Essen. Weil er seinen Anteil an den Heimkosten nicht zahlen kann, könnte ein Essener (89) auf der Straße landen. Ein Gericht gab dem Heimträger recht.
Ein Seniorenheim im Essener Osten hat jetzt erfolgreich eine Räumungsklage gegen einen pflegebedürftigen Bewohner angestrengt: Der Mann hatte den Eigenanteil an den Heimkosten nicht mehr leisten können, Monat für Monat stiegen seine Schulden beim Heimträger. In letzter Minute soll nun abgewendet werden, dass der 89-Jährige auf der Straße landet.
Heimbewohner müssen Eigenanteil von mehr als 3000 Euro pro Monat zahlen
Sein Mandant, der seit dem Jahr 2022 in dem Heim lebe, habe den Eigenanteil seit einem Jahr nicht vollständig aufbringen können, sagt Rechtsanwalt Oliver Post. Damit steht der Senior nicht allein. Nach Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) vom 1. Juli zahlen Pflegebedürftige in NRW im ersten Jahr ihres Heimaufenthalts im Schnitt 3200 Euro pro Monat selbst dazu; vor einem halben Jahr waren es noch gut 2900 Euro. Angesichts der rasant steigenden Kosten sind Senioren oft gezwungen, sich ans Sozialamt zu wenden.
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Auch viele der 7000 Essener und Essenerinnen, die in Pflege- und Seniorenheimen leben, geraten an ihre Grenzen: „Im Juni 2024 bezogen insgesamt 3354 Personen in Pflegeeinrichtungen Leistungen durch das Amt für Soziales und Wohnen“, teilt Sozialdezernent Peter Renzel mit. Also fast jeder zweite Heimbewohner.
Auch der 89-Jährige hat nach Einschätzung seines Anwaltes Anspruch auf Sozialleistungen. „Die Pension meines Mandanten fließt vollständig ins Heim, reicht aber nicht. Vermögen ist nicht da“, sagt Oliver Post. „Und der Sohn hat kein so hohes Einkommen, dass er unterhaltspflichtig wäre.“ Daher hatte der Sohn beim Amt für Soziales und Wohnen Leistungen beantragt. Weil sein Vater beihilfeberechtigt ist, habe das Amt zunächst einen Beihilfebescheid gefordert. Dieser liege dort seit August 2023 vor.
Stadt zahlt im Jahr 65 Millionen Euro für Heimbewohner
Gut 7000 Essener und Essenerinnen leben in den 73 Pflege- und Seniorenheimen im Stadtgebiet. Von ihnen bezogen nach Angaben der Stadt im Juni 2024 insgesamt 3354 Personen Leistungen durch das Amt für Soziales und Wohnen.
Auf Unterstützung bei der stationären Hilfe zur Pflege sind demnach 2830 Personen angewiesen. 524 Personen beziehen ausschließlich Pflegewohngeld. Bei den Beziehern der stationären Hilfe zur Pflege gebe es seit dem vergangenen Jahr einen „schwankenden Anstieg“. Sprich: Im Laufe des Jahres bewegte sich der jeweilige Anstieg im Vergleich zum Vormonat zwischen 77 und 132 Neu-Beziehern.
Die Aufwendungen werden laut Stadt im Jahr 2024 voraussichtlich folgende Höhen erreichen: 35,7 Millionen Euro werden die Hilfen zur Pflege in Einrichtungen (7. Kapitel SGB XII) betragen; weitere 29,4 Millionen Euro fallen für das Pflegewohngeld an.
„Doch nach Schilderung des Sohnes wurden immer weitere Unterlagen angefordert, am Ende sollte er Quittungen für zwei Tankrechnungen von September 2022 vorlegen, die vom Konto seines Vaters abgebucht worden war.“ In der Zwischenzeit stiegen die Schulden des Seniors gegenüber dem Heim, waren schließlich fünfstellig. Der Heimträger mahnte mehrfach, kündigte dem Bewohner dann und strengte im Mai 2024 die Räumungsklage ein. Mit Erfolg: Das Landgericht Essen gab dem Heimträger recht – und den Räumungstitel.
