Essen. Essen ist zwar kein EM-Spielort, trotzdem kommen viele Fußballfans aus ganz Europa in die Stadt. Am Donnerstag fielen die Spanier besonders auf.
Wenn spanische Fußballfans nach deutschen Klischees suchen - etwa nach Lederhosen-Gemütlichkeit, Dirndl, Schweinshaxe und Bier in Maßkrügen -, dann müssen sie nicht unbedingt nach München fahren. Ein Abstecher nach Essen zum „Löwen“ am Kopstadtplatz reicht völlig aus. Sechs Stunden vor Anpfiff des Fußballklassikers Spanien gegen Italien schwappt an diesem Donnerstag (20. Juni) ein rot-gelbes Fahnenmeer über das bayerische Wirtshaus. Auch der Fan-Gesang lässt keinen Zweifel, wer hier die Macht ist. „Viva Espana, viva Espana“, tönt es ausgelassen aus Hunderten Kehlen, unterlegt vom vibrierenden Klang der Kastagnetten.
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Die zentrale Lage und das immense Hotel-Angebot sind Essens Trümpfe bei der Heim-EM
Essen ist auch bei dieser EM kein Austragungsort, aber man spürt: Die Stadt ist trotzdem Teil dieser Europameisterschaft im eigenen Land. Die Tourismusmanager der Stadt werden es vielleicht nicht gerne lesen, aber natürlich sind die Fangruppen in erster Linie wegen des Fußballs in Essen und nicht wegen Sehenswürdigkeiten wie Baldeneysee, Villa Hügel oder Zollverein. Es ist vielmehr die zentrale Lage der Stadt und das enorme Angebot an Hotels. Und von Essen aus sind die Stadien in Gelsenkirchen, Düsseldorf, Dortmund Köln schnell erreichbar.
So kreuzen sich die Wege der Engländer und Schotten, der Spanier und Italiener, der Türken und Tschechen usw. am Essener Hauptbahnhof, einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte in „Schland“. Dass hier jemand ein Trikot der spanischen Nationalelf, der „Furia Roja“ („Rote Furie), trägt, bedeutet aber noch lange nicht, dass er auf der iberischen Halbinsel zuhause ist. „Wir kommen aus Pennsylvania in den Vereinigten Staaten“, sagen Manny und Vanessa Vazquez, die mit Sohn Alex (12) unterwegs sind. „Mein Vater Manuel ist Spanier, deshalb schauen wir uns heute Abend in Gelsenkirchen das Spiel gegen Italien an.“
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Spanien-Fans beherrschen am „Match Day“ die Szenerie in Essen - einige kommen sogar aus den USA
Aber zunächst geht‘s mit der Bahn erstmal nach Köln: den Dom bestaunen und - wenn die Zeit reicht - noch kurz über den Rhein schippern. „Deutschland gefällt uns sehr“, sagen die Amerikaner. Die Städte seien sauber und die Menschen hilfsbereit und sympathisch. Selbst die Deutsche Bahn, für Millionen Deutsche ein ständiger Grund zum Haare-Raufen und Zielscheibe von Fan-Ärger in Gelsenkirchen, kommt gut weg. „Die Züge hier sind im Vergleich zu den unsrigen super.“ Ihr Tipp fürs Spiel: „3:1 für Spanien.“
Video EM 2024: So feierten die Spanier vor dem Spiel gegen Italien
Am Kennedyplatz rinnt um kurz nach elf schon das erste gut gekühlte Stauder durch spanische Männerkehlen. „Wir kommen aus Murcia und Huelva“, sagen die „Hinchas“. Was nicht nur hier auffällt: Spanische Fußball-Fans sind offenbar gerne in Gruppen unterwegs. Deshalb fallen sie in Essen an diesem „Match Day“ auch stärker auf. Dass ihre Nationalelf wegen des Italienspiels drei Tage lang Quartier im Atlantic Congress Hotel bezogen hat, schafft eine zusätzliche emotionale Bindung zur Stadt.
