Duisburg. Die Bewohner von Schrottimmobilien in Marxloh stehen plötzlich ohne Zuhause da. Durch skrupellose Vermieter drohen viel mehr Menschen Probleme.
Die städtische Taskforce Problemimmobilien ist oft in Marxloh im Einsatz. Allein vom 2. bis 12. Juli hat sie dort zehn Wohnhäuser kontrolliert und davon fünf komplette Gebäude sowie drei einzelne Wohnungen geräumt. Dies sei „zum Schutz der Mieter vor lebensgefährlichen Zuständen“ geschehen, bestätigt Stadtsprecher Jörn Esser auf Anfrage.
Ausschlaggebend für die Räumungen seien vor allem „zahlreiche Brandschutz- und Baumängel“ gewesen. Alle zehn Wohnhäuser gehören demnach derselben Eigentümergesellschaft, die die Stadt aus Datenschutzgründen nicht nennt. Nur in zwei Immobilien „wurden keine gravierenden Mängel festgestellt“, so Esser. „Obwohl grundsätzlich der Eigentümer dazu verpflichtet ist, Ersatzwohnraum bereitzustellen, hat die Stadt zehn Personen kurzfristig untergebracht.“
Nach Taskforce-Einsätzen in Marxloh: „Die Leute standen hier zitternd und heulend, völlig verzweifelt“
Doch längst nicht alle Betroffenen sind damit versorgt. Viele haben sich zuletzt hilfesuchend an den Verein Runder Tisch Marxloh gewandt. „Die Leute standen hier zitternd und heulend, völlig verzweifelt“, berichtet der Vorsitzende Thomas Mielke. Eine Handvoll Familien hätten Haustiere, die in den Notunterkünften wie dem Haus Salm nicht erlaubt seien. Ohne ihre geliebten Hunde und Katzen wollen sie nicht dorthin. Auch wollen Eltern mit kleinen Kindern in städtischen Notunterkünften nicht neben drogensüchtigen und alkoholkranken Obdachlosen einziehen.
Die Verzweiflung im Stadtteil ist groß, und auch der Runde Tisch Marxloh ist „total überfordert“ und hofft, dass die Rentner und Familien mit ihren Haustieren in dieser „absoluten Notsituation“ zunächst bei ihren Freunden oder Verwandten unterkommen.
Wohnungskonzern gibt Nebenkosten nicht weiter – Stadtwerke Duisburg stellen das Wasser ab
Doch längst nicht mehr nur durch die Räumung von Schrottimmobilien würden seine Mitmenschen „unverschuldet zu Obdachlosen“, sagt der Marxloher und sieht die Schuld bei den Hauseigentümern. Meist seien dies Konzerne, die die von ihren Mietern gezahlten Nebenkosten nicht an die Stadtwerke weiterleiten. So fließt irgendwann kein Wasser mehr. Angedrohte Wassersperren hat Mielke in diesem Jahr bereit selbst für seine Mietwohnung mehrfach im Briefkasten gehabt – bislang ohne böse Folgen. Der Vermieter hat offenbar die Rechnung der Stadtwerke gerade noch rechtzeitig beglichen.
Dieses Glück hatten unlängst die 14 Bewohner eines Mehrfamilienhauses an der Hermannstraße nicht. Ihr Hauseigentümer, ein Wohnungskonzern, hat die Stadtwerke nicht bezahlt, und sie haben den Hahn abgedreht. Zwei Wochen lang hatten die Betroffenen zuvor bei ihrer Hausverwaltung, die damals noch denselben Geschäftsführer hatte wie die der Vermieter, angerufen und angeschrieben und wurden nur vertröstet. Bei den Stadtwerken bissen sie ebenfalls auf Granit.
„Es tut weh“: Auszug plötzlich notwendig nach fast 47 Jahren
„Als ich von der Arbeit kam, war das Wasser plötzlich weg“, erinnert sich Barbara Kremer, die seit fast 47 Jahren in ihrer Wohnung lebt. Mit ihren Nachbarn, zwei sechsköpfigen Familien und ihrem Lebensgefährten, der ebenfalls im Haus wohnt, haben sie einen Anwalt genommen. Er wollte den städtischen Versorger dazu bewegen, dass die Nachbarn als Notgemeinschaft einen eigenen Wasservertrag abschließen können. „Wir sind bereit, bei den Stadtwerken das zu bezahlen, was wir verbrauchen und gehen sogar in Vorkasse“, bekräftigt Barbara Kremer. Vergebens.
