Essen-Werden. Heute ist sie Sitz der Folkwang-Uni. Was viele nicht wissen: Fast 120 Jahre befand sich in der ehemaligen Abtei von Essen-Werden ein preußisches Zuchthaus.

Das Motto in der Strafanstalt lautete „biegen oder brechen“. Mit dieser Maxime behandelten die Gefängnisdirektoren in der preußischen Zeit die Häftlinge, männlich und weiblich. Der Umgang mit ihnen war hart und die Todesrate hoch.

Über die 117 Jahre dauernde Nutzung der Abtei Werden als preußisches Zuchthaus sprach der Essener Historiker Norbert Fabisch bei seinem Vortrag im Petershof in Kettwig. Er beschrieb die Wandlung des mehr als 1000 Jahre alten Benediktinerklosters auf dem Ruhrhügel zu einem der größten Zuchthäuser in Preußen bis zur Reichsgründung 1871, in der Kaiserzeit und während der Weimarer Republik. 1928 kam die Schließung.

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Bei den Straftaten handelte es sich meist um Diebstahl und Hehlerei

1802 war die Ära der Mönche in der Abtei zu Ende gegangen. Der Missionar Liudger hatte bekanntlich das Kloster 799 gegründet. Im Zuge der Säkularisierung unter der Herrschaft der Franzosen fiel die Abtei leer, nach den Befreiungskriegen übernahm Preußen das Regiment und eröffnete 1811 ein Zuchthaus. Fabisch: „Das Anwesen bot sich dafür an, weil die Gebäude im Geviert angelegt waren. Die Ummauerung sparte Kosten. Quer über den Vorplatz wurde eine Mauer mit einem Eingangstor angelegt.“ Die Gebäude wurden aufgestockt. Außen auf der linken Seite war der „Preußenflügel“ mit Kirche und Kaserne vorgelagert.

Norbert Fabisch

„Das Anwesen bot sich dafür an, weil die Gebäude im Geviert angelegt waren. Die Ummauerung sparte Kosten..“

Norbert Fabisch
Essener Historiker

1000 und noch mehr Züchtlinge, so hießen sie, wurden eingewiesen. Ihre Straftaten laut einer Übersicht von 1838 lauteten an erster Stelle Diebstahl und Hehlerei (oft aus der Not heraus), Körperverletzung oder Unzucht. Auf Platz 5 standen Mord und Totschlag. Auch Kindesmord kam häufig vor. Fabisch: „Die Täter waren meist Täterinnen, es waren die Mütter. Sie töteten das Kind häufig aus Armut.“ Im Gefängnis wurden indes auch Kinder geboren. Laut Fabisch, der schon seit mehreren Jahren zu diesem Thema geforscht hat, dürften Wärter ihre Väter gewesen sein. Darüber gibt es auch ein Register.

Die Häftlinge waren nach 1900 in Gitterboxen in Gemeinschaftsräumen untergebracht. Eine Box war 1,20 m breit.
Die Häftlinge waren nach 1900 in Gitterboxen in Gemeinschaftsräumen untergebracht. Eine Box war 1,20 m breit. © Fabisch (Repro)

Zuchtanstalt wurde zur Konkurrenz für die Tuchindustrie in Werden

Die Insassen hatten zu arbeiten. Den Direktoren ging es darum, so Fabisch, bei ihrer Obrigkeit durch niedrige Anstaltskosten einen positiven Eindruck hervorzurufen. Schnell wurde alles rund um die Tuchherstellung produziert, also spinnen, weben und nähen. Das löste ebenso schnell Protest und Ablehnung bei den Werdener und Kettwiger Webern aus. Generell war das Zuchthaus, so der Historiker, in Werden geradezu „verhasst“. Denn neben der Arbeitskonkurrenz führte die Anstalt mit gut 1000 Insassen sowie Inspektoren und Wachsoldaten zu einem höheren Bedarf an Lebensmitteln und Alltagsgegenständen, was die Preise hochtrieb. Die Angst vor Krankheiten und Seuchen aus dem hygienisch üblen Zuchthaus kam hinzu, so Fabisch.

