Duisburg. Die Stadt Duisburg hat massenhaft Zwangsräumungen geplant. Vorläufig sind sie ausgesetzt. 800 Betroffene bangen weiter. Nun helfen ihnen Anwälte.
Das Aufatmen ist groß. Das Wasser wird nicht abgestellt, und die Stadt Duisburg schickt nicht die Wohnungsaufsicht, um mehr als 50 Wohnhäuser zu räumen, in denen insgesamt circa 800 Menschen leben. Ihr Vermieter hatte bei ihnen Wasserkosten kassiert, das Geld aber nicht an die Stadtwerke weiter überwiesen. Jetzt gibt es einen neuen Hausverwalter und demnächst einen neuen Eigentümer. Aber gebannt ist die Gefahr noch nicht. Deshalb kämpfen Anwälte weiter für die Betroffenen.
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So hatte der Marxloher Rechtsanwalt Michael Kosthorst bereits ein „massives Kontra“ angekündigt, als die Stadtwerke in Anschreiben androhten, das Wasser von Mieterinnen und Mietern abzustellen, weil der Hauseigentümer die Wasserrechnungen schuldig blieb. Kosthorst vertritt mehrere Betroffene und würde auch weitere unentgeltlich vertreten.
Angedrohte Zwangsräumungen: Anwälte wollen für die 800 betroffenen Duisburger kämpfen
Schriftlich hat er jetzt die städtische Wohnungsaufsicht aufgefordert, das Vorhaben komplett aufzugeben, die Wohnhäuser nach einer möglichen Wassersperre für unbewohnbar zu erklären und anschließend gegen den Willen der Bewohner zu räumen.
„Das geplante Vorgehen ist in vollem Umfang rechtswidrig“, schreibt Michael Kosthorst der Wohnungsaufsicht, die zum Amt für Soziales und Wohnen gehört. Demnach sei eine Wohnung ohne Fließendwasser nicht automatisch unbewohnbar. So reiche es nicht, eine „abstrakte Gesundheitsgefahr“ zu unterstellen, weil ohne Wasser die Hygiene leidet und die Toilettenspülung nicht mehr funktioniert.
Vielmehr müsse die Stadt „in jedem Einzelfall eine konkrete Gesundheitsgefahr“ feststellen und begründen. Ohnehin bezweifelt der Anwalt die Verhältnismäßigkeit einer Zwangsräumung, die rund 800 Menschen auf die Straße setzt. Denn für ihn ist deren Obdachlosigkeit deutlich schlimmer, als in einer Wohnung ohne Wasser zu leben.
„Das geplante Vorgehen ist in vollem Umfang rechtswidrig.“
„Falsche Vorgehensweise“: Mieterbund Rhein-Ruhr fordert Richtungswechsel von der Stadt Duisburg
„Geschockt und erbost“ über die angedrohten Massenzwangsräumungen ist auch der Mieterbund Rhein-Ruhr mit Sitz in Duisburg-Hamborn. Die städtischen Briefe an die Hausbewohner „erschüttern und machen Angst, und sie stärken nicht das Vertrauen in die Stadtführung“, kritisiert die Mietrechtsexpertin Sonja Herzberg.
Zudem betont sie, dass die meisten Betroffenen „rechtschaffene Mieter sind, die brav ihre Miete bezahlen“ und jetzt unverschuldet in eine schwierige Lage geraten sind. Sie sieht in dem Vorhaben der Stadtverwaltung die „falsche Vorgehensweise“ und zeigt sich verärgert über „die Massivität, mit der hier gegen Mieter und Mieterinnen vorgegangen wird“.
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Zusätzlich vermisst Sonja Herzberg dafür die rechtliche Grundlage. Vor einem Mehrfamilienhaus ohne Wasser ließen sich etwa Toilettenhäuschen aufstellen und Wasserwagen parken. Dann müsse niemand sein Zuhause verlassen und in eine städtische Notunterkunft ziehen.
Die betroffenen Hausgemeinschaften können sich alternativ auch zu einer Mieternotgemeinschaft zusammenschließen, ergänzt Michael Kosthorst, und so „gegen die Stadtwerke als Monopolversorgerin den Anspruch auf einen eigenen Versorgungsvertrag durchsetzen“.
