Mülheim. Schwere psychische Probleme hat der junge Mülheimer seit seiner Jugend. Wenn er Psychosen durchlebt, leiden auch seine Eltern und Geschwister.
Als ihr Sohn das Jugendlichenalter erreichte, fiel auf, dass sein Verhalten stark abwich von dem seiner Altersgenossen, er starke Aggressionen zeigte - gegen andere und gegen sich selbst. „Damals hatten wir noch keine klare Diagnose - es hätte alles Mögliche sein können“, erinnert sich Gudrun. Die 54-Jährige will anonym bleiben, um ihre Familie zu schützen - „meine jüngeren Kinder gehen noch zur Schule. Sie sollen keine Nachteile haben.“ Ihr Ältester leidet an Schizophrenie, macht Psychosen durch, musste bereits mehrfach stationär aufgenommen werden. Seine Elten haben große Sorge um ihn. Hilfe finden sie bei einer Mülheimer Beratungsstelle.
„Es fing schon in seiner Jugend an“, blickt Gudrun zurück und spricht von Fremd- und Selbstgefährdung, die von ihrem inzwischen erwachsenen Sohn ausgehe, sobald er in eine Psychose rutscht. Immer wieder habe er in Kliniken eingewiesen werden müssen - „auch wir als Eltern haben ihn zwangseinweisen lassen“. Was danach folgte, ließ das Ehepaar mehr als einmal ratlos zurück. Die Mutter nennt ein Beispiel: „Nach einem Selbstmordversuch hat man meinen Sohn nach nicht mal 24 Stunden wieder nach Hause geschickt, ohne uns zu informieren.“ Wie geht man als Eltern damit um, haben sich die Mülheimer oft gefragt.
Sohn hat Schizophrenie: Als er 18 wird, bekommen Eltern keine Infos mehr über ihr Kind
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es bei Ärzten oder in Kliniken keine Hilfe oder Vernetzung gibt. Selbst in der Psychiatrie wurden wir nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es beispielsweise eine Selbsthilfegruppe gab, sind nicht auf Netzwerke oder Beratungsstellen hingewiesen worden“, kritisiert Gudrun.
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Als ihr Sohn volljährig wurde, stand die Diagnose fest. Zugleich verschlimmerte sich die Situation für die Eltern, erzählt die Mutter dreier Kinder, weil sie nun keine Auskunft von den behandelnden Ärzten bekamen. „Sie waren an die Schweigepflicht gebunden. Da waren wir als Angehörige total verloren, weil man dann nicht mehr mit uns gesprochen hat.“ Gudrun kann von vielen verzweifelten Momenten in Arztpraxen und Krankenhäusern berichten: „Uns wurde in einer Klinik die Tür vor der Nase zugeschlossen, obwohl wir mit dem Einverständnis meines Sohnes einen gemeinsamen Termin hatten.“ Und obwohl der junge Mann zu diesem Zeitpunkt in einer Psychose steckte - „zu keinem klaren Gedanken fähig“, beschreibt seine Mutter, die als Sozialarbeiterin arbeitet, den geistigen Zustand ihres Sohnes.
Mülheimer Mutter entsetzt über den Umgang mit ihrem psychisch kranken Sohn in Praxen und Kliniken
Begebenheiten wie diese machen sie traurig, Gudrun spricht von Hilflosigkeit. Sie sagt: „Ich bin entsetzt und finde es unmöglich, dass ich an entscheidenden Stellen wie Praxen oder Kliniken nicht auf Hilfe hingewiesen werde und Ärzte sich mit ihrer Schweigepflicht herausreden.“ Sie selber sei über die bedrückende Situation mit ihrem Sohn, der inzwischen 24 Jahre alt ist, krank geworden. „Das System Familie erkrankt zusammen - daher brauchen auch die Angehörigen Hilfe.“ Unterstützung erfuhren die 54-Jährige, ihr Mann und ihre Kinder schließlich durch die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), einer neutralen Beratungsstelle.
„Hier kommt man nicht als Patient hin, sondern als Ratsuchender“, fühlt sich Gudrun aufgefangen. Die EUTB-Fachleute halfen ihrer Familie etwa, Anträge zu stellen wie für den Behindertenausweis. „Wir wussten erst gar nicht, dass er den beantragen kann. Den Hinweis darauf gab es auch beim Psychiater nicht, bei dem mein Sohn war“, wundert sich die Mutter und zeigt Konsequenzen auf: „Es sind ja letztlich wir Angehörigen, die den Schaden haben, denn wir zahlen ja für unseren Sohn. Wir hätten viel eher finanzielle Unterstützung beantragen können. Da geht Geld verloren. Das können Beträge sein, die man gerade als Familie braucht.“
Mutter eines unter Psychosen leidenden Sohnes: „Wird mein Kind je für sich selbst sorgen können?“
Denn auch wenn ihr Sohn zurzeit stabil sei, sogar einen Job in der Altenpflege angetreten habe, bleibt die Mülheimerin vorsichtig: „Bei einer psychischen Erkrankung weiß man, dass dieses Kind wahrscheinlich nicht immer für sich selbst sorgen kann. Da ist es gut, wenn man weiß, wie man finanziell unterstützt werden kann.“
Hier setzt die EUTB an, die kostenlose und anonyme Beratung bietet und etwa über Rehabilitations- und Teilhabeleistungen - nicht nur finanzieller Art - informiert. Die Mülheimer Einrichtung mit Sitz an der Friedrich-Ebert-Straße ist spezialisiert auf Beratung bei psychischen Beeinträchtigungen, die Unterstützung von Eltern mit Kindern mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, speziell bei Epilepsie und Gendefekten. Auch LGBTIQA+-Personen und Angehörige neuer religiöser Gruppen finden hier mit Blick auf Behinderung kundige Ansprechpartner.
Mülheimer Einrichtung EUTB berät kostenlos und anonym
„Unser Ziel ist es, diejenigen, die zu uns kommen, in ihrer Selbstbestimmtheit zu fördern und ihnen zu der Fähigkeit zu verhelfen, Dinge selbst umzusetzen. Dabei arbeiten wir nach der Peer-Beratungsmethode: Wer hier arbeitet, ist entweder selbst betroffen oder Angehöriger eines Betroffenen. Das ermöglicht uns eine Beratung auf Augenhöhe“, erklärt EUTB-Beraterin Lea Duckwitz und betont: „Die Themen Pflege oder Behinderung kann jeden von heute auf morgen treffen.“ Sie selbst habe wegen des Handicaps ihres Kindes ihren vorherigen Job verloren, erzählt die Mutter einer schwerbehinderten Tochter, .
Gudrun, die Mutter des Sohnes mit Schizophrenie, blickt aktuell zuversichtlicher in die Zukunft. Ihr Kind habe eine stabile Phase, sagt sie: „Ich bin froh, dass er sich medikamentös hat einstellen lassen. Aber als Angehöriger versucht man ständig zu helfen - und dafür braucht man Beratung, um zu wissen, welche Hilfen es überhaupt gibt.“ Diese Lotsenfunktion habe für sie in der zurückliegenden Zeit vielfach die EUTB eingenommen. „Vorher habe ich jahrelang versucht, selbst herauszufinden, wo es Unterstützung für meinen Sohn gibt. Als ich hierhin kam, war er schon 20. Da hatten wir schon viel Zeit verloren.“
Weitere Infos auf der Website www.teilhabeberatung.de/beratung/eutb-mulheim, Kontakt zur Ergänzenden unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unter 0208/3056 8566 und per E-Mail: beratung@eutb-muelheim.de
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