Kreis Wesel. Mit einem Vertragsverletzungsverfahren wird die Bundesrepublik gerügt, sie habe im Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein zu wenig getan.
Europa beschäftigt sich mit dem Kreis Wesel, denn Deutschland hat seine Verträge verletzt, die EU hat im März ein entsprechendes Verfahren eingeleitet. Kern der Rüge: Im Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein, also auch im Kreis Wesel, sind nicht genügend geeignete Schutzgebiete ausgewiesen worden. Außerdem sei die Zahl der Wiesenvogelarten deutlich zurückgegangen. Die EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass sie nicht ausreichend geschützt wurden. Deutschland hat demnach auch im Kreis Wesel die Vogelschutzrichtlinie nicht umsetzt. Ein Thema, mit dem sich nun auf Antrag der CDU der Kreistag befassen muss.
Laut Nabu zieht sich das Vogelschutzgebiet Unterer Niederrhein entlang des Rheins von Duisburg über die Kreise Wesel und Kleve bis zur niederländichen Grenze entlang des Rheins. Durch das Vertragsverletzungsverfahren sind die Bundesrepublik, das Land NRW und letztlich der Kreis Wesel nun zum Handeln verpflichtet. Im Detail wollen die Christdemokraten wissen, was das Vertragsverletzungsverfahren für den Kreis Wesel konkret bedeutet, denn ein großer Teil des Vogelschutzgebietes liegt im Kreisgebiet.
Und die CDU sorgt sich darum, dass mögliche höhere Auflagen und neue Maßnahmen dazu führen könnten, dass die Entwicklung der Delta Port-Häfen durch höhere Naturschutzauflagen beschränkt werden könnte, somit also spürbare wirtschaftliche Folgen hätte. Am 3. September befasst sich der Umweltausschuss damit.
Das kritisiert die EU konkret: Von 39 ausgewählten Vogelarten, darunter 21, die am Niederrhein brüten und 18, die hier rasten, kämen neun im Vogelschutzgebiet gar nicht mehr vor, die Bestände von 16 weiteren seien rückläufig. Ausgestorben, der Kreis setzt in seiner Vorlage ein „angeblich“ hinzu, seien demnach beispielsweise die Zwergdommel und der Kampfläufer. Die aber seien seit mehr als 40 Jahren am gesamten Unteren Niederrhein nicht mehr beobachtet worden, argumentiert die Verwaltung.
Manche Arten werden selten gesehen, andere gar nicht mehr
Dagegen habe die Große Rohrdommel in diesem Jahr nach rund 30 Jahren erstmals wieder am Niederrhein gebrütet, allerdings im Kreis Klever Teil der Vogelschutzgebietes. Wachtelkönig und Grauammer seien unregelmäßige Brutvögel, unter anderem kommen sie mitunter auf der Bislicher Insel vor. Bekassine und Tüpfelsumpfhuhn seien vereinzelt als Brutpaare in der Dingdener Heide beobachtet worden, der Zwergschwan aber sei am Unteren Niederrhein verschwunden, er habe seine Rastgebiete vollständig verlagert.
Die Daten von EU und Land NRW stimmen nicht überein, so der Kreis. Grund dafür sei, dass die EU veraltete Daten des Nabu Landesverbands NRW aus dem Jahr 2018 genutzt habe, der das Vertragsverletzungsverfahren angestoßen habe. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MUNV) relativiert die Rüge offenbar. Die EU-Kommission „hätte auch jedes andere Vogelschutzgebiet der Bundesrepublik Deutschland auswählen können, so das MUNV sinngemäß, denn alle Vogelschutzgebiete würden in Bezug auf bestimmte Vogelarten einen rückläufigen Trend aufweisen“, so die Kreisverwaltung in ihrer Vorlage.
Also nichts tun? Zwar seien die von der EU angeführten Daten veraltet und die Bestandssituation „bei näherem Hinsehen positiver“ als angegeben. Trotzdem sehe der Kreis dringenden Handlungsbedarf im Vogelschutzgebiet, um den Lebensraum der Vögel, beispielsweise der Uferschnepfe, zu verbessern. Ob das letztlich dazu führen wird, dass die bedrohten oder ausgestorbenen Arten auch zurückkehren, bleibe abzuwarten. Trotzdem komme ein verbesserter Lebensraum auch anderen Arten zu Gute, beispielsweise dem Feldschwirl und dem Schwarzkehlchen. Auch Insekten profitierten davon, von denen sich die Vögel ernähren.
Vogelschutz rechtlich absichern
Ein weiterer Teil der EU-Rüge ist eher formeller Natur: Die EU-Kommission kritisiert für Teile des Gebietes eine mangelnde rechtliche Festlegung des Naturschutzes, Teile des Vogelschutzgebietes und seiner Ziele seien nicht Gegenstand einer nationalen Schutzverordnung.
In NRW werden Vogelschutzgebiete und ihre Zwecke in den Landschaftsplänen nachrichtlich aufgenommen, erläutert die Verwaltung in ihrer Vorlage, das sei bei bei einer Änderung der Pläne zu beachten. Sobald also ein neuer Landschaftsplan in Kraft tritt, wird er die geforderten Formulierungen enthalten, dazu sind die Träger der Landschaftsplanung verpflichtet.
Sollte sich aber herausstellen, dass die betroffenen Landschaftspläne innerhalb einer bestimmten Frist geändert werden müssen, kann das für den Kreis kostspielig werden.
Was das konkret für den Kreis Wesel bedeutet, ist derzeit unklar. Man warte auf eine angekündigte „Best-Practice“-Lösung des Landes. Das wolle das Vogelschutzgebiet den Erfordernissen des Vertragsverletzungsverfahrens anpassen und ein bis zwei zusätzliche Stellen für das Gebietsmanagement schaffen, zudem eine Arbeitsgruppe einrichten und prüfen, ob das Land Flächen erwerben kann, um die geforderten Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Man will der EU-Kommission durchaus folgen.
Das Vogelschutzgebiet selbst und die Schutzfestsetzungen dafür blieben aber unverändert. Auch sieht der Kreis keinen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Gesellschaft Delta Port oder auf mögliche zukünftige Großprojekte und Planungsverfahren. An den laufenden und künftigen Naturschutzprojekten im Kreis Wesel ändere sich zudem nichts, das habe das Land der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises ausdrücklich bestätigt.