Essen. Heimkosten wie im Luxushotel – dafür reicht die Rente nicht, die Ersparnisse sind bald weg: Viele Senioren in Essen müssen zum Sozialamt gehen.
Auf viele der fast 7000 Essener und Essenerinnen, die in den 73 Pflege- und Seniorenheimen im Stadtgebiet leben, kommen in nächster Zeit enorme Kostensteigerungen zu. Etliche dürften in die Armut rutschen und auf Sozialleistungen angewiesen sein. So wurden jüngst die Bewohner und Bewohnerinnen eines GSE-Pflegeheims informiert, dass sich ihr Eigenanteil um gut 972 Euro pro Monat erhöhe. „Das war ein Schock“, sagt eine Angehörige.
Ihre betagte Mutter müsse ab dem 1. Oktober 3570,10 Euro pro Monat selbst zahlen. „Ihre gesamte Rente geht dafür drauf, und aus den Ersparnissen ihres ganzen Lebens muss sie dann monatlich noch 2000 Euro zuschießen“, erzählt die Tochter. Es werde nicht lange dauern, bis das Geld aufgebraucht sei: „Dann muss das Sozialamt einspringen.“
Stadt Essen springt ein, wenn Senioren das Heim nicht bezahlen können
Tatsächlich können sich Heimbewohner, die in finanzielle Nöte geraten, an das Amt für Soziales und Wohnen wenden: Das zahlt je nach Notlage Pflegewohngeld oder (zusätzlich) weitere Sozialhilfe (Infokasten). Den Betroffenen bleibt nur ein Schonvermögen, pro Monat erhalten sie ein Taschengeld.
Im vergangenen Jahr bekamen laut Stadt im Schnitt monatlich knapp 3300 Essener Pflegewohngeld. Das sind fast die Hälfte aller Heimbewohner. Und die meisten von ihnen kamen allein damit nicht über die Runden: Lediglich 20 Prozent von ihnen erhielten „keine weiteren Leistungen der Hilfe zur Pflege“, teilt Stadtsprecherin Silke Lenz mit.
„Alle Träger von Heimen stehen unter enormem Kostendruck“
Noch gebe es keinen „spürbaren Anstieg“ von Neu-Anträgen, doch für die Stadt schlagen die beiden Leistungen schon jetzt ordentlich zu Buche: Gut 51 Millionen Euro wurden dafür 2022 fällig, knapp die Hälfte entfiel aufs Pflegewohngeld. Es ist abzusehen, dass künftig noch mehr Senioren die Hilfe beziehen werden. Denn die Lage der GSE ist exemplarisch für andere Träger.
Die Sozialgesellschaft betont, dass man ja keine Gewinnabsichten verfolge. Vielmehr müsse man die Entgelte angesichts von „Inflation, gestiegenen Lebensmittel-, Energie- und Materialkosten“ erhöhen, „um kostendeckend arbeiten zu können“. GSE-Sprecherin Angela Köhler ist dabei wichtig: „Nicht nur die GSE, sondern alle Träger sind enormem Kostendruck ausgesetzt.“
Pflegewohngeld und Sozialhilfe für bedürftige Heimbewohner
Pflegewohngeld kann beantragt werden, wenn Heimbewohner die Investitionskosten nicht aufbringen können, die das Heim in Rechnung stellt. Das sind Kosten, die mit Herstellung, Anschaffung, Instandsetzung von Gebäuden entstehen. Den Antrag kann das Heim mit Okay des Bewohners stellen. Auch der Pflegebedürftige oder gesetzliche Vertreter können das tun. Es gelten Vermögensfreibeträge von 10.000 Euro bei Alleinstehenden und 15.000 Euro bei Ehepaaren/Lebensgemeinschaften.
Sozialhilfe nach Sozialgesetzbuch (SGB) XII wird gewährt, sofern der Pflegebedürftige nicht in der Lage ist, die Heimkosten aus eigenem Einkommen und Vermögen zu decken. Den Antrag können Pflegebedürftige, Angehörige oder Betreuer stellen. Die Vermögensfreigrenze liegt für Alleinstehende bei 10.000 Euro und für Ehepaare/Lebensgemeinschaften bei 20.000 Euro.
