Rees-Haldern. Von Villagers über Big Special bis Loney Dear: Die NRZ stellt weitere Bands des 41. Haldern Pop Festivals vor und liefert Hörproben.

Die NRZ präsentiert das 41. Haldern Pop Festival vom 8. bis zum 10. August. Wieder haben die Festivalmacher viele spannende Künstler gefunden, manche haben noch gar nicht viel Musik veröffentlicht, deuten aber großes Potenzial an. Es sind aber auch Lieblinge dabei, die in Haldern schon Duftmarken hinterlassen haben.

Wie jedes Jahr eine Erklärung: Für jede Band haben wir ein Erlebnispotenzial bewertet. Über Geschmack lässt sich streiten, deshalb versuchen wir nicht eine absolute Wertung abzugeben. Das soll jeder Zuhörer für sich selbst tun. Wir versuchen hier einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Konzert für Sie zum Erlebnis werden kann.

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Ist die Musik leicht zugänglich? Gibt’s Ohrwürmer? Ist es eher eine Nischenband? Könnte der Spielort eine Rolle spielen? Wir haben es uns nicht leicht gemacht und trotzdem werden wir sicher nicht immer recht haben. Es ist eine bescheidene Entscheidungshilfe. Zunächst dieser Rückkehrer:

Villagers hat schon sein achtes Album veröffentlicht.
Villagers hat schon sein achtes Album veröffentlicht. © Haldern Pop | (...)

Die unvergleichliche Stimme des Conor O‘Brien

Conor O‘Brien alias Villagers hat in Haldern schon für Gänsehaut-Momente gesorgt. Ganz intim im Spiegelzelt, aber dann auch überraschend einnehmend auf der Hauptbühne. Die Stimme des Singer-Songwriters kann das. Ein heller Grundton, voller Gefühl, und unverkennbar. Mit Album Nummer acht unter dem Titel „That Golden Time“ bleibt der Ire sich treu. Sanfte Indie-Folk-Melodien von ausgeprägter Intimität. Wer sich davon nicht berühren lässt, hat das Gen einfach nicht. Musik für: das Gefühl Conor würde dir ganz persönlich gerade ins Ohr singen. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Hörproben: „You Lucky One“, „I Want What I Don‘t Need“, „Becoming a Jackal“ (live).

Das englische Duo Big Special um Sänger Joe Hicklin und Drummer Callum Moloney hat in 2024 sein Debütalbum „Postindustrial Hometown Blues“ veröffentlicht. Manchmal Rock-Röhre á la Bruce Springsteen, manchmal Sprechgesang im Stile der Sleaford Mods. Mal raue Low-Fi-Gitarren, mal hymnischer Pop-Rock. Elektronica finden ihren Platz, wie auch Punk. Das Album schafft einen ziemlichen Spagat, verspielt, aber sozialkritisch. Der Akzent hypnotisiert. Musik wie: die Idee einer Läuterung. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Black Dog/White Horse“, „Black Country Gothic“, „Dust off/Start Again“.

Der Semba-Stil aus Angola

„Big Swimmer“ heißt das zweite Album des Liverpooler Duos King Hannah. Nach einer Amerika-Reise haben sie ihren Sound etwas emanzipiert. Ihr Indie-Folk ist beseelt instrumentiert, vor allem wenn Gitarrist Craig Whittle seine Kunst auslebt. Sängerin Hannah Merrick singt mit einer bestechenden Klarheit. Genau dann ist die Liaison gelungen. Aber sie driftet auch mal in den Sprechgesang ab, was kein Gewinn ist. Einige Stücke sind recht intim und delikat gehalten. Auch verträumte, treibende Lieder sind dabei. Musik für: das verträgliche Maße in der Katerstimmung. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „Big Swimmer“ (Mit Sharon van Etten), „Davey Says“, „New York, Let‘s Do Nothing“.

