Mülheim. Beamter des PP Essen/Mülheim hat Interna verraten und Gewaltclips verbreitet. Dafür gab es eine empfindliche Strafe. Wie‘s mit ihm weitergeht.
Bis zuletzt hat der Polizist des Präsidiums Essen/Mülheim, der sich seit April unter anderem wegen Geheimnisverrats vor dem Amtsgericht Mülheim zu verantworten hatte, darauf gehofft, dass er mit einer Bewährungsstrafe von unter zwölf Monaten davonkommt. Alles ab einem Jahr bedeutet für den Suspendierten nämlich: Es gibt keinen Weg zurück in den Job. Das Urteil aber fiel nicht in seinem Sinne aus.
Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Claudia Lubenau war davon überzeugt, dass ein Jahr und drei Monate – ausgesetzt zur Bewährung – „eine gerechte Strafe sind, für das, was hier passiert ist“. Die Frage, ob die Sanktion für den 44-Jährigen noch gesondert Folgen hat, habe man bei der Bewertung der Taten außen vor gelassen, hieß es am Mittwoch: „Es ist nicht unsere Aufgabe, zu klären, ob Sie im Polizeidienst verbleiben oder nicht.“
Anwälte: „Wir kämpfen für eine Strafe, die es ihm ermöglicht, in den Beruf zurückzukehren“
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Für Verteidigerin Victoria Grenz und Verteidiger Michael Budde indes war dies der zentrale Punkt. „Wir kämpfen für eine Strafe, die es ihm ermöglicht, in den Beruf zurückzukehren“, sagte Budde. „Sie halten seine Zukunft und die seiner Familie in den Händen“, mahnte er die Richter im Plädoyer. Selbst wenn klar sei, dass der Mandant „nicht bloß ein Kavaliersdelikt“ begangen habe – die Anwälte hielten es für vertretbar, entsprechend milde zu urteilen. „Denn andernfalls“, betonte Grenz, „ist die Sache für ihn durch, dann verliert er qua Gesetz seine berufliche Position.“ Schon früh im Verfahren hatte sie angekündigt, dass man auf jeden Fall Berufung einlegen werde, falls die Sache anders ausgeht als gewünscht.
Nun ist genau dies passiert. Und der zweifache Familienvater, der seit 2000 bei der Polizei ist – darunter etliche Jahre in der Mülheimer Wache und ab 2016 in der Leitstelle in Essen –, wird wohl in zweiter Instanz weiter um seinen Job ringen. Finanziell hat er seit seiner Suspendierung im September 2020 übrigens kaum Einbußen. Befragt nach seinen Einkünften, erklärte er: „Vorher waren es 4500 Euro netto, jetzt sind es 4000 Euro netto.“ Die Vorsitzende sprach aus, was da mancher im Saal dachte: „Das ist ja immer noch großzügig, das hätte ich schlimmer erwartet.“
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„Das, was man da gesehen hat, spiegelt nicht meinen Charakter wider“
In seinem letzten Wort entschuldigte sich der Angeklagte erneut dafür, dass er jahrelang Familienmitglieder und Bekannte via WhatsApp mit Polizei-Geheimnissen versorgt und mehrere, höchst brutale Videos, die zum Beispiel eine Hinrichtung zeigten, per Handy weitergeleitet hatte. Er wolle allerdings weit von sich weisen, was Staatsanwältin Vera Finck in ihrem Schlussvortrag über seine Motivation gesagt hatte. Sie redete von „einer Art Begeisterung“, die er offenbar für die „nur schwer zu ertragenden“ Videos empfunden habe. Der Polizist widersprach: „Das, was man da gesehen hat, spiegelt nicht meinen Charakter wider. Das macht mir selbst Gänsehaut.“ An einem früheren Verhandlungstag hatte er sein Tun mit Abstumpfung durch die Polizei-Arbeit begründet.
Fünf der anfangs 80 Anklagepunkte wurden am Mittwoch eingestellt. Alle anderen, so stand für Staatsanwältin Finck fest, könne man dem Angeklagten, der teils geständig war und sich teils auf Erinnerungslücken berief, zweifelsohne nachweisen. Dass ausgerechnet er als Polizist Gewalt-Videos verbreitet hat, wiege schwer. Und sein Geheimnisverrat sei geeignet gewesen, „das Vertrauen der Allgemeinheit in staatliche Institutionen zu erschüttern“. Laut Finck war in Mülheim bekannt: „Egal, welches Problem ich habe, an ihn kann ich mich wenden und die gewünschten Informationen bekommen.“ Die Staatsanwältin forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. Für sie stand fest: „Der Angeklagte gehört nicht mehr in den Polizeidienst.“
Das Gericht bewertete sieben der 75 Fälle als besonders schwerwiegend
Das Gericht unterschied bei den Textnachrichten zwischen solchen, die allein an Familienangehörige gingen, und solchen, die auch Fremde erreichten. Lubenau und ihre Schöffen-Kollegen bewerteten vor allem sieben der 75 Fälle als schwerwiegend: So hatte der Polizist 2018 einem Bekannten bereitwillig berichtet, was er über eine Geiselnahme am Kölner Hauptbahnhof und die Amokfahrt am Kiepenkerl in Münster wusste und hatte dabei auch Geheimnisse aus Verschlusssachen preisgegeben. Er verriet Interna in Vergewaltigungsfällen, ebenso wie höchst private Umstände nach dem Suizid der Ehefrau des ehemaligen Mülheimer Oberbürgermeisters, Ulrich Scholten. „Die Vielzahl der Fälle“, betonte Lubenau, habe kein anderes Urteil zugelassen.
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