Kreis Kleve. Seit Monaten plant Abo Wind einen großen Windpark am Kartenspielerweg. Was wusste die Politik über dieses Vorgehen im Stillen?
Mit den neuen Planungen von Abo Wind für einen Windpark am Kartenspielerweg im Reichswald bekommt auch die Diskussion um den Nationalpark Reichswald eine neue Wendung. Die spannende Frage ist: Wer hat wann was von dieser Projektplanung gewusst? Und warum wurde in all den Sitzungen zur Nationalparkdebatte bisher nie darüber gesprochen? Die NRZ fragte bei den Fraktionsvorsitzenden im Kreistag und bei den Bürgermeistern in Kranenburg und Goch nach.
Ulrich Knickrehm, Bürgermeister der Stadt Goch, schreibt der Redaktion, dass er von einer neuen konkreten Planung für elf Windenergieanlagen am Kartenspielerweg nichts wisse. „Nachdem die ursprünglichen Planungen aus dem Jahr 2016 nicht weiter verfolgt worden waren, war für mich dieses Thema völlig offen, auch vor dem Hintergrund, dass sich die Genehmigungsvoraussetzungen für ein derartiges Vorhaben in den letzten Jahren verändert haben. Auch den Mitarbeitern in meiner Behörde ist von den neuen Planungen nichts bekannt geworden“, so Knickrehm.
Knickrehm: Stadtwerke Goch wussten nichts von der Planung
Die Stadt Goch ist nicht am Verfahren beteiligt und auch nicht Genehmigungsbehörde, so dass eine Beteiligung der Stadt erst im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen wird. Diese sei noch nicht erfolgt. „Aus dem Vorgenannten folgt, dass es hier keinerlei Anlass und Ansatzpunkt gab, bei der Diskussion im Rat der Stadt um die Errichtung eines Nationalparks über Windkraftanlagen im Reichswald zu informieren. Deshalb sehe ich auch keinen Grund, am Bestand der getroffenen Entscheidung zu zweifeln“, schreibt Knickrehm.
Auf Nachfrage der NRZ teilt er weiter mit, dass auch die Stadtwerke Goch bisher keine Kenntnis von einer Planung für einen Windpark am Kartenspielerweg haben. Knickrehm: „Der Geschäftsführer der Stadtwerke Unternehmensgruppe hat mir auf Nachfrage mitgeteilt, dass auch er keine Kenntnis von konkreten Planungen oder gar gestellten Anträgen zur Errichtung von 11 Windkraftanlagen am Kartenspielerweg hat“.
Das wusste der CDU-Fraktionsvorsitzende
Und wie sieht es in der Kreispolitik aus? Paul Düllings, Fraktionsvorsitzender der CDU, schreibt der NRZ, dass er am 21. März ein an ihn adressiertes Schreiben von Abo Wind vom 19. März erhalten habe. „Weitere Informationen durch objektive Dritte liegen mir nicht vor, insbesondere keinerlei Stellungnahme seitens einer im Verfahren involvierten Behörde. Insofern ist die Information seitens Abo Wind für mich nicht maßgeblich“, so Düllings. Er sei von der Kreisverwaltung nicht über das Vorhaben von Abo Wind informiert worden.
Aus seiner Sicht muss das Verfahren zur Bewerbung eines Nationalparks auch nicht wiederholt werden. Es bedürfe keiner neuen Bewertung der Stellungnahmen, die im Rahmen des Verfahrens von verschiedenen Organisationen und Kommunen abgegeben wurden. Am 23. April könne er eine Entscheidung über den Nationalpark Reichswald treffen.
Was plant Abo Wind?
Was genau plant Abo Wind? In einem Schreiben, das am 19. März unter anderem an die Kreisverwaltung und an Fraktionsvorsitzende im Kreistag ging, teilt die AG mit, dass sie bis Ende 2027 elf Windräder im Reichswald in Betrieb nehmen will. 75.000 Haushalte könnten mit Strom versorgt werden, so das Unternehmen.
In den benachbarten Niederlanden plant Abo Wind ein Photovoltaik-Großprojekt zwischen Millingen und Kekerdom. 87 Megawatt peak sind hier in Planung, das Projekt soll mit dem Partner Statkraft umgesetzt werden. Die Inbetriebnahme ist für Mitte/Ende 2026 geplant. Das Projekt stößt auf Widerstand in der Bevölkerung.
