Essen. Nico wurde als Mädchen geboren, schon als Kind fühlte sich das falsch an. Mit 27 ging er jetzt in Essen den letzten Schritt auf dem Weg zum Mann.
Er kam als Mädchen zur Welt, lebt seit Jahren als Mann und hat schon mehrere geschlechtsangleichende Operationen durchgestanden. Jetzt hat Nico in einem aufwendigen Eingriff an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM) den vorläufig letzten Schritt getan und einen Penis bekommen. Trotz Schmerz und großer Strapazen für seinen Körper, sagt der 27-Jährige aus Viersen: „Ich bereue die OP auf keinen Fall!“
Essener Chirurgen bilden aus der Haut des Unterarms einen Penis
Das Interesse an dem Eingriff ist groß, am Huyssensstift der KEM in Essen-Huttrop erhält im Schnitt Woche für Woche ein Transmann eine sogenannte Phalloplastik. Die Patienten kommen nicht nur aus ganz NRW, sondern mitunter auch aus dem Ausland. In einer komplexen, sechs- bis siebenstündigen OP wird aus der Haut ihres Unterarms ein Phallus gebildet, in dessen Inneren eine funktionsfähige Harnröhre steckt. Neben plastischen Chirurgen stehen daher auch Urologen am OP-Tisch.
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Das bis zu zehnköpfige OP-Team ist zur Hälfte mit Medizinern besetzt und aufeinander eingespielt. Es gehe um ein komplexes Zusammenspiel der Disziplinen, sagt PD Dr. Maximilian Wagner, Leitender Oberarzt der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie. „Wir machen die Operation seit 2021, da gibt es eine gewisse Routine und gute Ergebnisse.“ Trotzdem bleibe es anspruchsvoll, Venen, Arterien und Nerven so zu verbinden, dass sowohl Durchblutung als auch Empfinden erhalten bleiben. „Die feinen Gefäße müssen wir unter dem Mikroskop operieren.“
„Wir machen die Operation seit 2021, da gibt es eine gewisse Routine und gute Ergebnisse.“
Die Chirurgen verwenden die Haut am Unterarm für den neuen Penis, weil sie weich ist und dort viele Nerven verlaufen. Die Penisgröße richtet sich nach der verfügbaren Haut am Arm, meist sind es um die 12 bis 14 cm, eine normale Größe. Für Nico ist „das Tragegefühl“ am wichtigsten, dass diese Leerstelle an seinem Körper weg ist: „Dass da was ist, fühlt sich richtiger an.“ Und, da geht es ihm wie anderen Transmännern auch: „Man freut sich drauf, im Stehen pinkeln zu können.“
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Nachdem der Penis vom Arm in den Intimbereich verpflanzt ist, wird Haut vom Oberschenkel an den Arm gesetzt. Noch Tage nach der Operation schmerzt Nicos Oberschenkel, und sein rechter Unterarm ist eine großflächige Wunde, die er während des Gesprächs häufig abtupft.
Er habe gewusst, worauf er sich einließ und doch sei es ein Schock gewesen, als er nach der OP erwachte. „Die Narbe am Arm ist schon krass. Ich habe gedacht: ,Was habe ich meinem Körper nur angetan?‘ Und dann habe ich erstmal geweint.“ Selbst in einem Krankenhaus fällt Nicos Arm auf, und wenn andere Patienten danach fragen, antwortet er schon mal, das sei eine Brandverletzung. Er hofft, dass er später nicht beschimpft oder gar angegriffen wird, wenn jemand aus der Narbe auf die Art der Operation schließe. „Die Wunde wird gut verheilen und später viel weniger auffallen“, beruhigt Dr. Wagner.
2600 geschlechtsangleichende OP in einem Jahr
Das Transsexuellen-Gesetz (TSG) von 1980 regelt bisher, wann jemand den Vornamen ändern lassen kann. Demnach ist das möglich, wenn eine „Person sich aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem im Geburtseintrag angegebenen Geschlecht zugehörig fühlt“ und „unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben“. Die Person muss sich seit mindestens drei Jahren dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Und es soll wahrscheinlich sein, dass sich das nicht mehr ändert.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung soll es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen leichter machen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen ändern zu lassen. Es soll größtenteils am 1.11.2024 in Kraft treten und löst das in wesentlichen Teilen verfassungswidrige Transsexuellen-Gesetz ab.
Die Anzahl der in Deutschland durchgeführten geschlechtsangleichenden Operationen hat in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen: Waren es im Jahr 2012 laut Statistischem Bundesamt noch 883 Eingriffe, stieg die Zahl im Jahr 2022 auf 2600. Die Zahl der Trans-Frauen ist dabei jeweils ungefähr doppelt so hoch wie die der Trans-Männer.