Das Wasser kaufen sich die beiden Familien mit Kindern und das ältere Paar bei der benachbarten Tankstelle, füllen es in große Kanister ab. Als sich jedoch nach mehreren Tagen weder der Vermieter noch die Stadtwerke bewegen, sucht die erste Familie sich eine neue Wohnung, und auch Barbara Kremer und ihr Partner unterzeichneten einen neuen Mietvertrag für eine Wohnung einige Meter die Straße runter. „Die Situation ist schlimm“, sagt die Marxloherin und ist sichtlich getroffen. „Es tut mir weh, dass ich hier ausziehen muss.“ Aber ohne Wasser, so können und wollen die Betroffenen nicht bleiben.
Ein neues Zuhause suchen auch Raymond und Rosemary Adeaga für sich, ihre drei Töchter und ihren Sohn. Denn die Familie kann nicht dauerhaft bei Freunden duschen. Doch der DHL-Bote und das Zimmermädchen finden keine bezahlbare Fünfzimmerwohnung in Marxloh. Derzeit zahlen sie monatlich knapp 1450 Euro warm, vergleichbare Wohnungen wurden ihnen jetzt für 4000 bis 5000 Euro angeboten. Unbezahlbar für die Familie. Im Stadtteil wollen sie bleiben, weil die jüngeren Kinder die Regenbogenschule und die beiden Teenagerinnen die Realschule Fahrn besuchen.
Stadt Duisburg bietet sechsköpfiger Familie eine Notunterkunft an – für 1800 Euro pro Monat
Als die Stadt Duisburg durch unsere Redaktion von dem Fall in der Hermannstraße erfährt, bietet sie der Familie Adeaga als Notunterkunft ein Apartment mit 110 Quadratmetern an. Sie sind inzwischen die einzig verbleibenden Mieter in dem Mehrfamilienhaus. Dieses Angebot schlagen Raymond und Rosemary Adeaga jedoch aus, weil diese Unterkunft in der Stadtmitte liegt und die Stadt dafür zehn Euro pro Person und Tag verlange; das sind 1800 Euro pro Monat. Die beiden Eltern und ihre vier Kinder ziehen es vor, in dem ansonsten leeren Haus ohne Wasser zu bleiben, damit die Schulbildung nicht darunter leidet.
Schließlich lenken die Stadtwerke ein, akzeptieren die Familie als Mieternotgemeinschaft und stellen das Wasser nach rund anderthalb Monaten wieder an. Stadtwerke-Sprecher Thomas Kehler betont, dass Wassersperren, die vorausgehenden Mahnungen und Fristen gesetzlich geregelt seien, aber „nur als allerletztes Mittel“ erfolgten.
Wegen ein paar hundert Euro: Duisburger haben jetzt unverschuldet ihr Zuhause verloren
Zahlt ein Hauseigentümer die Wasserrechnung nicht, können die Mieter eine Mieternotgemeinschaft gründen und die Wasserkosten selbst begleichen. Erfahrungsgemäß komme diese aber nur zustande, wenn alle Mieter oder immerhin ein Großteil eintreten. „Eine solche Vereinbarung sollte möglichst vor dem kommunizierten Sperrtermin wirksam sein“, so Kehler. Das war bei der Hermannstraße nicht der Fall. Dort sollen sich die Wasserschulden des Vermieters übrigens nur auf „einen mittleren dreistelligen Betrag“ belaufen haben. Dadurch sind jetzt drei Wohnungen leergezogen.
Weitere Schreiben, in denen die Stadtwerke androhen, dass sie das Wasser abdrehen, haben jüngst die Briefkästen mehrerer Mehrfamilienhäuser in Marxloh erreicht.
Die Hausverwaltung und das Wohnungsunternehmen des betroffenen Mehrfamilienhauses an der Herrmannstraße haben auf schriftliche Fragen der Redaktion nicht reagiert.
>> Ratschläge für Betroffene
- Stadtwerke und Stadtverwaltung raten Betroffenen, denen das Wasser abgestellt zu werden droht, sich Hilfe bei einem Anwalt oder bei einem Mieterschutzverein zu suchen.
- Darüber hinaus empfiehlt die Stadt, die Wohnungsaufsicht zu informieren. Sie gehört zum Amt für Soziales und Wohnen. Ob eine Wohnung ohne Wasser als unbewohnbar gilt, hängt vom Einzelfall ab. Ob etwa Kleinkinder oder Pflegebedürftige betroffen sind.
- Die Wohnungsaufsicht fordert den Hauseigentümer im Fall einer Wassersperre auf, die Rechnung zu bezahlen. Sollte er dem nicht nachkommen, so Stadtsprecherin Susanne Stölting, „werden weitere Schritte eingeleitet“, etwa ein Zwangsgeld oder Bußgeld. Die Wohnung für unbewohnbar zu erklären, „ist bei solchen Verfahren das letzte und schärfste Mittel der Wohnungsaufsicht“.