Essen-Werden. Die Trägerschaft des betreuten Wohnens in Essen-Werden wechselt zu Inclusio, um den Standort zu sichern. Wie das Modell zur Selbstbestimmung funktioniert.
Das „Betreute Wohnen“ in der Urbachstraße 55 in Essen-Werden ist ein Angebot für Menschen mit Beeinträchtigung, die im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind, aber doch selbstständig wohnen möchten. Die selbst entscheiden möchten, wann sie aufstehen, zu Abend essen oder Besuch bekommen. Nun übergab die Gemeinde St. Ludgerus die Trägerschaft an die gemeinnützige Gesellschaft Inclusio. So soll der Standort langfristig gesichert werden. Denn eine ehrenamtliche Betreuung wie bisher durch Gemeindemitglieder war nicht mehr zu stemmen.
In der gemütlichen Wohnküche reden die 67-jährige „Ureinwohnerin“ Renate Krey und der 23-jährige „Neuling“ Russell Sarpong mit Fachbereichsleiterin Laura Habbecke über dieses doch ein wenig andere Mietshaus, aber auch darüber, dass hier so viel wie nur irgend möglich normal ist. Seit 1991 einfach mittendrin in Werden, in direkter Nachbarschaft zur Heckerschule. Zurzeit leben fünf Paare und sechs Einzelbewohner im Haus, sechs weitere sind in Wohnungen in der Nähe untergebracht. Prinzipiell versorgt sich jeder selbst.
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Die Angebote des Hauses sind nicht verpflichtend
Sieben Mitarbeiter, bald wird es eine zusätzliche Stelle geben, motivieren die Bewohner vor allem, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Soweit dies möglich ist. Laura Habbecke lächelt: „Wir geben unterstützende Hilfen. Zum Beispiel das Erlernen und Erhalten von Fähigkeiten, damit die Menschen das selbst tun können. Wenn man so will, im Grunde sowas wie der berühmte Tritt in den Hintern.“
Die Sozialpädagogin erläutert: „Wir übernehmen Tätigkeiten, die eigenständig nicht mehr möglich sind. Etwa Haushaltsführung oder auch Unterstützung bei Verlassen des Hauses zum Einkauf von Lebensmitteln. Oder Freizeitgestaltung wie zum Beispiel ein Besuch im Grugapark. Oder Pflegerisches.“
„Wir geben unterstützende Hilfen. Zum Beispiel das Erlernen und Erhalten von Fähigkeiten, damit die Menschen das selbst tun können.“
Über allem schwebt ein Satz, den Sozialarbeiterin Ulla Isenberg prägte, die von Anfang an dabei ist: „Hier kann jeder die Tür hinter sich zu machen.“ Die Angebote des Hauses, wie zum Beispiel diverse Kochgruppen, sind für niemanden verpflichtend. Jeder Bewohner entscheidet selbst, woran er teilnehmen möchte.
Alle Bewohner der Essener Gruppe gehen einer Arbeit nach
Alle Bewohner gehen einer Arbeit nach, entweder in karitativen Einrichtungen oder in der Werkstatt für behinderte Menschen. Renate Krey ist bereits Rentnerin: „Ich habe 43 Jahre lang bei der GSE gearbeitet.“ Die Gesellschaft für soziale Dienstleistungen Essen steht Menschen mit Behinderungen mit vielfältigen Beschäftigungsangeboten zur Seite.
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Russell Sarpong arbeitet bei der GSE in Borbeck: „Da mache ich Montage.“ Das einstündige Pendeln mit dem ÖPNV nehme er gerne in Kauf: „Die Arbeit macht Spaß und die Arbeitskollegen sind nett. Ich komme gut klar mit denen.“
Renate Krey arbeitete elf Jahre lang im Café an der Kirche in Kray: „Da habe ich Gäste bedient, Essen vorbereitet, auch für große Gesellschaften. Da habe ich mal aus Papierservietten hundert Seerosen gefaltet.“ Weil sie Schwierigkeiten mit der Sehkraft bekam, wechselte sie zum Velberter Unternehmen SAG. Dort setzte sie Schlösser zusammen, zählte Schließbleche ab und verpackte sie: „Das habe ich bis zur Rente gemacht. Ich wäre gerne noch geblieben.“
Einmal im Jahr geht es für eine Woche auf große Reise
Die beiden gehen Hobbies nach. Russell Sarpong ist seit kurzem Schlagzeuger der Band „Inkompetenz“. Renate Krey ist Mitglied einer Theatergruppe, die in Steele probt: „Im Februar führen wir ein Stück auf über Wut und Freude.“ Im Haus sei immer was los: „Wir haben unseren Clubraum und machen dort Gesellschaftsspiele. Oder wir sitzen hier in der Küche und quatschen. Oder draußen in unserem schönen Garten. Heute Abend ist Reibekuchenessen.“
Einmal im Jahr geht es für eine Woche auf große Reise. Renate Krey strahlt: „Wir waren gefühlt schon überall. Wunderschön war es auf Mallorca. Wir waren auch schon in Holland.“ Leider habe der Trip diesmal ausfallen müssen, so Laura Habbecke: „Stattdessen haben wir Ausflüge gemacht, zum Beispiel nach Rüdesheim oder Schloss Burg.“ 2025 werde man wieder auf große Fahrt gehen, nachdem die Bewohner über das Ziel abgestimmt haben: „Wir geben da nichts vor.“
Organisatorische Baustellen
Der Trägerwechsel von der Gemeinde St. Ludgerus zur Inclusio sei bestens gelaufen, betont Propst Jürgen Schmidt.
Und doch gab es organisatorische „Baustellen“, sagt Laura Habbecke: „Eine Fachkonzeption musste erstellt werden, um direkt mit dem Landschaftsverband Rheinland abrechnen zu können.“ Die Prüfung des Konzeptes dauere schon lange, man müsse sich halt gedulden. Solange werde über das persönliche Budget abgerechnet. Das hieß für die Bewohner, neue Leistungsverträge zu unterschreiben und sich ein zusätzliches Konto zuzulegen.
Die Fachkräfte bleiben auch nach dem Wechsel des Trägers
Bei der Besichtigung vor 33 Jahren habe es überall noch nach frischer Farbe gerochen, erinnert sich Renate Frey: „Zuvor habe ich in Kray im Heinrich-Held-Haus gelebt.“ Sie habe eine gemütliche Wohnung, „direkt neben unserem Hausmeisterehepaar“.
Helga und Werner Zukowski sind eine Konstante im betreuten Wohnen. Sie bleiben, wie auch die Fachkräfte Claudia Empacher und Ulla Isenberg. Die sieht die Entwicklung entspannt: „Natürlich sind mit einem Trägerwechsel auch Veränderungen verbunden, was die Bewohner durchaus beschäftigt. Aber sie werden hier gut aufgefangen.“
Was auch für Russell Sarpong gilt. Der Mittzwanziger lebt seit Februar 2024 mit seiner Verlobten an der Urbachstraße: „Wir hatten in Frintrop gewohnt, mussten dort aber aus der Wohnung. Danach standen wir quasi auf der Straße und haben bei einem Kumpel übernachtet. Dann wurde hier eine Wohnung frei und wir durften einziehen. Hier im Haus verstehe ich mich mit allen gut.“ Auch Renate Krey lobt: „Hier bekomme ich die Hilfe, die ich brauche. Sonst hätte ich das nicht so gut hingekriegt.“
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