Duisburg. Duisburgs Sozialverbände schlagen Alarm: Verschwinden Krebsberatung, Täter-Opfer-Ausgleich, Integrationskurse, weil das Land Gelder streichen will?
Von den Kürzungen im Landeshaushalt wären alle in Duisburg betroffen, „vom Kind bis zum Sterbenden“, verdeutlicht Dirk Tänzler. Für die Sozialverbände in Duisburg gleicht der Düsseldorfer Haushaltsentwurf, der im Sozialbereich 83 Millionen Euro einsparen will, einem „Horrorszenario“. Die ganze Infrastruktur würde zerschlagen, „das ist besorgniserregend“.
Tänzler ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Verbände der Freien Wohlfahrtsverbände in Duisburg. Dazu gehören die Awo, der Caritasverband, die Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz, die Zentralwohlfahrtsstelle der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen und der Paritätische Wohlfahrtsverband, dessen Geschäftsführer er ist. Die Kürzungen würden alle treffen.
Duisburgs Sozialverbände alarmiert: Kürzungen und Streichungen drohen in allen Bereichen
In Duisburg wäre die Krebsberatung nicht mehr zu halten, der Täter-Opfer-Ausgleich wäre weg, ebenso die Clearingstelle, die Angebote der Familienberatung würden massiv eingeschränkt, ebenso jene der Berufsberatung durch „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA). Auch die Aids- und die Schuldnerberatung stehen nach Ansicht der Duisburger Sozialverbände auf der Kippe. „Ich kann mir allerdings keine Stadt vorstellen, in der es das alles nicht mehr gibt“, betont Tänzler.
Von einem drohenden sozialen Kahlschlag ist schon länger die Rede. Wie tief er in die soziale Infrastruktur der Stadt eindringen könnte, machen die fünf Geschäftsführer stellvertretend sehr deutlich. Ob christlich oder humanistisch geprägt oder aus einer Hilfsorganisation heraus gegründet: „Uns schweißt das zusammen“, betonen sie.
Erschwerter Zugang zu Bildungangeboten
Nicht jeder in Duisburg habe einen guten Zugang zu Bildungsangeboten, bedauert Andreas Keienburg vom DRK, für diese Menschen sei es extrem wichtig, die Teilnahme an Kursen und Seminaren zu ermöglichen. Durch die Kürzungen würde „der Zugang zu wichtigen Angeboten erschwert bis unmöglich gemacht“.
Der Topf, über den Teilnahmegebühren reduziert werden können, würde Stand jetzt um zwei Drittel gekürzt, erklärt Dr. Marcel Fischell vom Evangelischen Familienbildungswerk. „Wenn die Landesregierung sagt, dass die geplanten Reduzierungen nicht zu Lasten von Kindern und Familien geht, dann stimmt das einfach nicht.“
Kürzungen zu Lasten von Kindern und Familien
Sie seien schon im laufenden Jahr die Hauptbetroffenen, denn die Kinderbetreuung für Integrationskurse musste deutlich reduziert werden. Das Personal habe er zum Teil bereits in andere Bereiche versetzen müssen. Mit einem kleinen Team halte er jene Angebote aufrecht für Menschen, die kurz vor einer Prüfung stehen. „Aber ab 2025 brechen sie weg. Und in drei Jahren wundert man sich dann, warum weniger Geflüchtete Deutsch gelernt haben und nicht auf dem Arbeitsmarkt landen“, beschreibt Fischell. So setze „das leise Sterben des Sozialstaates ein“.
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Veysel Keser (Awo) ärgert „diese falsche Betrachtung der Ressourcen, die Reduzierung in den sozialen Bereichen hat Folgen für die Zukunft“.
Sie würde auch die Qualität schmälern. Denn auf dem Prüfstand steht auch die die Fachberatung der Schuldnerberatungen. Hier ist eine Stelle bei der Awo angesiedelt, sie bildet fort, hält alle auf dem Laufenden, berät in besonders schwierigen Fällen. „Wir machen das künftig wohl nicht mehr“, bedauert Keser.
Offener Ganztag: Steigende Personalkosten fängt das Land nicht auf
Düster sieht es auch beim Offenen Ganztag aus. Die Stadt muss den Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze erfüllen, ohne die Angebote der vielen Träger könnte sie das nicht. Diese würden mit den steigenden Personalkosten aber allein gelassen von Land und Bund. „Dabei verhandeln sie die Tarifgehälter mit“, schimpfen die Geschäftsführer.
„Wir können nur auf die Stadt zugehen, das Land zieht sich aus der Verantwortung zurück“, sagt Fischell. Tänzler hat allerdings „gar nicht die Erwartung, dass die Kommune alles auffängt, sie wird irgendwann rätseln, wie sie den Rechtsanspruch erfüllen soll“.
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Drohendes Sparprogramm zwingt schon jetzt zum Handeln
Das Dilemma insbesondere für kleine Träger sei, dass der Landtag erst am 16. Dezember den neuen Haushalt verabschiedet, er ab Januar 2025 gilt, viele aber im Prinzip jetzt schon handeln müssten: Mietverträge kündigen, Mitarbeitern kündigen. Ganze Hilfssysteme auflösen.
„Bis die Bescheide da sind, vergeht locker ein halbes Jahr, wie soll man damit planen?“, fragt Fischell. „Uns Trägern wirft man die Kürzungen hin.“ Reserven gebe es kaum noch, das abzufedern.
Die Geschäftsführer der Sozialverbände betonen, dass sie sowohl für ihre Mitarbeiter einstehen als auch für die Klientel, die sie mit ihren Angeboten erreichen. So umfangreiche Kürzungen gefährden jedoch ihre Existenz, sie müssen handeln, wollen sie nicht insolvent werden, erklären sie.
Dass das Land auf einen ausgeglichenen Haushalt setzt, sei nachvollziehbar, so Keienburg, „aber auf lange Sicht sind das die falschen Streichpositionen, das kommt als dicke Keule zurück!“ Die Flüchtlingsberatung des DRK habe man wegen der nicht erfolgten Erhöhungen faktisch schon reduzieren müssen, bedauert er.
Die Fachstelle Täter-Opfer-Ausgleich engagiere sich jährlich in 700 Fällen. „Die Unterstützung dafür soll auf Null gefahren werden“, entrüstet sich Tänzler. Das habe auch Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Menschen.
Soziale Verbände: Duisburgs zweitgrößter Arbeitgeber
Auch Mitarbeiter wären betroffen. Ein Beispiel: Die Awo beschäftigt in Duisburg insgesamt 950 Mitarbeiter, in den von Streichungen bedrohten Bereichen sind 150 tätig, sagt Keser. Rund 50.000 Menschen würden die Angebote nutzen.
Für ihren Kampf wünscht sich die Arbeitsgemeinschaft deshalb ähnlich wie bei Thyssenkrupp Solidarität aus der Politik. Schließlich würden alle Beschäftigten auch Kaufkraft generieren und zusätzliche Drittmittel nach Duisburg holen.
Ideen für Einsparpotenzial hätten sie auch: Bürokratie ist das Stichwort, zu dem jeder Possen erzählen kann. Der Aufwand für den Verwendungsnachweis von Bagatellbeträgen sei mitunter teurer als die ersetzten Kosten. Bedauerlich, finden sie, denn sie seien auch „Ausdruck des Misstrauens“.