Essen. Gut 300 Gruppen listet der neue Selbsthilfe-Wegweiser Essen auf. Angst, Depression, Sucht sind klassische Themen, aber es gibt auch neue Trends.
Sie sind Tröster, Berater, Zuhörer und Retter: Rund 300 Selbsthilfegruppen gibt es aktuell in Essen, und jedes Jahr kommen weitere hinzu (und einzelne lösen sich auf). Wer Unterstützung oder Austausch sucht, wird im neuen „Selbsthilfe-Wegweiser“ fündig. Da finden sich Anlaufstellen für Frauen mit Messie-Syndrom, für schwule Väter wie für Menschen mit Bechterew, Psoriasis oder Sozialphobie.
Kriegsenkel oder Hochsensibilität sind Trend-Themen
Der Wegweiser ist Adressbuch und Selbstvergewisserung in einem: „Hier sieht man, wie die Selbsthilfe in Essen aufgestellt ist“, sagt André Beermann, Geschäftsführer der Wiese e.V. Das Selbsthilfe-Netzwerk, das im kommenden Jahr sein 35-jähriges Bestehen feiert, bringt die Broschüre zum zehnten Mal heraus, in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Der Band ist schmal, die Bandbreite ist enorm.
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Neben lang etablierten Gruppen wie der Aidshilfe, kommen neue hinzu, die Trend-Themen wie verlassene Eltern, Kriegsenkel oder Hochsensibilität aufgreifen. Ein Schicksal, ein Bestseller, ein Influencer können der Auslöser sein, dass plötzlich breit diskutiert wird, was zuvor ungesagt blieb.
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„Unsere Arbeit ist auch ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen“, sagt die Sozialpädagogin Michaela Weber-Freitag über die Wiese, die Gruppen bei Gründung, Raumsuche und Öffentlichkeitsarbeit hilft. Mal verschwinden Themen wie Burn-out unmerklich, mal erlebe man, dass eine Neugründung einen Nerv treffe: So beim Thema toxische Beziehungen, das in diesem Jahr auf große Resonanz traf. „Da wurden wir überrannt.“
„Unsere Arbeit ist auch ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen.“
Psychosoziale Themen haben Konjunktur – und würden heute oft nicht als Problem behandelt, sondern positiver etikettiert, ergänzt ihre Kollegin Claudia Demeter. „Viele sind auch nicht mehr Diagnose-spezifisch aufgestellt, sondern es geht ihnen allgemein um seelische Gesundheit oder um Zeit für sich.“ Das spreche oft jüngere Menschen an.
Gruppenmitglieder sind in Krisen füreinander da
Manche Gruppen wenden sich ausdrücklich nur an unter 40-Jährige, andere sind reine Männer- und (häufiger) reine Frauenangebote. „Jeder darf definieren, wer kommen kann“, sagt Michaela Weber-Freitag. Große Themen, die nie verschwinden, seien Angst, Sucht, Depression. Hier begleiten sich die Gruppenmitglieder oft über lange Zeit, sind in Krisen füreinander da. Gleiches gilt für die Angebote, die sich an Angehörige wenden, mit ihnen Ratlosigkeit und Verzweiflung teilen, sie stärken und stützen.
„Viele Gruppen sind auch nicht mehr Diagnose-spezifisch aufgestellt, sondern es geht ihnen allgemein um seelische Gesundheit oder um Zeit für sich.“
Wie wertvoll Selbsthilfe ist, sei heute auch vielen Medizinern bewusst: Wer eine schwere Krankheit durchlebt, braucht neben der Behandlung oft den Rat und Halt von anderen Betroffenen. Das Wiese-Team spricht darum viel mit Multiplikatoren in Gesundheitsberufen – und die weisen nun auch vermehrt auf Krebsberatung, Prostata-Selbsthilfe & Co. hin. „Auch viele Kollegen in Beratungsstellen nutzen unseren Wegweiser, wenn sie Klienten beraten.“
Ein Herz für die Selbsthilfe
Der neue „Selbsthilfe Wegweiser Essen“ ist in diesem Sommer in einer Auflage von 5000 Exemplaren erschienen. Er liegt in verschiedenen Beratungsstellen sowie in den Schubladen mancher Ärzte und Psychologen bereit. Außerdem ist er bei der Selbsthilfe-Beratung „Wiese“ e.V. kostenlos erhältlich: Eulerstraße 17 in Altendorf, 0201-20 76 76. Der Wegweiser kann auch online abgerufen werden auf: www.wiesenetz.ruhr
Die Wiese ist auch auf der Mode Heim Handwerk (MHH Erlebniswelten) von Donnerstag, 7. November, bis Sonntag, 10. November, (täglich 10 - 18 Uhr) in der Messe Essen zu Gast: 40 Selbsthilfegruppen stellen sich dort vor und bespielen eine Aktionsfläche mit einem vielfältigen Angebot von Basteln über Vorlesen für Kinder sowie Fitness bis zur Erfahrung mit einer „Rausch-Brille“. Influencer Romeo Sommers baut am Stand aus Blumen ein 2x2 Meter großes „Herz für die Selbsthilfe“ auf, das sich als Selfie-Point anbietet.
Der Selbsthilfepreis, mit dem die Stadt in enger Zusammenarbeit mit der Wiese alle drei Jahre das besondere Engagement von Essener Selbsthilfegruppen würdigt, ist im Oktober wieder verliehen worden. Ausgezeichnet wurden folgende Gruppen: AD(H)S, Marfan Hilfe Regionalgruppe Ruhrgebiet, Selbsthilfegruppe Epilepsie, „Gut.Drauf – Sport und Krebs“ und die Prostata-Selbsthilfegruppe Essen.
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Die fünf Jahre alte Wegweiser-Fassung zu aktualisieren, neue Kontaktadressen und Gruppen hinzuzufügen, war eine Fleißarbeit, die ein Jahr gedauert habe, sagt Barbara Pink vom Wiese-Team. „Wir mussten jede Gruppe anschreiben, Mail-Adressen und Telefonnummern prüfen, die Datenbank füttern.“ Den Überblick über Selbsthilfegruppen und andere Anlaufstellen könne man nun auch online abrufen.
Wiese zieht ins Haus der Begegnung in der Innenstadt
Wer das Wiese-Team und Vertreter von 40 Selbsthilfe-Gruppen kennenlernen möchte, kann das bald auf der Messe „Mode Heim Handwerk“. Das ist eine von rund 50 Veranstaltungen, die die Wiese im Jahr organisiert oder besucht. Anfang 2025 erscheint der neue Terminkalender; und irgendwann in der ersten Jahreshälfte steht ein für das Team wichtiger Termin an, verrät André Beermann: der Umzug von Altendorf ins Haus der Begegnung in der Innenstadt.: „Wir freuen uns, dann im Stadtbild präsenter zu sein.“