Kreis Wesel. Niederrheinische Gesundheitsfachkräfte diskutierten in Wesel mit dem Chefkoordinator der Krankenhausreform. Kliniken hoffen auf schnelle Umsetzung.

Der Weg ist klar. Die Krankenhauslandschaft und damit ein großer Teil der Gesundheitsversorgung in Deutschland wird sich verändern. Doch wie wird sich die Krankenhausreform auf die Klinikkulisse im ländlichen Raum auswirken? Bislang ist vieles noch nicht greifbar, das meiste klingt abstrakt. Die Krankenhäuser im Kreis Wesel und am Niederrhein fordern schon lange ein höheres Tempo bei der Reform, um endlich Sicherheit zu bekommen. Personal ist Mangelware, die Bürokratie bremst die Gestaltung, und schon längst ist der strukturelle Kostendruck so hoch, dass Kliniken in die roten Zahlen rutschten, Insolvenz anmeldeten oder bereits mögliche Fusionen ausloten.

Klinikreform: „Es geht nicht um das letzte verbliebene Landkrankenhaus“

Die Sorge ist groß, dass einige Häuser die Reform gar nicht mehr erleben. Das wurde auf der Podiumsdiskussion deutlich, die der Klinikverbund Pro Homine jetzt im Weseler Marienhospital ausrichtete. Dafür hatte Geschäftsführer Karl-Ferdinand von Fürstenberg den obersten Berater zur Krankenhausreform in Berlin gewinnen können. Professor Tom Bschor ist Leiter und Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung im Bundesgesundheitsministerium und damit der größte Einflüsterer von Minister Karl Lauterbach. Täglich spreche er mit dem Minister, sagte Bschor, der aber gleichzeitig feststellte, dass die Kommission aus 17 Expertinnen und Experten vollkommen unabhängig sei: „Wir machen das, was wir für richtig halten.“

Bschor legte die Gründe für eine Krankenhausreform dar. Deutschland sei Spitzenreiter in der stationären Versorgung, gleichzeitig blieben 30 Prozent der Betten in den rund 1700 Krankenhäusern leer. Hinzu komme ein eklatanter Personalmangel auf die Branche zu, „den wir auch nicht durch Attraktivitätssteigerungen oder durch Migration lösen können“, sagte Bschor. Es werde dauerhaft weniger Fachkräfte geben, sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei Pflegekräften.

Der zweite Grund ist Geld. Bei den Ausgaben für die Gesundheitsversorgung gemessen an der Wirtschaftsleistung liege Deutschland mit 12,7 Prozent hinter den USA auf dem zweiten Platz. Seit 1992 stiegen die Kosten kontinuierlich an, und zwar überproportional zum Wirtschaftswachstum, eine Stabilisierung sei zwingend notwendig, so Bschor. Drittens liege die Lebenserwartung in Deutschland niedriger als in ganz Westeuropa.

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Es müsse weniger kleine Krankenhäuser geben, um die Qualität zu verbessern, die ideale Größe liege bei 600 bis 900 Betten. Dazu müsse es insgesamt weniger Betten, aber mehr sektorübergreifende Behandlungen, im Austausch zwischen Kliniken, ambulanter Versorgung, Apotheken und Pflegeeinrichtungen, geben. Bschor nannte in dem Zusammenhang auch das schleswig-holsteinische Modell der tagesstationären Behandlung bei geeigneten Krankheitsverläufen als Möglichkeit: „Die Patienten werden im Krankenhaus behandelt, aber schlafen zu Hause.“ Die dadurch eingesparten Kosten sollen im Gesundheitssystem bleiben. Die Folge, so Bschor: „Der Leistungsdruck sinkt und man hat mehr Personal.“

Die Teilnehmenden der Diskussion befürchteten eine zusätzliche Belastung und ein Abrechnungschaos für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie einen Ausbau der ambulanten Versorgung ohne die Einbindung der Fachkräfte vor Ort. Für Bschor ist indes klar, dass die ambulante Versorgung nur regional entwickelt werden kann. „Das können weder Berlin noch Düsseldorf umsetzen.“

