Essen. Therapien sind bei Prostatakrebs nicht alles. In der Essener Selbsthilfegruppe wird über Nebenwirkungen wie Inkontinenz und Impotenz gesprochen.
Die Diagnose Protatakrebs sei ein Schock, sagt Ulrich Würdig: „Man spürt: Das Leben ist endlich.“ Als Vorsitzender der Prostata Selbsthilfe Essen e.V. hat er diesen Moment vor Jahren selbst erlebt und weiß, wie hilfreich der Austausch mit anderen Betroffenen sein kann – und wie offen in der Gruppe auch über heikle Themen gesprochen wird.
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Prostatakrebs ist hierzulande die häufigste Krebsart bei Männern: Laut Robert-Koch-Institut werden jährlich gut 63.000 Neuerkrankungen diagnostiziert. Das liegt auch an der verbesserten Früherkennung, die wiederum dazu beiträgt, dass die Krankheit in den allermeisten Fällen nicht tödlich ist. Dazu kommen vielfältigere Behandlungsmöglichkeiten. Auch Würdigs Arzt beruhigte ihn damals: „Sie werden daran nicht sterben.“
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So tröstlich das war, so viele Fragen blieben nach dem Arztbesuch dennoch offen. Angefangen bei der richtigen Therapie bis zu den gefürchteten Nebenwirkungen einer Operation, etwa Schmerzen beim Wasserlassen, Inkontinenz oder Erektionsstörungen. „Es gibt in der Medizin zwei große Tabus: Tod und Sexualität“, sagt der heute 76 Jahre alte Würdig. Beides sei auch im Familien- und Freundeskreis nicht leicht anzusprechen.
Vereinsvorsitzender rät: „Holen Sie eine Zweitmeinung ein“
In der Selbsthilfegruppe treffe man dagegen auf große Offenheit und die Expertise der Betroffenen: Sie erleben im Alltag, was sie einschränkt, was hilft und was eher nicht. Ulrich Würdig ist daher noch heute froh, dass in der urologischen Praxis ein Flyer der Prostata Selbsthilfe Essen lag. „Hier stellen sich alle die Frage: Wie geht es jetzt weiter?“
„Es gibt in der Medizin zwei große Tabus: Tod und Sexualität.““
Konkret geht es erstmal um die bestmögliche Behandlung: Je nach Stadium und Einzelfall kommen Operation, Bestrahlung, Chemotherapie, Hormontherapie, Immuntherapie oder Radionuklidtherapie infrage. In manchen Fällen werden die beteiligten Mediziner auch zum Abwarten raten. Würdig wiederum empfiehlt jedem Betroffenen: „Holen Sie eine Zweitmeinung ein.“ Die werde bezahlt und schenke im besten Fall mehr Vertrauen in die gewählte Therapie.
Nicht immer ist eine Operation notwendig
Oft wissen die anderen Gruppenmitglieder, welche Fragen man zu Risiken, Nebenwirkungen und Heilungserfolg stellen sollte. Außerdem, so Würdig, solle man zu einem so wichtigen Termin immer in Begleitung gehen: „Nehmen Sie bloß Ihre Frau oder Ihren Freund mit.“ Der Krebs wachse langsam, und es gebe viele Faktoren – Größe, mögliche Metastasen –, die die Wahl der Behandlung beeinflussen: „Die OP muss nicht die erste Wahl sein.“
Entscheide man sich für letztlich für die Operation, sollte man in ein zertifiziertes Zentrum gehen, „nicht in ein Provinzkrankenhaus“. Auf unerwünschte Folgen des Eingriffs wie Inkontinenz oder Impotenz sollten Patienten hingewiesen werden, sagt Würdig. „Doch der Arzt hat nur zehn, zwanzig Minuten Zeit, unsere monatlichen Treffen dauern zwei Stunden.“ Da könne man Nachfragen stellen und auch über psychische Belastungen sprechen. Auch wenn der Krebs nicht heilbar sei, gebe es palliative Behandlungen, die den Betroffenen noch eine gute Zeit geben können.
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Wer zum ersten Mal zu einem Treffen komme, höre meist nur zu, hat Würdig beobachtet. Doch wenn erstmal einer etwas erzähle, entwickle sich ein gruppendynamischer Effekt. „Da wird auch über die Angst gesprochen und über eher delikate Themen.“ Etwa, wie es ist, wenn man Vorlagen tragen muss oder ein Stoma (künstliche Harnableitung) braucht.
Mediziner rät den Betroffenen zum Sex
Natürlich bewege die Männer – und ihre Frauen, die teils mit zu den Treffen kommen – auch die Frage, ob es ein Sexleben nach der Prostatabehandlung gebe. Einer der Mediziner, die der Verein regelmäßig einlädt, habe das mal auf die Formel gebracht: „Use it or lose it“ („Nutze es oder verliere es“). Man solle Sex praktizieren, „auch wenn es nicht so ist wie beim ersten Mal“.
Austausch und Beratung für Betroffene
Die Prostata Selbsthilfe Essen e.V. ist eine von bundesweit rund 200 Gruppen im Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe. Sie besteht seit 2001, hat mehr als 70 Mitglieder und fördert den Austausch und die psychosoziale Unterstützung Betroffener, informiert und berät zum Thema und vertritt die Patienteninteressen in Gremien des Gesundheits- und Sozialsystems.
Jeden letzten Montag im Monat trifft sich die Gruppe in der Akademie am Steeler Berg im Alfried-Krupp-Krankenhaus, Hellweg 92. Jedes zweite Mal ist ein Referent der drei Kooperationspartner Krupp-Krankenhaus, Uniklinik und Ev. Kliniken Essen-Mitte (KEM) zu Gast. Beim nächsten Treffen am Montag, 24. Juni, von 15.30 bis 17.30 Uhr können sich die Teilnehmer austauschen.
Kontakt und Infos: www.prostata-selbsthilfe-essen.de; Mail: web@prostata-selbsthilfe-essen.de. Ansprechpartner ist Ulrich Würdig: 0173-514 1032.
Selbsthilfe sei bei vielen Männern nicht populär, bedauert Würdig, der früher selbst skeptisch war. Heute sei er dem Gründer und langjährigen Vorsitzenden des Vereins, Heinz Davidheimann, dankbar, wie gut er ihn beraten habe. Auch darum erklärte sich Würdig nach dem Tod Davidheimanns im vergangenen Jahr bereit, den Vereinsvorsitz zu übernehmen.
Würdig wirbt nun leidenschaftlich für eine gesunde Lebensweise – und für regelmäßige Vorsorge-Untersuchungen. „Der Schmerz kommt spät, darum sollte man einmal im Jahr den PSA-Wert bestimmen lassen.“ Denn der weise früher auf eine mögliche Krebserkrankung hin. Eine vergrößerte Prostata sei übrigens nicht immer krebsbedingt; abklären lassen sollte man das auf jeden Fall. Der Vereinsvorsitzende besucht schon mal einen Urologen-Kongress oder informiert auf der Messe „Mode Heim Handwerk“ über die Selbsthilfegruppe, die den Mitgliedern bei allen Einschränkungen Mut mache: „Hier sind wir noch!“
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