Schottische Fans im „Fitzpatrick‘s Irish Pub“: „Wir reisen in Kilts an und auch wieder ab“
Stark vertreten sind in Essen schon seit Tagen auch die Schotten, die die EM mit ihren Gesängen bereichern. Wir treffen die fünf Boys der „Kebab Shop Tartan Army“, abgekürzt K. S. T. A., in „Fitzpatrick‘s Irisch Pub“: Alan MacKean, Fraser Kennedy, Steven Porter, Derek Carson und Andy Mc Nair. Die Kneipe in Rüttenscheid, eine der angesagtesten Sportsbars der Stadt, ist seit Anpfiff des EM-Eröffnungsspiels stark frequentiert - und bei Spielen mit englischer und schottischer Beteiligung sogar rappelvoll. Der Schottenrock ist allgegenwärtig. „Wir sind in Kilts angereist und werden auch in Kilts wieder heimfliegen“, lachen sie. Schätzungsweise Hunderttausend Schotten hätten den Ärmelkanal überquert, um in „Germany“ dabei zu sein.
Tickets für ein EM-Stadion besitzt übrigens keiner von ihnen. Trotzdem genießen sie die Turnier-Atmosphäre und feiern inbrünstig den Fußball. Dabeisein sei alles, sagen sie, und prosten sich zu. Knapp eine Woche lang tauchen sie ein in den Fan-Rummel der jeweiligen Austragungsorte. Mittwoch in Köln, Donnerstag in Essen, Freitag in Düsseldorf. „Und Samstag fliegen wir zurück.“
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Dem wichtigen dritten Vorrundenspiel gegen die Schweiz sehen die fünf Kumpel aus dem Dörfchen Kilmacolm bei Glasgow optimistisch entgegen. An ein Ausscheiden der Ihren verschwenden sie keinen einzigen Gedanken. „No Scotland, no party“, sagen sie und bestellen eine weitere Runde Bier.
Die EM findet ohne Schweden statt, trotzdem sind Fans aus Stockholm in Essen: „Wir halten zur Türkei“
Am Tisch nebenan im „Fitzpatrick‘s“ sitzen vier schwedische Fans, deren Land die Qualifikation zur EM 2024 bekanntlich verpasst hat. Was also führt sie nach Deutschland? „Wir sind gebürtige Türken und feuern die Türkei an“, sagen sie. Einer von ihnen, Sefer, saß am Dienstag beim 3:1-Sieg über Georgien auf der majestätischen Südtribüne. „An dem Tag gab‘s dort keine gelbe, sondern eine rote Wand“, sagt er. Die Stimmung, schwärmt er, sei fantastisch gewesen.
Am Abend wollen sie noch versuchen, ein Ticket für die Schalke-Arena zu ergattern. Für den wahrscheinlichen Fall, dass dieses Unterfangen misslingt, haben sie bereits einen Plan. „Dann schauen wir uns das Spiel im Fernsehen an, Hauptsache, wir schnuppern Atmosphäre.“
Essen empfinden die jungen Turko-Schweden aus der Hauptstadt Stockholm übrigens als viel zu ruhig. „In Essen spürt man eigentlich nicht, dass Deutschland gerade die Fußball-Europameisterschaft ausrichtet“, findet Dennis. Immerhin sei die Stimmung in Sportsbars wie dem Fitzpatrick hervorragend, aber viele Geschäfte auf der Rüttenscheider würden bedauerlicherweise bereits vor 20 Uhr schließen.
Der Italiener und die Spanierin sind ein Paar: Aber beim Tippen sind sie unterschiedlicher Meinung
Ortswechsel: Am Handelshof eilen Alfredo und Tamara, die im schweizerischen Lausanne leben, um kurz vor 15 Uhr zum Hauptbahnhof. Ihr Ziel: die Schalke-Arena. Er ist Italiener aus Lecce (Apulien) und trägt das blaue Trikot, sie ist Spanierin aus Murcia und trägt Rot. Die beiden sind ein Paar und nehmen sich verliebt in die Arme, doch wenn‘s um Fußball geht, kommen sie nicht ganz zusammen. Während er auf ein gerechtes 2:2 tippt, sieht sie ihre Spanier vorn. „Spanien gewinnt 2:1.“
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