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Dino Brandão aus der Schweiz ist ein Künstler, der mit zwei sehr Haldern Pop-affinen Musikern schon kollaboriert hat: mit Faber und Sophie Hunger. 2020 haben sie als Trio das Album „Ich liebe dich“ mit reichlich Schwytzer Dütsch veröffentlicht. Der gemeinsame Auftritt beim Festival fiel leider aus. Diesmal kommt Brandão mit seinem ersten Solo-Album „Self Inclusion“ von 2024 im Gepäck. Jetzt wissen wir, der Mann mit der hellen Stimme kann Afro-Beat und Dream-Pop. Seine angolanischen Wurzeln würdigt er mit dem Semba-Stil des Popsängers Bonga. Die erfrischenden Rhythmen laden jedenfalls zum Tanz ein. Musik für: melancholische Exotic. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Bounce Castle“, „Pretty“, „Coma“.

Loney Dear geht immer

Loney Dear hat Haldern Pop schon sehr unterschiedliche Konzerte beschert.
Loney Dear hat Haldern Pop schon sehr unterschiedliche Konzerte beschert. © Haldern Pop | (...)

Der Schwede Emil Svanängen alias Loney Dear ist wahrlich ein Stammgast beim Haldern Pop. Aber es wird nicht langweilig, weil der Mann mit der ganz besonderen Stimme seinen Synthie-Pop immer wieder in ein anderes Scheinwerferlicht stellen kann. Loney Dear geht immer. 2024 hat er sein elftes Album „All Things Go“ veröffentlicht. Tendenz: Noch intimer, noch mehr Balladen, tiefste Emotionalität. Was so leicht klingt, fußt auf intelligentem Songwriting. Musik für: die ganz besondere Berührung. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „All Things Go“, „Bygones“, „Hulls“.

Diese Beats können ein Zelt zum Beben bringen. Das Schweizer Duo Crème Solair bringt den Elektro-Punk mit schweißtreibend hohem Tempo, tiefer Wucht und typischer schweizerischer Mehrsprachigkeit rüber. Mal nimmt es düstere Formen an, mal ist es eher fröhlich-verspielt. Diese Sonnencreme erzielt ganz sicher ihren Effekt, aber der Effekt wird nachlassen. Aber das kann dem Haldern Pop-Fan jetzt erstmal egal sein. Musik um: das Zelt im Anschluss glücklich-verschwitzt zu verlassen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Calicanti“, „Chien.ne“, „Sguardo“.

Mel D: Zufällig Singer-Songwriterin geworden

Conchúr White war im Oktober in der Haldern Pop Bar.
Conchúr White war im Oktober in der Haldern Pop Bar. © Haldern Pop | Nathan Magee

Der Nordire Conchúr White spielt einen verträumten, theatralischen Indie-Pop-Rock, gerne voller Melancholie, auch hoffnungsvoll, immer recht melodisch. Die Stimme ist zweifelsohne gut, aber nicht außerordentlich prägnant. Mit „Swirling Violets“ ist in 2024 sein Debütalbum auf den Markt gekommen; im Oktober konnte er bereits in der Haldern Pop Bar für sich werben. Musik um: sich gesellig zurückzulehnen und die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Erlebnispotenzial: 2/5 Sterne.

Hörproben: „501s“, „Red House Parlour“, „Bikini Crops“.

Mel Danuser alias Mel D hat sich stilistische auf neue Wege begeben.
Mel Danuser alias Mel D hat sich stilistische auf neue Wege begeben. © Haldern Pop | Noémi Ottilia Szabo

Vom Elektro-Pop-Duo Mischgewebe hat sich Mel Danuser zu einer ganz anderen Solo-Künstlerin gewandelt. Als Mel D hat die Schweizerin eher zufällig ihre Singer-Songwriter-Qualitäten entdeckt. Mit dieser gefühlvoll-zerbrechlichen Stimme funktioniert das bestens. Im Moment scheint ihre Solo-Karriere noch Projekt-Charakter zu haben. Man muss schon suchen, um Musik zu finden. Man findet die Melancholie einer Generation, die dem Zuhörer ganz puristisch serviert wird. Musik wie: der Moment in dem man etwas Geheimes durch ein Loch im Holzzaun entdeckt. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Lovesong Nr. 1“, „Stay Out Late“, „Bring the Witches Back“.

