Mülheim. Drogen überall: Mit einer besonderen Truppe ist die Polizei an Kriminalitäts-Hotspots in Mülheim im Einsatz. Wir waren bei einer Schicht dabei.
2018. Die Rockergruppe „Hells Angels“ hat sich in Eppinghofen festgesetzt. Der Rauschgift-Straßenhandel auf der Eppinghofer und ihren Seitenstraßen floriert. Immer weniger sind die Kriminellen um verdecktes Auftreten bemüht. Hätte es in diesem Jahr in diesem Kiez nicht eine dreiste Machtdemonstration der Rockerbande gegeben, mit der sie ihren Gebietsanspruch deutlich machen wollten, wäre das Projekt S.I.E., mit dem die Mülheimer Polizei sich seitdem um geordnete Verhältnisse an Mülheimer Delikts-Brennpunkten bemüht, möglicherweise nie zustande gekommen.
S.I.E., das steht für Styrum, Innenstadt und Eppinghofen und ist ein Programm, das eine verstärkte Bestreifung insbesondere der drei genannten Stadtteile vorsieht, die sich über Jahre hinweg als kriminelle Hotspots erwiesen haben. Für die Streifen, mit der viele Personenkontrollen verbunden sind, sind nicht etwa nur die „normalen“ Dienstgruppen des Wach- und Wechseldienstes zuständig, sondern die eigens dafür aufgestellte S.I.E.-Mannschaft, deren Personalstärke das Polizeipräsidium Essen aus taktischen Gründen gegenüber der Redaktion nicht nennen will.
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Polizei glaubt Rocker aus Mülheim verdrängt zu haben, Rauschgifthandel aber blieb
In mühevoller Arbeit ist es laut Polizei gelungen, die Rocker, die sich im Laufe der Jahre in Eppinghofen festgesetzt hatten und ungeniert und dreist auftraten, aus Mülheim zu verdrängen. Geblieben ist jedoch ein anderes Problem: Der Rauschgifthandel – großzügig in Eppinghofen verteilt und auch im Rest der Innenstadt und in Styrum im Straßenbild sichtbar. Der offensichtlich große Konsumentenbedarf an harten Drogen wie Heroin, Kokain oder Amphetaminen sorgt bei den Scharen an Kleindealern und Zwischenhändlern in Mülheim für ein florierendes Geschäft.
2023 haben die Beamten, die in der Projektgruppe zu allen erdenklichen Tages- und Nachzeiten Streife fahren, 350 Strafanzeigen zu selbst entdeckten Straftaten gefertigt und mehrere Kilogramm unterschiedlichster Drogen sichergestellt. Tendenz steigend. Alleine in der ersten Jahreshälfte 2024 ist den Beamten viermal so viel Kokain in die Finger gekommen wie im gesamten Vorjahr. Passt zum explodierenden Bundestrend. Erst vor kurzem fanden die Polizei bei einem Mann im Rahmen einer Personenkontrolle 50 Gramm „Koks“, die er in seiner Kleidung mitführte, und weitere 50 Gramm in seinem Auto. Für diese Mengen kann man sich mehrjährige Haftstrafen einfangen.
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Herumlungernde junge Männer in teuerster Markenkleidung und mit Luxuskarossen
Im Übrigen sind auch alle anderen Stadtteile in Sachen Drogenhandel keine Inseln der Glückseligkeit. So floriert an der Broicher Mitte etwa der Handel mit Amphetaminen. Immer wieder werden dort Händler festgenommen. Neue kommen sofort nach.
Die Beamten von S.I.E. beschränken sich in den Mülheimer Problemzonen, die sie bestreifen, aber keineswegs nur auf die Bekämpfung von Rauschgiftkriminalität. Was regelrecht ins Auge springe, sei offensichtlicher Sozialbetrug, heißt es. Junge Männer, die den ganzen Tag auf der Straße herumlungern, ohne einer erkennbaren legalen Arbeit nachzugehen, trügen teuerste Markenkleidung und führen Autos, deren Neupreis teils deutlich über 100.000 Euro liege.
Kampf gegen Sozialbetrug und illegale tätige Autovermieter in Mülheim
Wird jemand, von dem man weiß, dass er Sozialleistungen bezieht, immer wieder in demselben Luxusschlitten angetroffen und wird dann bei Kontrollen behauptet, das Auto sei kostenlos von einem Bekannten ausgeliehen, dann wird die Polizei hellhörig. Die Beamten haben mittlerweile nach eigener Darstellung Strukturen von illegalen Autovermietungen aufdecken können, die teuerste Fahrzeuge an Leute aus der kriminellen Szene vermieten. Gewerbeanmeldungen hielten die Vermieter nicht für nötig. So spare man Steuern.
