noch ein wenig zappelig war, ihren Kopf hin und her geworfen und mit den Armen gestikuliert hat, sagt Ulrike Wölker: „Jetzt macht ihr Becken mit, der Tonus überträgt sich.“ Zudem strahle auch die Wärme des Pferdes aus, bereite den Teilnehmern ein behagliches Gefühl. Eben nicht nur die Muskeln und der Knochenapparat des behinderten Kindes werden bei der Hippotherapie angesprochen, sondern auch alle Sinne: Hier riecht Fritzi den typischen Duft des Pferdes und den Geruch der Einstreu, hört, wie Taja mit ihren Hufen auftritt und durch ihre Nüstern schnaubt, sieht, wie die Spätsommer-Sonne durch die hohen Fenster der Reithalle strahlt und ein Muster auf den Boden zeichnet. Was genau sie wahrnimmt, kann Fritzi nicht mit Worten erzählen, ihre Körperhaltung aber, die ruhiger werden Bewegungen des Kopfes, die Ärmchen und Händchen, die schließlich auf denen von Ulrike Wölker ruhen, spricht eine eigene Sprache.
„Das ist physiologischer Input, der sich ins Gehirn überträgt und gespeichert wird“, erklärt die Therapeutin und verdeutlicht die Wirkung am Beispiel des Gleichgewichtssinns: „Kinder ohne Behinderung lernen Gleichgewicht durch ‚Trial-and-Error´, durchs Ausprobieren, durch Hinfallen und wieder Aufstehen.“ Fritzi kann alleine weder stehen noch laufen - ihr Weg des Lernens ist deutlich weiter als der anderer Kinder. Die Hippotherapie könne sie dabei sinnvoll unterstützen, meinen ihre Mütter. „Und auch alle Ärzte empfehlen das, aber es ist keine Kassenleistung“, erklärt Lea Duckwitz. Derzeit trägt der Verein Rolli Rockers Sprösslinge, den wir in diesem Jahr mit unserer Benefiz-Aktion Jolanthe mit Hilfe von Spenden der Mülheimerinnen und Mülheimer unterstützen, die Kosten für Fritzis Hippotherapie. Spenden sind weiter willkommen (siehe unten).
Mülheimer Mutter des Mädchens mit schwerem Gendefekt: „Der Kontakt mit Tieren gibt ihr viel“
Seit etwa einem Jahr bekommt Fritzi nun Hippotherapie. Zunächst rutschte sie als sogenannte Springerin auf Termine, die frei wurden, wenn jemand anderes ausfiel. Inzwischen hat sie einen festen Platz. Sabine Knauer, Geschäftsführerin des Carolinenhofes sagt: „Wer einen Platz hat, bleibt meistens für länger. Manchmal bis ins Erwachsenenalter.“ Denn die Hippotherapie, unterstützend zu anderen Therapien, erziele umfassende Erfolge. „Es ist ein großer Unterschied, ob man mit dem Kind Übungen auf einem Behandlungstisch macht oder auf dem Pferderücken“, verdeutlicht Knauer. Viele Entwicklungsschritte würden bei den behinderten Menschen durch die Hippotherapie angestoßen.
Fritzis Mutter Lea Duckwitz erzählt, dass sie im Austausch mit Eltern von älteren behinderten Kindern erfahren habe, dass ihrer Einschätzung nach die Hippotherapie rückblickend am meisten gebracht habe. Über ihre Tochter sagt sie: „Der Kontakt mit Tieren gibt ihr viel. Nach der ersten Hippotherapie hat sie die ganze Fahrt über nach Hause gelacht.“
Therapeutin bei der Hippotherapie: „Deutlich ist, wie sich Fritzis Muskelspannung verändert“
In der Reithalle dreht derweil Taja mit Fritzi und ihrer Therapeutin auf dem Rücken eine weitere Runde. „Fritzi ist eine Wundertüte“, sagt Ulrike Wölker mit einem breiten Lächeln. „Wir probieren jedes Mal aus, was geht und was zu ihr passt.“ Mal ist es das Sitzen auf dem Pferd, das rhythmische Schaukeln, das immer mehr in die Aufrichtung kommen, mal ist es, vornübergebeugt auf dem Pferderücken zu liegen, ausgestreckt in Richtung Mähne, das Fell unter den Fingern zu fühlen und ganz nah den Körper des Tieres zu spüren. „Deutlich ist, wie sich Fritzis Muskelspannung verändert: Die Muskeln, die vor dem Reiten verhärtet oder verkrampft waren, lockern sich, und diejenigen, die zuvor keine Spannung aufgebaut hatten, arbeiten nun mit“, schildert Wölker.
Nach einer halben Stunde geht Taja von der Bahn, nimmt Lea Duckwitz ihre Tochter in der Stallgasse wieder entgegen. Therapeutin Ulrike Wölker erklärt: „Eine halbe Stunde auf dem Pferd ist anstrengend für die Kinder, danach sind die meistens echt müde.“ Und auch für die Pferde sei das Arbeit. Taya hat die Trainingseinheit mit Fritzi in einer Engelsgeduld mitgemacht, auch wenn das Mädchen heute zunächst ein wenig wuselig war. „Die Pferde sind speziell ausgebildet, dürfen sich morgens zunächst austoben und haben begrenzte Einsatzzeiten mit Pausen“, erklärt Sabine Knauer.
Neben all den positiven körperlichen Effekten durch die Hippotherapie, die auch die anderen Therapeutinnen von Fritzi bestätigten, denkt Lea Duckwitz nach der Therapieeinheit auch an einen Umstand, der sie zum Lächeln bringt: „In der Kita machen die anderen Mädchen große Augen, wenn wir erzählen, dass wir nachmittags auf den Reiterhof fahren.“ Diese Art der Integration tue ihrer Familie gut: „Hier geht Fritzi nicht einfach zur Therapie, hier geht sie zum Reiten - wie andere Kinder auch.“
Spenden für die Mülheimer Jolanthe-Aktion - so geht‘s:
Familien wie der von Fritzi wollen wir mit der aktuellen Jolanthe-Aktion von WAZ/NRZ helfen: Familien, die der Verein „Rolli Rockers Sprösslinge“ unterstützt - ihm soll der Erlös aus der diesjährigen Spendenaktion zugutekommen. Das Spendenkonto lautet: DE05 3625 0000 0175 0342 77, Sparkasse Mülheim, Verwendungszweck „Rolli Rockers“.
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