Essen. Erneut hat die Stadt Essen vor dem Verwaltungsgericht verloren, Richter attestierten der Stadt grobe Fehler. OB in Sorge über Stimmung in Rüttenscheid.
Wegen der neuen Verkehrsregelungen in Rüttenscheid musste die Stadt Essen vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erneut eine Niederlage hinnehmen. Im Eilverfahren gab das Gericht am Dienstag (21.1.) einer klagenden Anwohnerin Recht, die sich gegen die zahlreichen Abbiegezwänge rund um den Rüttenscheider Stern gewehrt hatte.
Die Richter gaben der Stadtverwaltung auf, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache alle im Oktober 2024 neu eingerichteten Maßnahmen wieder außer Kraft zu setzen. Dem kam die Stadt sofort nach: „Oberbürgermeister Thomas Kufen hat entsprechend heute Morgen angeordnet, dass die beklagten Schilder unverzüglich abmontiert werden und die entsprechende Markierung zeitnah entfernt wird“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt am Dienstag (22.1.).
Dies war - abgesehen von der roten Bodenmarkierung - gegen 14.30 Uhr schon größtenteils erledigt. Die Reaktionen vieler Bürger, die mehr oder weniger zufällige Zeugen der Arbeiten waren, variierten zwischen Kopfschütteln und Hohngelächter. Hinfällig ist damit konkret das Verbot, auf der Rü von Nord nach Süd geradeaus zu fahren, das Linksabbiegeverbot von der Klarastraße auf die Rü und der Abbiegezwang von der Rü in die Christophstraße.
Die Stadtverwaltung will aber nicht klein beigeben, vielmehr prüfe man eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster gegen den VG-Beschluss, heißt es in der besagten Mitteilung. Dies geschehe auch, „um rechtliche Klarheit zu erlangen, welche Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten in den Verkehrsraum und zum Schutz einer Fahrradstraße Politik und Verwaltung überhaupt zugestanden werden“.
Mit einer Entscheidung des OVG dürfte allerdings kaum vor dem beginnenden Frühjahr zu rechnen sein, sodass in Rüttenscheid ab sofort und dann mindestens in den nächsten Wochen und Monaten erst einmal wieder die alten Regeln vor Oktober 2024 gelten.
Essen-Rüttenscheid: Mit Kompromissen ist es diesmal nicht getan
Vor dem Verwaltungsgericht hat die Stadt damit ein zweites Mal verloren. Anders als an der Einmündung Huyssenallee/Rü, wo das Unternehmen ifm im vergangenen November eine Sonderregelung durchsetzen konnte, sind an der zentralen Kreuzung Rüttenscheider Straße/Klarastraße/Zweigertstraße eine ganze Reihe von Abbiegezwängen für Autos betroffen. Ein halbwegs gesichtswahrender Kompromiss wie an der Huyssenallee war daher wegen der größeren Komplexität nicht möglich.
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In seiner Begründung setzt sich das Gericht überaus kritisch mit dem gesamten Verfahren auseinander und attestierte den Maßnahmen der Stadt Essen große Fehlerhaftigkeit, weshalb dem Antrag der Klägerin auf aufschiebende Wirkung stattzugeben sei. Viel spreche dafür, dass die Klägerin in ihren Rechten verletzt wurde. Es handelt sich um eine Boutique-Besitzerin, die in Rüttenscheid drei Läden betreibt.
In dem für eine Eilentscheidung sehr detaillierten und im übrigen ortskundig wirkenden Text wird zum einen die fehlende Abwägung der städtischen Maßnahmen mit den Interessen der Anwohner bemängelt. Viel Raum gilt außerdem dem Umstand, dass nach Ansicht des Gerichtes überhaupt keine datenbasierte Auseinandersetzung mit dem Thema Unfallgeschehen erfolgt sei, dies lediglich pauschal als ein Grund für die Maßnahmen genannt werde.
„Das Gericht greift alle Punkte auf, die in der Diskussion eine wichtige Rolle spielten, jedoch von der Stadt stets ignoriert wurden“, kommentiert ein Beteiligter die Entscheidung des Gerichts. Es handele sich um eine „juristische Fleißarbeit“, der hohe Anerkennung gebühre.