Die Ermittlungen haben laut Polizei in einem Fall eines illegal tätigen Autovermieters zu einem guten Erfolg geführt: Der Inhaber sei vom Finanzamt mit seinem Einkommen geschätzt worden und müsse jetzt 400.000 Euro Steuernachzahlung auf den Tisch des Fiskus legen.
Mit der S.I.E.-Einheit in Mülheim auf Streife: Drogenhändler überall unterwegs
Beispielhaft hier ein paar Eindrücke einer Dienstschicht der S.I.E.-Beamten, bei der die Redaktion dabei sein durfte. Die Beamten: allesamt sportliche, junge Polizisten. Was verspricht, dass sie bei der Verfolgung eines Flüchtigen in aller Regel nicht mit leeren Händen zum Streifenwagen zurückkehren sollten.
An der Schollenstraße, Ecke Friedrich-Ebert-Straße, stehen drei junge Männer herum. Alle zwischen 25 und 26 Jahre alt. Das Trio ist den Beamten aus dem Drogenhandel bekannt. Bei der Durchsuchung der Männer findet sich nichts. Das muss allerdings nichts heißen, da der Stoff, den man verkaufen will, in aller Regel etwas abgesetzt vom Standort gebunkert wird. Einer der drei Kontrollierten wirft dem Fahrer eines Kleinwagens, der auf der anderen Straßenseite parkt, einen auffällig-unauffälligen Blick zu. Der Wagen ist nach einiger Zeit weg. Eine Abfrage des Halters ergibt: Auch er handelt mit Drogen.
Ohne erkennbaren Job, aber im Besitz von 160.000 Euro teuren Fahrzeugen
Die Fahrt der Beamten geht kreuz und quer durch die Innenstadt. Keine 100 Meter Fahrt vergehen, ohne dass sie Dealer oder Rauschgiftkonsumenten sehen, die sie mit Namen kennen und denen sie schon Anzeigen geschrieben haben.
Nächster Akt, Friedrich-Ebert-Straße. Eine Streifenwagenbesatzung des Teams sieht zwei teure Audis über die Kreuzung an der Konrad-Adenauer-Brücke Richtung Bahnstraße rauschen. Fahrzeuge und Fahrer sind ebenfalls aus dem Drogenmilieu bekannt. Ein weiteres Team wird alarmiert, um die Wagen an der Ecke Bahnstraße anzuhalten. Ein Streifenwagen von vorne, einer von hinten. Die Straße ist dicht. Fahrer und Fahrzeuge werden gefilzt. Heute wird auch hier nichts gefunden. Fahrzeughalter ist einer der Beifahrer. Er geht, wie die Beamten wissen, keiner erkennbaren Arbeit nach, hat aber die beiden Fahrzeuge im Gesamtwert von 160.000 Euro auf sich zugelassen. Was man sich ohne Arbeit halt so vom Mund abspart.
Kontrolle auf Broicher Parkplatz: Es bleibt den Beamten nur noch ein Schulterzucken
Weiter geht die Fahrt. Am Rathausmarkt wird ein Radfahrer aus dem Drogenmilieu kontrolliert, an der Broicher Mitte ein alter Bekannter aus der Szene mit einem BMW auf einem Supermarktparkplatz angetroffen. Sein Beifahrer hatte sich gerade im Wagen einen Joint gebaut. Vor der Teillegalisierung von Cannabis wäre hier noch eine Strafanzeige fällig geworden, jetzt bleibt den Beamten nur noch ein Schulterzucken.
Heute trotz intensiver Kontrollen kein Rauschgiftfund, aber neue Erkenntnisse über personelle Zusammenhänge sind gewonnen. Einzig herausragend in der Schicht ist ein etwa 20-jähriger psychisch Kranker, der gegen Mitternacht am Forum durchdreht, auf Bäume klettern will, schreit, wie ein Schlosshund heult und sich im Beisein der Beamten mit den Fingern die Augen ausstechen will, was sie verhindern können. Krankenwagen. Fesselung. Psychiatrie.
Rauschgiftmilieu in Mülheim ist wie ein Krake, dem immer mehr Arme wachsen
Hört man Geschäftsleute in der Stadt und Bürger, dann wird die zunehmende Rauschgiftkriminalität immer sichtbarer, ihre Akteure werden immer dreister und gegenüber der Polizei aggressiver. Bei allem Engagement der S.I.E-Beamten und bei allen Erfolgen, die sie Tag und Nacht erzielen: Das Rauschgiftmilieu in Mülheim ist wie ein Krake, dem immer mehr Arme wachsen und der sich durch die ganze Stadt zieht.
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