Essen-Heisingen. Als junger Mann wollte er zur Marine, dann blieb er bei den Stauseen. Mit fast 100 Jahren stellt Kurt Schulze sein Buch über die Schifffahrt vor.
Ein Leben am Wasser. 1928 in Mülheim am Ruhr-Ufer geboren, war Kurt Schulze immer in seinem Element, wenn es floss. Später lebte die Familie im sächsischen Grimma, auch wieder an einem Fluss, der Mulde, und der kleine Kurt baute dort sein erstes Boot. Schulze wollte zur Marine, doch die Seefahrt lag brach nach dem Krieg. Nun hat er sich für ein Buch mit der Schifffahrt beschäftigt.
Kurt Schulze ging damals zunächst in den Westen und studierte in Essen an der Ingenieurschule für Bauwesen: „Wir mussten doch Deutschland wieder aufbauen.“ Beim Ruhrverband befasste er sich dann fast sein ganzes Berufsleben lang mit den Baumaßnahmen rund um die Ruhrstauseen.
Seit er vor 30 Jahren in Rente ging, lebt Schulze mit seiner Frau in Heisingen. Für den dortigen Museumskreis machte er sich schließlich auf die Spuren der Treidelschifffahrt an der Ruhr, hielt umfangreiche Bildvorträge und legt sie nun gesammelt in Schriftform vor. Als Fachmann gelingt es ihm, die technischen und planerischen Details auch für den Laien verständlich darzustellen. Ziel war es auch, einer romantisierenden „Heroisierung“ entgegenzuwirken: „Ich habe zeitgenössische Quellen verwendet und nichts der Fantasie überlassen.“
Dann gewannen Straße und Schiene den „Transport-Wettstreit“
Die Ruhr kennt man heute als naturnahe Erholungszone. Doch sie war rund hundert Jahre lang ein absolut wichtiger Wirtschaftsweg der Industrialisierung. Ruhrnachen, plattdeutsch als Aak bezeichnet, transportieren Kohle und andere Güter. Diese Aaken wurden mit zumeist von Bauern angemieteten Pferden flussaufwärts gezogen, also „getreidelt“. Die Spuren finden sich noch heute in Form der gepflasterten „Leinpfade“ entlang der Ruhr.
Zu Hochzeiten waren 400 Aaken in Betrieb. Die „historische“ Ruhrschifffahrt oberhalb von Mülheim sei aber 1890 mangels Wirtschaftlichkeit eingestellt worden, so Schulze: „Mit dem Bau der Staustufen Baldeney und Kettwig verband sich die Hoffnung auf eine Wiederbelebung, wenn zum Beispiel die Essener Zechen auf dem umfänglich verbesserten Wasserweg ganzjährig erreichbar sein würden.“ Die Hoffnung trog. Straße und Schiene hatten den „Transport-Wettstreit“ gewonnen.
Kurt Schulze ist an technischer Korrektheit gelegen: „Auf Gemälden sehen wir Aaken, die so nie ausgesehen haben. Ich habe zeitgenössische Quellen verwendet. Wir kennen nur eine einzige seriöse Zeichnung eines Ruhrnachens, die ist aus dem Jahr 1840.“ Das Boot war um die 34 Meter lang, aber nur fünf Meter breit.
Voll beladen ragte der Aak gerade einmal 30 Zentimeter aus den Fluten. Schulze lacht: „Das lag wie ein Bügelbrett auf dem Wasser.“ Eine Herausforderung für die schwer schuftenden Aaken-Knechte: „Die mussten Bärenkräfte haben, um diese Flachschiffe in der Fahrrinne zu halten.“ Zum Beispiel in der berüchtigten Kupferdreher Kurve: „Die war sehr unfallträchtig.“ Immerzu habe es geheißen: „Um Gottes willen, bloß weg vom Ufer.“
Buch zur Treidelschifffahrt
„Auf den Spuren der Treidelschifffahrt an der Ruhr“ von Dipl. Ing. Kurt Schulze bietet viele Fotos, historische Pläne und Schiffszeichnungen. Für 18 Euro ist es zu erwerben bei der Heisinger Buchhandlung, Hagmanngarten 1, der Papeterie Drange2, Bahnhofstraße 16, im Paulushof, Stemmering 18, im Ev. Gemeindehaus, Stemmering 20 und bei Veranstaltungen der Bürgerschaft Heisingen.
Das Buch wurde vom Museumskreis des Bergbau- und Heimatmuseums im Paulushof herausgegeben. Auch ist ein Heisinger Kalender 2025 in Vorbereitung.
Fürs „zu Berg treideln“ wurden gewöhnlich drei Pferde vorgespannt. Mit nach Backbord gelegtem Ruder und uferseits abgesenktem Seitenschwert wurde der Schrägzug der bis zu 400 Meter langen, an der Mastspitze befestigten Treidelleine auf das Ufer aufgehoben. Die Pferde mussten „traversieren“, sich also schräg ins Seil stemmen. Die zu Tal fahrenden Boote legten ihren Mast um, um die Treidelleine entgegen kommender Bergfahrer unterfahren zu können.
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Ein Leben am Wasser. Im Sommer 1959 wurde der Verlauf der Ruhr bei Hattingen verlegt, um das Werksgelände der dortigen Henrichshütte erheblich zu vergrößern. Dafür wurde ein 60 Meter breiter und 1.600 Meter langer Kanal angelegt. In 60-tägiger Bauzeit fanden gewaltige Erdbewegungen und Abbrucharbeiten zur Schaffung eines künstlichen Flussbettes statt. Und Ingenieur Schulze wurde zum Romantiker, und zwar heftig.
Ein Bauernhof musste der Verlegung weichen. Kurt Schulze lernte die Tochter des Hofes kennen und lud sie ein zu der einen oder anderen Ruderpartie. Man kam sich näher und heiratete drei Jahre später. Der Senior schmunzelt: „Seit 1959 sitzen wir in einem Boot.“ Zum Beispiel beim Segeln auf dem Baldeneysee. Das lässt sich der rüstige 96-Jährige nicht nehmen.
Kurt Schulze wäre nicht der begeisterte Technikvermittler, wenn er nicht noch einen heißen Tipp hätte. Er empfiehlt, beim bekanntesten amerikanischen Universalgelehrten nachzuschlagen: „Die Steuerbarkeit eines mit der Strömung zu Tal fahrenden Schiffes wurde am besten von Benjamin Franklin erklärt.“
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