Neben dem Weben und Spinnen kamen Häftlinge auch auf der Tretmühle zum Einsatz. Das war eine Art lange offene Trommel um eine Achse herum, auf der die Gefangenen ständig laufen mussten, um die Trommel in Bewegung zu halten. Über die Achse wurden per Riemen Schleifsteine oder anderes angetrieben. Häftlinge bauten außerhalb der Abtei auch Wohngebäude für die Aufseher.

Die Zellentür findet sich heute im Büro des Kanzlers der Folkwang-Uni. Gegen alle Regeln waren diese Türen falsch angeschlagen und öffneten sich nach innen. Hinter der Tür hätte sich ein zweiter Häftling verstecken können, um den Aufseher anzugreifen.
Die Zellentür findet sich heute im Büro des Kanzlers der Folkwang-Uni. Gegen alle Regeln waren diese Türen falsch angeschlagen und öffneten sich nach innen. Hinter der Tür hätte sich ein zweiter Häftling verstecken können, um den Aufseher anzugreifen. © Fabisch (Repro)

Die insgesamt schlechte Verpflegung galt nicht für prominente Insassen

Durch die schlechte Verpflegung, durch die anstrengende Arbeit und durch Prügel und Krankheiten sei die Sterblichkeit sehr hoch gewesen sein, berichtete Fabisch. An der Stelle des heutigen Parkplatzes wurde der erste Häftlingsfriedhof angelegt, weiter außerhalb folgten später Friedhof 2 und 3.

Vortrag im Petershof

Der nächste historische Vortrag im Gemeindezentrum Petershof in Kettwig, Hauptstraße 138, findet am Donnerstag, 7. November, um 19 Uhr statt. Der Eintritt ist frei.

Es referiert Pfarrer i.R. Michael Heering über die Essener Auferstehungskirche in Huttrop. Vor zwei Jahren erhielt Heering aufgrund seiner Verdienste für die Kultur in Essen eine Auszeichnung, den Rheinlandtaler Kultur. Er gab den Anstoß und betreute die Rekonstruktion der verloren gegangenen Originalfenster dieser Kirche.

Das Zuchthaus hatte aber auch höhergestellte Insassen. Im Jahr der französischen Ruhrbesetzung 1923 mit dem bekannten Generalstreik wurden hier widerständige Verwaltungsleiter oder Polizeidirektoren eingesperrt. Auch der Werdener Bürgermeister Breuer landete wegen Insubordination, also Widerstand gegen die Besatzer, in einer Zelle. Wie überliefert wurde, soll es den prominenten Gefangenen aber gut ergangen sein. Sie erhielten Essenslieferungen und Weinpakete.

Im Internet-Eintrag ist das Zuchthaus keine Erwähnung wert

Nach der Schließung der Anstalt 1928 gab es kaum noch eine Nutzung. Ein Jahr nach Kriegsende zog die Folkwangschule mit einer Abteilung in der Abtei ein. Sie ist bekanntlich bis heute dort. Es wurde später viel wieder aufgebaut und restauriert.

„Der Vortrag war so konkret und plastisch“, meinte anschließend Zuhörerin Mechthild Piel aus Isenbügel begeistert. „Ehrlich gesagt, habe ich es mir nicht so interessant vorgestellt.“ Was erstaunt: Der Historiker Fabisch vertritt die Meinung, dass bis heute viele Werdener nicht an die Zeit des preußischen Zuchthauses in „ihrer“ Abtei erinnert werden möchten. Ebenso erstaunlich ist, dass sich in dem ausführlichen Wikipedia-Eintrag über die Abtei Werden keine Zeile über die 117 Jahre des Zuchthauses findet.

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