„Die Stadt kann keine Straßenkampfszenen wie in Hamburg oder Berlin wollen.“
Damit sind sich die beiden Duisburger Juristen einig, dass eine verhängte Wassersperre nicht zwangsläufig zu einer Zwangsräumung führen dürfe. Und wie habe die Wohnungsaufsicht überhaupt vor, hunderte Familien, die nicht ausziehen wollen, aus ihrem Zuhause zu holen? Gewaltsam? „Die Stadt kann keine Straßenkampfszenen wie in Hamburg oder Berlin wollen“, sagt Rechtsanwältin Herzberg entschieden. Sie hat bereits Gespräche geführt mit Mietern und Mieterinnen, die ihr Zuhause nicht ohne Widerstand aufgeben wollen.
Sind die geplanten Zwangsräumungen tatsächlich abgewendet? Die 800 Betroffenen müssen weiter bangen
Ob diese Zwangsräumungen tatsächlich in der Marxloher Wohnsiedlung rund um die Herbert-Grillo-Gesamtschule abgewendet sind? Die Stadtwerke haben sie zunächst nur ausgesetzt und warten ab, ob die neue Hausverwaltung wirklich die ausstehenden Wasserschulden von einer halben Million Euro bezahlt. Und wer der neue Eigentümer wird, der dem Wohnungskonzern IPG I seine 56 Immobilien in Marxloh zum Monatsende abkaufen wird.
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Dass der neue Besitzer ein anständiger Wohnungskonzern ist, darauf will sich der Mieterbund Rhein-Ruhr nicht verlassen. Deshalb fordert er von der Stadt, sich ein neues Konzept zu überlegen, wenn künftig wieder große Konzerne die Wasserrechnungen im großen Stil nicht bezahlen. „Hier zeigt sich wieder, dass Wasser und Wohnen keine Spekulationsobjekte sind, die alleine dem freien Markt überlassen werden dürfen“, sagt Sonja Herzberg und sieht in der drohenden Obdachlosigkeit von rund 800 Menschen ein gutes Argument für einen Richtungswechsel.
Neue Strategie gegen skrupellose Wohnungskonzerne gefordert
Die Stadt Duisburg brauche eine „langfristige Strategie“, um solche Vorfälle künftig zu vermeiden. Vielleicht, indem Mieter ihre Nebenkosten auf ein Treuhandkonto der Stadtwerke direkt überweisen, regt sie an. Oder dass die Stadt viele solcher Wohnsiedlungen „in die Gemeinnützigkeit zurückführt“. Sie könne die Immobilien kaufen, beschlagnahmen oder enteignen – und als Partner die Genossenschaften stärken und einbeziehen. „Wir sind immer dabei, wenn gemeinsame Lösungen angedacht werden und begleiten sie gerne“, bietet Sonja Herzberg vom Mieterbund Rhein-Ruhr eine Zusammenarbeit an.
Sollten die Stadtwerke erneut androhen, das Wasser in den Marxloher Wohnhäusern der IPG I GmbH abzustellen, und sollte die Stadt dann 800 Menschen aus ihren Wohnungen entfernen wollen, müssen sich der Duisburger Versorger und die Behörden auf juristischen Widerstand einstellen.
>> Eskalation per Anschreiben
- Die Stadtwerke bezeichnen das Abstellen des Wassers, wenn der Hauseigentümer die Rechnung nicht bezahlt, als „allerletztes Mittel“ nach einem mehrmonatigen Mahnverfahren.
- Die Stadtverwaltung geht in ihren Anschreiben an die Mieter weiter: Sie kündigen nicht nur die Wassersperre an, sondern teilen auch mit, dass die Wohnung ohne Wasser unbewohnbar sei und verlassen werden müsse.
- Somit hat die Stadt ebenfalls ihre Vorgehensweise verschärft. So wurde, anders als jetzt, noch im Frühjahr bei einem wasserlosen Mehrfamilienhaus einer anderen IPG-Gesellschaft keine Räumung durch die Wohnungsaufsicht angedroht.
- Damals teilte eine Stadtsprecherin mit, dass eine Wohnung für unbewohnbar erklärt werden könne, wenn „gesundheitliche Schäden für die Bewohner zu befürchten sind“. Aber: „Ob gesundheitliche Beeinträchtigungen tatsächlich zu befürchten sind, hängt allerdings vom Einzelfall ab, beispielsweise ob pflegebedürftige Personen oder Kleinkinder betroffen sind.“
- Bei den angedrohten Zwangsräumungen in Marxloh ist von Einzelfallprüfungen plötzlich keine Rede mehr.