Essen. Mit Fotos und Videos sucht die Polizei oft Verdächtige. Zwischen der Tat und dem Start der Öffentlichkeitsfahndung liegen aber oft Monate. Warum?
Warum dauert das so lange? Die Bilder gibt es doch nicht erst seit gestern? Das muss doch schneller gehen. Solche Beiträge finden sich regelmäßig in den sozialen Netzwerken, wenn unsere Redaktion Öffentlichkeitsfahndungen der Polizei veröffentlicht. Oft mehrmals wöchentlich versuchen die Ermittler durch solche Aufnahmen von Tatverdächtigen, die Unbekannten ausfindig zu machen. Was offenbar vielen sauer aufstößt, ist der Fakt, dass zwischen der Tat und der Veröffentlichung von Bildern nicht selten Monate ins Land gehen.
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So wie kürzlich am Dienstag (21. Januar), als die Polizei Essen Bilder eines Mannes zeigte, der bereits vor fünf Monaten einen Wandtresor aus einem Restaurant im Einkaufszentrum Limbecker Platz gestohlen haben soll. Oder am gleichen Tag ein angefertigtes Phantombild einer tatverdächtigen Frau veröffentlichte, die mit einer Komplizin fast vor einem Jahr in zwei Wohnungen (Holsterhausen und Rüttenscheid) eingebrochen sein soll.
Öffentlichkeitsfahndung: Veröffentlichung von Fahndungsbildern ist ein Grundrechtseingriff
Warum gehen oft nicht nur Tage und Wochen, sondern gar Monate ins Land, ehe mit Bildmaterial öffentlich nach Tatverdächtigen gefahndet wird? Einer, der es wissen muss, ist Staatsanwalt Dr. Leif Seeger, Sprecher der Essener Staatsanwaltschaft. „Wir wollen durch solche Aufnahmen Unbekannte entdecken, die Veröffentlichung solcher Bilder ist ein Grundrechtseingriff“, erklärt Seeger.
Bevor öffentlichkeitswirksam nach Tatverdächtigen gesucht wird, müssten alle anderen Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein. Das bedeutet: Erst wenn die jeweils zuständigen Ermittler sämtlichen anderen Spuren nachgegangen sind, das aber keinen Erfolg brachte, wird unter Umständen eine Öffentlichkeitsfahndung gemacht. Staatsanwalt Seeger ist es wichtig zu betonen, dass das alles Einzelfallentscheidungen sind. „Man kann nicht sagen, man macht das immer.“
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Außerdem gebe es einen Unterschied bei der Schnelligkeit der Veröffentlichung. Stehen schwere Straftaten im Raum, wenn es etwa um Leib und Leben geht, gehen nicht erst Monate ins Land, ehe Fotos veröffentlicht werden. „Bei schwerer Kriminalität werden die Dinge beschleunigt“, so Seeger. Anders sieht das bei Fällen wie den beiden oben genannten Einbrüchen aus.
Öffentlichkeitsfahndungen: Grundlage ist § 131b der Strafprozessordnung (StPO)
Grundlage für die Veröffentlichung von Fotos, Videos und Phantombildern ist § 131b der Strafprozessordnung (StPO). Laut Seeger gebe es drei Voraussetzungen, damit eine Öffentlichkeitsfahndung in Gang gesetzt wird.
- der einleuchtendste Grund: Bildmaterial muss überhaupt vorliegen. Das können Handy-Aufnahmen von Zeugen sein, aber auch Bilder von Überwachungskameras –beispielsweise aus Bankautomaten, wenn mal wieder jemand mit einer gestohlenen EC-Karte unerlaubt Geld abgehoben hat.
- Es muss sich laut Staatsanwalt Seeger um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ handeln. Bei Bagatelldelikten oder Ordnungswidrigkeiten sei das Instrument der Öffentlichkeitsfahndung nicht anzuwenden. Zwar seien es alles Einzelfallentscheidungen, „mittlere Kriminalitätsstufe“ sollte der Fall aber haben.
- Die Identifizierung des Tatverdächtigen muss „wesentlich erschwert“, die Feststellung der Identität „auf andere Weise aussichtslos“ sein.
Aus der Strafprozessordnung (StPO)
§ 131b Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten oder Zeugen
(1) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
(2) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Zeugen und Hinweise auf das der Veröffentlichung zugrunde liegende Strafverfahren sind auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere die Feststellung der Identität des Zeugen, auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Die Veröffentlichung muss erkennbar machen, dass die abgebildete Person nicht Beschuldigter ist.
Polizei, Staatsanwalt und Ermittlungsrichter müssen zusammenarbeiten
Wie muss man sich das Prozedere einer Öffentlichkeitsfahndung ganz praktisch vorstellen? Leif Seeger von der Essener Staatsanwaltschaft erklärt, dass behördenübergreifend gearbeitet wird. Als erstes stehe die Ermittlungsarbeit der Polizei. Diese wertet den jeweiligen Sachverhalt aus, sichert Spuren, führt Befragungen von Zeugen durch, sichtet und bereitet mögliches Bildmaterial auf. Wollen die Ermittler mit Fotos oder Videos nach Tatverdächtigen suchen, geben sie ihre Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. „Wir prüfen die Sache dann“, sagt Seeger. In den meisten Fällen folgten Staatsanwälte der Einschätzung der Ermittler und schicken die Akten dann wiederum an einen sogenannten Ermittlungsrichter, der am Amtsgericht sitzt. „Die Entscheidungskompetenz, ob öffentlich gefahndet wird, liegt beim Ermittlungsrichter“, stellt Seeger klar. „Die Staatsanwaltschaft muss den Antrag stellen.“
Wird dieser am Amtsgericht positiv beschieden, geht der Beschluss zurück zur Staatsanwaltschaft, die die Entscheidung wiederum der Polizei als Ermittlungsbehörde mitteilt. Erst dann dürfen Videos oder Fotos von Tatverdächtigen durch die Polizei veröffentlicht werden – und können dann wiederum von Medien gezeigt werden. Das Werkzeug Öffentlichkeitsfahndung sei laut Staatsanwalt Seeger oft erfolgreich. Das liege auch daran, dass sich auf Aufnahmen abgebildete Personen oftmals selbst stellten, wenn sie ihr Gesicht entdeckten; Stichwort öffentlicher Druck.
Ist ein Tatverdächtiger ermittelt, sind Behörden und Medien verpflichtet, die Aufnahmen zu löschen.
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