Quirinello sind auf Deutsch authentischer

Die Kompositionen von Gina Été ist komplex und deshalb spannend.
Die Kompositionen von Gina Été ist komplex und deshalb spannend. © Haldern Pop | Niclas Weber

Gina Corti aus der Schweiz ist künstlerisch breit aufgestellt. Als Gina Été ist die einschlägig studierte Musikerin Solo unterwegs. Die Komplexität der Arrangements erinnert an Thom Yorke von Radiohead: Ihr experimenteller Indie-Pop, der mit elektronischen Einflüssen und abwechslungsreichen Percussions garniert wird, kommt mit starken, multilingualen Botschaften daher. Auf jeden Fall eine Musik, auf die man sich konzentriert mit allen Sinnen einlassen sollte. Also... Musik für: die Bierpause, weil nüchtern hier Sinn macht. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Love to Work“, „Uszit“, „Trauma“.

Das Münchener Bandprojekt Quirinello hat nach dem 2022er Album „Melancholyme“ von englischen Texten auf Deutsch gewechselt. Gute Entscheidung, denn es klingt jetzt authentischer. Ihre Musik wird rockiger. Ist immer noch poppiger Indie-Rock, aber spricht jetzt mehr die Alternative-Fans an. Die Texte behandeln die Sorgen der jungen Generation. Also vom Abgrund, an dem der Planet sich befindet, aber auch von ganz persönlichen Abgründen. Musik für: die Selbsthilfegruppe, in der die Aggression des Zeitgeistes abgearbeitet wird. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Sorgenstaue“, „Wiener Melange“, „Abspann“.

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Cantus Domus haben Chormusik beim Haldern Pop salonfähig gemacht. Der junge Chor aus Berlin tritt solo auf, aber bleibt besonders in Erinnerung, wenn er Künstler für einzelne Lieder begleitet und dem Publikum so ein einmaliges Festivalerlebnis beschert. So entstanden magische Momente etwa mit The Slow Show oder Mario Batkovic, wo sie unbemerkt „Asterix“-Texte zum brachialen Sound des Schweizers gesungen haben. Außerdem können sie besondere Orte in besondere Stimmungen tauchen. Dieses Miteinander der Musiker, die das Festival nicht nach dem Gig schnellstmöglich wieder verlassen, ist typisch Haldern Pop. Und Cantus Domus ist hier oft der Klebstoff. Musik für: die Vorfreude auf besondere Überraschungen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne rein als Chor, 5/5 in Kollaborationen.

Hörproben: „Girl“ (mit Syml live), „Ignorant Boy, Beautiful Girl“ (mit Loney Dear live), „Long Shadows“ (mit Fabrizio Cammarata live).

Picture Parlour: Der erste Song ist gleich ein Hammer!

Picture Parlour sind mit ihrer Band stark gestartet.
Picture Parlour sind mit ihrer Band stark gestartet. © Haldern Pop | (...)

Bei der englischen Band Picture Parlour sticht die Stimme von Katherina Parlour wirklich hervor. Eine kraftvolle Stimme, leicht rauchig, mit gekonntem Vibrato. So wird der gitarrenlastige Indie-Rock schnell zur Hymne. All zu viel Musik gibt es von der Formation aus Manchester noch nicht, aber markante Duftnoten sind gesetzt. Allein schon der allererste Song „Norwegian Wood“, was für ein Kickstart. Hammer! Musik für: wie ein vollmundiger Geschmack Umami. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Face in the Picture“, „Judgement Day“.

Mary in the Junkyard aus England kommen zum Haldern Pop.
Mary in the Junkyard aus England kommen zum Haldern Pop. © Haldern Pop | (...)

Auch die Formation Mary In The Junkyard hat noch nicht so viel Musik im Netz hinterlegt. In 2024 ist ihre erste EP „This Old House“ veröffentlich. Der Indie-Rock, mal mit Trip Hop-Anleihen, lässt sowohl delikaten Momenten Raum, was vor allem durch die liebliche Stimme von Clari Freeman-Taylor gelingt, als auch verspielter Kreativität. Denn die Lieder folgen nicht immer einer typischen Pop-Struktur, die Engländer gönnen sich so manchen Kurswechsel. Musik wie: eine hügelige Landschaft. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Ghost“, „Teeth“, „Tuesday“.