Beide Leistungen werden beim Amt für Soziales und Wohnen beantragt und nur gewährt, wenn der Antragsteller mindestens Pflegegrad 2 hat.
Die Essenerin, deren Mutter jetzt per Brief über die Erhöhungen informiert wurde, weiß um die allgemeine Steigerung der Lebenshaltungskosten. Doch das Heim an der Grabenstraße in Stoppenberg sei ja „kein Luxushotel“, sondern selbst nach Angaben der GSE „in die Jahre gekommen“. Dass hier monatlich fast 5000 Euro für Kost, Logis und Pflege anfallen, von denen ihre Mutter den Löwenanteil trage, findet sie unfassbar. „Ärmlich und abgewohnt“ sei das Zimmer, das Bad müsse sich die Mutter mit einer weiteren Person teilen.
„Meine Mutter wohnt ja nicht im Luxushotel“
Ihre Mutter sei geistig fit, aber gebrechlich: Sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen, hat Pflegegrad 3. Wie viel (oder wenig) Pflege das in Zeiten des Fachkräftemangels bedeute, sei erschütternd. Klingele die alte Dame, weil sie durstig sei oder Hilfe für den Toilettengang brauche, könne schon mal eine Stunde vergehen, bis jemand komme. „Und für den Standard geht ihr Erspartes drauf.“
Sie erkenne an, dass die Pflegedienstleitung sehr bemüht sei. Auch habe das Heim beim Einzug der Mutter deren körperlichen Zustand sorgfältig geprüft und nötige Hilfsmittel für sie besorgt. Die alte Dame wolle daher gern mit den insgesamt 110 Bewohnern und dem Team zusammenbleiben, auch wenn demnächst ein Umzug aus der Grabenstraße anstehe. „Leider gibt es im neuen Heim nicht genügend Plätze für alle.“
Träger baut ein neues Heim für die Senioren
GSE-Sprecherin Köhler versichert, „dass alle Bewohner einen ihren Ansprüchen gerecht werdenden Pflegeplatz erhalten“. Nur eben nicht alle im Neubau an der Essener Straße, der Anfang 2024 bezogen werden soll. Denn bei der GSE, die sieben Heime in Essen betreibt, stehen größere Umstrukturierungen an: Die WTG-Behörde (vormals Heimaufsicht) hat verfügt, dass das Altenheim im Deilbachtal geschlossen werden muss.
Dagegen seien die von zwei Räumen aus zu betretenden Tandembadezimmer der Behörde bekannt und auch „konform mit den Anforderungen des Wohn- und Teilhabegesetzes (WTG)“, betont die Sprecherin. Auch würden Bäder und Bewohnerzimmer „sukzessive erneuert“. Mit Blick auf das Baujahr 1986 des Heimes habe man die Investitionskosten jetzt nicht erhöht und die Kosten für die Unterbringung „marginal“, so Köhler. „Diese fallen bei Einrichtungen mit moderneren Standards deutlich höher aus.“
Kosten fürs Heim steigen um 24 bis 29 Prozent
Die GSE wisse, dass der Kostenanstieg von 24 bis 29 Prozent für viele Bewohner problematisch seien. Man stehe für ihre Rückfragen bereit und helfe auch bei Anträgen auf Sozialleistungen. Die Kritik an der Pflege-Qualität könne man indes nicht nachvollziehen: Bei externen Prüfungen werde die pflegerische Versorgung regelmäßig sehr gut bewertet. Auch gebe es an der Grabenstraße kaum personelle Fluktuation, so könne man möglichst auf den „den Einsatz von Zeitarbeitskräften verzichten“.
Personalmangel: Behörde sprach gegen zwei Essener Heime ein Belegungsverbot aus
Mit mehr als 100 Ausbildungsplätzen sei die GSE zudem in der Lage, offene Stellen zeitnah zu besetzen, während das bei anderen Trägern oft ein halbes Jahr dauere. Tatsächlich behelfen sich viele Essener Heime mit diversen Zeitarbeitsfirmen, was zu ständigen Personalwechseln führt. 2022 verhängte die WTG-Behörde gegen zwei Heime ein zeitweiliges Belegungsverbot: In beiden Fällen hatte es nicht tolerierbare Personalprobleme geben.
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