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Wäre die Sache vorm Amtsgericht verhandelt worden, hätte das Gericht das Amt für Soziales und Wohnen über die drohende Räumung informiert. Denn das Amt ist auch für die Abwendung von Obdachlosigkeit zuständig. Doch im aktuellen Fall landete die Sache eben nicht vor dem Amtsgericht, sondern vor dem Landgericht. Dort scheine es keine routinemäßige Information an das Sozialamt zu geben, vermutet Post. Sprich: Die drohende Wohnungslosigkeit des pflegebedürftigen 89-Jährigen war im Sozialamt niemandem bekannt.
Stadt Essen will den Rauswurf des alten Herrn verhindern
Um den Rauswurf noch aufzuhalten, legte Oliver Post beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts ein. Doch dieser Tage signalisierte das OLG dem Anwalt, dass man die Berufung wohl zurückweisen werden. Post hat zwar eine Fristverlängerung für seine Stellungnahme beantragt, doch die Zeit läuft: Ist das Urteil erstmal rechtskräftig, kann die Räumung angesetzt werden.
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Beim Amt für Soziales und Wohnen reagierte man auf unsere Anfrage daher alarmiert: Man müsse noch klären, warum „die Räumungsklage hier nicht bekannt wurde“, werde nun aber alles daran setzen, die Räumung zu verhindern. „Dem Rechtsanwalt und dem Einrichtungsbetreiber wurde durch uns mitgeteilt, dass die Stadt Essen ein sehr großes Interesse hat, dass gegen den hochbetagten Herrn aus dem vorliegenden Titel nicht vollstreckt wird“, erklärt Sozialdezernent Renzel.
„Dem Rechtsanwalt und dem Einrichtungsbetreiber wurde durch uns mitgeteilt, dass die Stadt Essen ein sehr großes Interesse hat, dass gegen den hochbetagten Herrn aus dem vorliegenden Titel nicht vollstreckt wird.“
Man werde daher dafür Sorge tragen, „dass der aufgelaufene Rückstand ausgeglichen wird“. Dafür setze man auch auf die Unterstützung anderer Leistungsträger. Gemeint ist wohl die Beihilfe. Mit Blick auf die Zukunft wolle man sicherstellen, „dass die entstehenden Kosten im rechtlichen Rahmen direkt beglichen werden“. Der 89-Jährige solle dazu Renten- und Pensionsansprüche abtreten.
Der Antragsteller habe nicht gut mitgewirkt, sagt das Sozialamt
Wie es zu der Zwangslage kommen konnte, beschreibt Renzel etwas abweichend von der Darstellung des Anwalts: Man habe die Leistungen mit Bescheid vom 28. Februar 2024 abgelehnt, „da trotz mehrfacher Aufforderung die zur Berechnung des Anspruchs erforderlichen Nachweise nicht eingereicht wurden“. Es möge vielleicht kleinlich erscheinen, dass man auch alte Tankrechnungen prüfe, doch diese wiesen auf ein Auto hin, und „Kraftfahrzeuge stellen einen Vermögenswert dar“.
Auch habe der Sohn zwar schon im Oktober 2022 für seinen Vater Leistungen nach Alten- und Pflegegesetz beantragt, aber die erforderlichen Formulare erst im April 2023 abgegeben und weitere Unterlagen im November 2023 nachgereicht. Renzel folgert: „Die lange Bearbeitungszeit ergibt sich aus der fehlenden Mitwirkung des Sohnes.“ Der selbst das Amt als wenig hilfreich erlebte.
Stadtdirektor hofft auf ein Happy End für den betagten Heimbewohner
Jedenfalls habe er, so die Stadt, die fehlenden Unterlagen nach dem ablehnenden Bescheid im April nachgereicht. Bei deren Prüfung habe die Stadt wiederum festgestellt, „dass kein Antrag auf eine zusätzliche Beihilfe bei vollstationärer Pflege gestellt wurde“. Auf dieses Versäumnis habe man den Sohn am 7. Mai 2024 hingewiesen. Die Stadt kann, so erklärt das Renzel, kein Geld bewilligen, wenn nicht andere Quellen ausgeschöpft sind: „Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch XII kommen nachrangig in Betracht.“ Sobald die zusätzliche Beihilfe bewilligt ist, könne der Antrag des 89-Jährigen weiter bearbeitet werden.
Was die drohende Räumung angeht, ist der Sozialdezernent nach Gesprächen mit allen Beteiligten zuversichtlich: „Ich gehe davon aus, dass so seitens der Pflegeeinrichtung auf die Vollstreckung verzichtet wird.“
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