Neben dem Windpark und der Freiflächen-Photovoltaik möchte Abo Wind in der Nähe des Rheins einen Elektrolyseur bauen, mit dem man grünen Wasserstoff produzieren könnte. Die Energie käme von dem grenzüberschreitenden Energiepark, der rund 300 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr produzieren würde. In dem Brief teilt Abo Wind der Verwaltung und den Politikern mit, dass ein Nationalpark dieses Projekt gefährden würde.
Während der Podiumsdiskussion in Goch-Kessel am Mittwochabend widersprach Regierungspräsident Thomas Schürmann dem Eindruck, dass es einen Windpark im Reichswald benötige, um die Windenergiepläne seines Regierungsbezirks zu erfüllen. Es gebe ausreichend Flächen im Land, wo man noch Windräder bauen könne. Auch wäre es an mehreren Standorten möglich, grünen Wasserstoff zu produzieren.
Die Informationen der FDP
Ralf Klapdor, Fraktionsvorsitzender der FDP, antwortete, dass man am 27. März ein Schreiben von Abo Wind erhalten habe, mit Datum vom 19. März. „Vorher kannten wir dieses konkrete Vorhaben noch nicht, das Thema ‚Windkraft im Reichswald‘ gibt es aber ja bereits länger“, so Klapdor. Er versichert, dass kein Fraktionsmitglied bei diesem Projekt in irgendeiner Weise involviert ist. Es gäbe keine Befangenheitsfragen zu klären. Was diese Information jetzt für den Prozess um die Bewerbung eines Nationalparks bedeutet, werde die FDP im Rahmen der üblichen Fraktionsvorbereitung auf die Kreistagssitzung diskutieren.
Die Sicht der SPD
Auch Jürgen Franken, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag, hat am 22. März das Schreiben von Abowind erhalten. Von der Kreisverwaltung sei er im Vorfeld nicht informiert worden. Für ihn ist das bisherige Verfahren zur Bewerbung für einen Nationalpark Reichswald nicht hinfällig, aber: „Es wurde leider nicht mit offenen Karten gespielt. Das hat natürlich die Diskussion verwässert“, so Franken. Im Gemeinderat Kranenburg habe er darauf hingewiesen, dass es letztendlich nur um das Thema Windkraft gehe. Bürgermeister Ferdinand Böhmer habe vehement die Bedeutung des Themas Windkraft hervorgehoben.
Franken ist der Meinung, dass die Stellungnahmen, die zum Nationalpark Reichswald eingegangen sind, neu bewertet werden. Er schreibt: „Sicherlich erscheinen diverse Stellungnahmen nun im Kontext der neuen Kooperationsverträge zwischen Abowind, Land und Forst NRW, sowie vermutlich der Gemeinde Kranenburg in einem anderen Licht.“
Grüne: Mit offenen Karten spielen
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreas Mayer, sieht den Diskussionsprozess nicht als hinfällig an, auch wenn einige wichtige Informationen, die über das Geschäft der laufenden Verwaltung hinausgehen, nicht in die Diskussion eingebracht wurden. Gleichwohl ist Mayer der Meinung: „Es müssen jetzt aber leider einige Stellungnahmen darauf abgeklopft werden, ob wohl die genannten Ablehnungsgründe in der Form richtig waren, oder ob, durch Interessenlagen geleitet, die wichtigsten Gründe nicht genannt wurden.“
Mayer sieht keine Probleme, am kommenden Mittwoch über die Bewerbung für einen Nationalpark abzustimmen: „Ja, auch weil es vom Zeitplan her muss: Keine Entscheidung ist eine Entscheidung gegen den Nationalpark Reichswald, weil dann der Bewerbungstermin verstrichen ist. Wichtig ist, dass jetzt nochmal alle Beteiligen mit offenen Karten spielen: Ministerium LV, Wald und Holz, Gemeinde Kranenburg, Stadt Goch, Stadtwerke Goch, Energieversorgung Kranenburg. Alle inhaltlichen Argumente u.a. bzgl. Artenschutz, Klimaschutz, Aufwertung des Gebiets, Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus bleiben bestehen. Hinzu kommt nun noch, dass laut Aussage von des Regierungspräsidenten Schürmann es außerhalb des Reichswald genügend Flächen in NRW zur Ausweisung von Windkraft gibt“, so Mayer.
Die Vereinigte Wählergemeinschaft
Auch Ralf Janssen, Fraktionsvorsitzender der Vereinigten Wählergemeinschaft (VWG) hat das Schreiben von Abowind am 27. März erhalten. Er teilt am 12. April schriftlich mit, dass die Fraktion noch nicht über den Brief von Abowind gesprochen habe. „Wie sich die Mitglieder des Kreistages am 23. April 2024 mehrheitlich entscheiden werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen“, so Ralf Janssen.
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