Gericht: Fahrradstraße allein ist keine hinreichende Begründung für Verkehrseinschränkungen
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Das Gericht hielt der Stadt zwar zugute, sie könne durchaus die Benutzung bestimmter Straßen verbieten oder einschränken. Dies setze aber „eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraus“. Nur eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko erheblich überschreite, könne „Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs“ rechtssicher begründen.
Auch die im Jahr 2020 vollzogene Umwidmung der Rüttenscheider Straße zur Fahrradstraße entbinde nicht von der Verpflichtung, zunächst eine „qualifizierte Gefahrenlage“ nachzuweisen, bevor man weitere Einschränkungen umsetze, schrieben die Richter der Stadt Essen ins Stammbuch. „Wenn sich die Straßenverkehrsbehörde für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet, hat sie vor Erlass einer (...) verkehrsrechtlichen Anordnung eine besondere Darlegungslast, und sie ist zur Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet“, fassen die Richter zusammen.
Gericht: Unfalldaten der Stadt belegen keine besondere Gefährdung von Radfahrern
Das Verwaltungsgericht monierte auch, die von der Stadt eingereichten Dokumente enthielten keinerlei Belastbares „zur Verkehrsdichte und zum Anteil der Radfahrer und Fußgänger sowie zu der Annahme, die Rüttenscheider Straße werde als Ausweichstrecke vom Durchgangsverkehr der parallel verlaufenden Alfredstraße (B 224) genutzt“. Die Darlegungen des von der Stadt beauftragten Planungsbüros seien stark von allgemeinen Urteilen und Prognosen durchsetzt, geizten jedoch mit Zahlenmaterial.
Was es an tatsächlichen Unfalldaten aus den Jahren 2021 bis 2024 gebe, reiche jedenfalls nicht aus, um eine Gefahrenlage anzunehmen. „Bezogen auf den Kreuzungsbereich am Rüttenscheider Stern lässt sich zudem eine besondere Häufung von Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern gerade nicht festhalten“, stellen die Richter fest. Insbesondere ließe sich durch die aufgeführten Unfälle nicht der Schluss herleiten, die Rüttenscheider Straße sei generell überlastet. „Die Unfälle beruhten entweder auf der Unaufmerksamkeit einzelner Verkehrsteilnehmer oder sie stellen sich als typische Kreuzungsunfälle dar, die beim Abbiegevorgang entstehen“, hieß es. Die zusätzlich geschaffenen Abbiegezwänge könnten sich vor diesem Hintergrund sogar kontraproduktiv auswirken.
Das Gericht betont ferner, dass schon die beim ersten Verfahren monierten Ermessensfehler von der Stadtverwaltung nicht nachträglich geheilt wurden. Insbesondere habe es keine Abwägung gegeben, welche Folgen sich aus den Abbiegezwängen für Anlieger und der Verdrängung des Verkehrs in die Nebenstraßen ergeben. Schließlich vermisste das Gericht auch eine datenbasierte Abwägung mit Blick auf den Lieferverkehr.
OB Kufen: Sehe mit Sorge, dass die Diskussion Rüttenscheid schadet
Oberbürgermeister Thomas Kufen nahm zur inhaltlichen Kritik des Gerichts keine Stellung, er redete vielmehr den Akteuren ins Gewissen: „Ich sehe mit Sorge, dass die anhaltende und aufgeheizte Diskussion über die Verkehrsführung in Rüttenscheid dazu führt, dass der Einzelhandelsstandort Rüttenscheid immer mehr Schaden nimmt.“ Daran könne niemand ein Interesse haben. Kufen konstatierte „Kompromisslosigkeit bei den Wünschen und Bedarfen der verschiedenen Verkehrsarten“, was Kompromisse zwischen Autofahrern, Radfahrern, Fußgängern sowie Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel und Anwohnern sehr erschwere.
CDU-Ratsfraktionschef Fabian Schrumpf begrüßte, dass die Stadtverwaltung den Weg zum Oberverwaltungsgericht prüfen will. Zu hoffen sei, dass die Stadt Essen in Münster eine möglichst endgültige rechtliche Bewertung erhalte. „Insbesondere mit Blick auf die eingegangenen Verpflichtungen aus dem Vergleich mit der Deutschen Umwelthilfe könnte das Gericht dann eindeutig klären, wozu die Stadt Essen verpflichtet ist – und wozu nicht.“
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