Nico rät jedem, der über die OP nachdenkt: „Das ist nicht zu unterschätzen. Lass‘ Dir Zeit, wenn Du Dir nicht sicher bist.“ Er selbst hat einen langen Weg hinter sich. Als Kind sei er sehr jungenhaft gewesen, als Teenager habe er das diffuse Gefühl gehabt, „irgendetwas stimmt nicht mit mir“. Das Thema Transgender habe er überhaupt nicht gekannt, und so outete sich Nico mit 13, 14 als lesbisch. Obwohl er es nie gemocht habe, sich so zu bezeichnen. „Mit 17, 18 stieß ich auf trans – das passte.“
Die Hormontherapie veränderte sein Leben zum Positiven
Im Internet und auf sozialen Medien habe er mehr über das Thema erfahren, auf Instagram habe ein Transmann viel dazu gepostet. „Da fand ich mich wieder, und wollte mich auch gern verändern, vermännlichen.“ Wer Nico zuhört, kann nachempfinden, wie beglückend diese Erkenntnis gewesen sein muss, dieses: „Das bin ich.“
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Um die Geschlechtsangleichung beginnen zu können, benötigte Nico ein Indikationsgutachten. Anderthalb Jahre lang ging er zum Psychotherapeuten, bevor er das Schreiben erhielt – und bald darauf die erste Hormonspritze. Das war 2021. „Damit änderte sich alles zum Positiven. Die Hormontherapie verändert das ganze Leben!“
Bevor sich auch sein Körper veränderte, sei seine Stimme rauer und tiefer geworden. „Das merkt auch das Umfeld, spricht einen an.“ Nico, der seit 2018 als Erzieher in der Jugendhilfe arbeitet, ist froh, dass er schon nicht mehr zur Schule oder Berufsschule ging, als er diese Phase sichtbaren Wandels durchlebte. „Ich war da nie so der Beliebteste, eher zurückhaltend.“ In seinem Job begegneten ihm sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch seine Kollegen mit Akzeptanz.
Manche Transgender haben keinen familiären Rückhalt
Nicht nur in seinem Beruf, auch in Freundeskreis und Familie habe niemand Probleme mit seiner Identität. „Meine Eltern haben gesagt: ,Wir wussten das eh schon immer.‘“ Zu seiner 16-jährigen Schwester habe er eine enge Bindung, sein Bruder (24) sei „mega stolz“ auf ihn. Er weiß, dass nichts davon selbstverständlich ist. „Ich bin ein Glücksfall. Es gibt auch Transgender, die wenig bis gar keinen familiären Rückhalt haben. Diese Menschen haben meinen größten Respekt, denn das stelle ich mir nicht leicht vor.“
„Das ist nicht zu unterschätzen. Lass‘ Dir Zeit, wenn Du Dir nicht sicher bist.“
Drei Jahre und verschiedene Eingriffe liegen zwischen der Operation in Essen und der Hormontherapie: Nico hat sich die Gebärmutter entfernen und die Brüste abnehmen lassen. „Die Periode war eine Last, und ich möchte zwar Kinder haben, aber nicht austragen.“ Seine Brüste habe er immer versteckt und verdeckt, unter seiner „großen Oberweite“ gelitten. Das Abbinden habe geschmerzt, und so habe er bei 30 Grad eine dicke Sweatjacke getragen und am Badesee das T-Shirt anbehalten, sei nicht ins Wasser gegangen. „Die Brust-OP hat mir so viel Lebensqualität geschenkt.“
Penis-OP: Seiner Freundin war die Operation völlig egal
Rückblickend sagt er, dass er sich für keinen Schritt zu schnell entschieden habe. Dass er zur Penis-Operation an die Kliniken Essen-Mitte kam, habe er seinem Therapeuten zu verdanken: Der habe ihm die Oberärztin Dr. Julia Bohr empfohlen, die Urologin ist und Spezialistin für geschlechtsangleichende Operationen.
Nach dem Eingriff und einer kleineren Nach-OP muss Nico noch mindestens zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. Seine Freundin, die ebenfalls Erzieherin ist, kommt so oft wie möglich nach Essen; eine Stunde dauert die Fahrt vom heimischen Niederrhein. Seit einem Jahr sind sie ein Paar. Ihr sei die OP „total egal“ gewesen; sie waren auch so glücklich miteinander.
Jetzt geht Nico erstmal aufs Standesamt
Er könnte sich nun in einer weiteren Operation eine Erektionsprothese einsetzen lassen. Nico weiß nicht, ob er das machen möchte, will erstmal alles verheilen lassen. Er habe gelernt, dass man viel Geduld brauche und rate auch anderen, sich jeden Eingriff zu überlegen. „Wenn man die Operation bereut, ist das Leiden viel größer.“
Sein nächster Weg führt nicht in ein Krankenhaus, sondern ins Standesamt, er will offiziell seinen Namen ändern, nicht länger als Frau erfasst werden. „Die letzten OPs sind für mich wie ein neuer Lebensstart, Freiheit.“
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