Einige Dinge aus Nordrhein-Westfalen hat die Berliner Kommission für die bundesweite Reform übernommen, zum Beispiel die Aufteilung der Leistungsgruppen. Dafür soll es eine sogenannte Vorhaltefinanzierung geben. Pro Leistungsgruppe gibt es ein Landesbudget, das beispielsweise auf sämtliche Kardiologien verteilt werden muss, gemessen an den Fallzahlen. Das Land hat in der Verteilung viele Freiheiten, es kann sich nach den tatsächlichen Ist-Fallzahlen richten oder geplante Fallzahlen zugrunde legen.

Dadurch könnten ländliche Krankenhäuser gezielt gefördert werden, so Bschor, der auch klarstellte, dass es bei der Reform nicht darum gehe, Kliniken in der Peripherie über die Klinge springen zu lassen. „Es geht nicht um das letzte verbliebene Landkrankenhaus“, so der Koordinator. Im Blickpunkt der Reform stehe vor allem der urbane Bereich. „In den Ballungsräumen spielt die Musik.“ Zu viele Häuser lägen dort auf engstem Raum nebeneinander, mit sich überschneidenden Fachbereichen, aber wenigen Fallzahlen und mit Qualitätseinbußen.

Bis es soweit ist, dauert es noch. Zunächst muss die Reform in ein Gesetz gegossen werden, ehe sie geplant am 1. Januar 2025 in Kraft treten soll. Ob der Zeitplan eingehalten werden kann, ist zumindest fraglich. Dabei ist der Zeitdruck für die Kliniken groß.

Bund sagt finanzielle Unterstützung zu

Für die Krankenhausreform schnürt der Bund laut eigener Aussage ein großes Finanzpaket. So soll es ab 2026 einen Transformationsfonds in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro mit einer Laufzeit von zehn Jahren geben. Außerdem sollen die Zuschläge für sogenannte bedarfsnotwendige ländliche Krankenhäuser ab 2025 steigen, der Sockelbetrag von 400.000 auf 500.000 Euro und der Zuschlag je Fachabteilung von bislang 200.000 auf 250.000 Euro. Außerdem sind Versorgungszuschläge und gezielte Förderungen ländlicher Krankenhäuser durch die Länder über die Planfallzahlen geplant. Die Kritik, die Länder seien nur unzureichend an der Reform beteiligt gewesen, wies Koordinator Tom Bschor vehement zurück. Im Gegenteil, noch nie seien Länder mehr an einem Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen. Vieles habe man auch von den Ländern übernommen. „Die Vorwürfe stimmen einfach nicht!“

Wie lange sie noch durchhalten können, diese Frage treibt die meisten Krankenhäuser im Kreis Wesel um. Die Finanzierung sei schließlich nicht ausreichend, „und das wird sich auch nicht ändern“, sagte Karl-Ferdinand von Fürstenberg. Die Gespräche mit Banken würden immer schwieriger. Er erinnerte an den eigenen Insolvenzantrag, den er für das St. Willibrord-Spital Emmerich-Rees stellen musste und setzte den Stich, dass Land und Bund die Pleite einiger Häuser im Zuge der Reform zumindest duldeten.

Um den Häusern Sicherheit zu geben, müsse die Reform schnell kommen, sagte auch Tom Bschor, der zur finanziellen Überbrückung vor allem die Länder in der Pflicht sieht. Landrat Ingo Brohl wollte den Bundesgesundheitsminister aber nicht aus der Pflicht entlassen. Die strukturellen Defizite der Krankenhäuser sorgten für große Unsicherheit bei der Bevölkerung und den Fachkräften, sagte Brohl. Dabei ausschließlich aufs Land zu schielen, „ist zu kurz gesprungen“. Er habe den Eindruck, dass Karl Lauterbach ausschließlich metropolgetrieben sei und den ländlichen Bereich überhaupt nicht im Blick habe.