Duisburg. Ein Wohnungskonzern bezahlt die Stadtwerke Duisburg nicht. Dadurch drohen jetzt 800 Menschen zuerst das Wasser und dann ihr Zuhause zu verlieren.
Die Angst geht um in Marxloh. Genährt von vielen Schreiben der Stadtwerke. Darin droht das Duisburger Versorgungsunternehmen hunderten Mietern an, bei ihnen nach und nach das Wasser abzustellen, weil ein Wohnungskonzern die Wasserrechnung nicht bezahlt. Dadurch könnte das ganze Wohnviertel bald zwangsgeräumt werden.
„Humanitäre Katastrophe“: 800 Männer, Frauen und Kinder fürchten um ihr Zuhause in Marxloh
Vor dieser „humanitären Katastrophe“ warnt jetzt auch der preisgekrönte Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ inmitten des Wohnquartiers. „Hunderte Menschen, darunter zahlreiche Kinder, stehen kurz davor, ihr Zuhause zu verlieren“, beklagt seine Gründerin Christine Bleks. „Diese Menschen, die ohnehin täglich um ihr Überleben kämpfen, könnten bald auf der Straße stehen, und das aufgrund eines skandalösen Missstands, den wir nicht länger hinnehmen dürfen.“
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Der Vermieter, das Unternehmen IPG I, hat das von den Mietern oder dem Jobcenter gezahlte Geld fürs Wasser nicht an die Stadtwerke weiterüberwiesen. Das geht aus den Anschreiben der Stadtwerke hervor. Diese Briefe sind jetzt deutlich schärfer formuliert als noch in früheren Monaten, nennen jetzt Ross und Reiter und drohen neuerdings Häuserräumung an. Ohne Wasser, so informiert der städtische Versorger die Betroffenen, dürften sie ihre Wohnung nicht mehr nutzen, weshalb „alle Mietparteien“ dann „ihre Wohnung und das Gebäude verlassen“ müssen. Die ersten Häuser sollen schon an diesem Freitag das Wasser verlieren.
Konzern zahlt Rechnung nicht: Stadtwerke Duisburg könnten im ganzen Wohnviertel das Wasser abdrehen
Dass dies keine leeren Worte sind, weiß Heike Assenkamp aus bitterer Erfahrung. Zunächst hatten die Stadtwerke ihr im Sommer wegen offener Rechnungen das Wasser abgedreht. Der Vermieter hatte nicht gezahlt. Kurz darauf räumte die Taskforce Problemimmobilien das Gebäude an der Gertrudenstraße. Jedoch nicht wegen Wassermangel, sondern wegen Brandschutzmängel. Die Bewohner mussten Hals über Kopf raus. Der Eigentümer IPG I stellte keine Ausweichwohnung. Doch Heike Assenkamp hatte Glück und konnte bei einem Freund unterkommen.
Während die Stadtwerke darauf hinweisen, dass sie nicht „signifikant“ mehr Informationsbriefe über drohende Wassersperren an Betroffene verschicken als üblich, gehen offenkundig viele dieser Briefe nach Marxloh ins Wohnviertel in der Nachbarschaft der Herbert-Grillo-Gesamtschule. Rund 800 Menschen, so heißt es im Stadtteil, leben derzeit dort in 56 Häusern, die der IPG I gehören sollen.
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Eine betroffene Mieterin ist Tanja Berndt, die jetzt ebenfalls einen Stadtwerke-Brief erhalten hat. Nicht der erste in den vergangenen Monaten. Zunächst hatte sie versucht, ihr Hausverwaltung zu erreichen, die Ivere Property Management GmbH. Diese Firma hatte bis vor kurzem denselben Geschäftsführer wie der Hauseigentümer IPG I.
„Für uns ist keiner erreichbar, seit Jahren schon nicht“, sagt sie und hat viele schlaflose Nächte, wann immer die Stadtwerke das Wasser im Haus abzudrehen drohen. Deren Kundencenter könne ebenfalls nicht helfen, „ich habe immer nur eine Bandansage dran“. Früher rieten die Briefe, einen Anwalt oder den Mieterschutzbund einzuschalten, jetzt wird über drohende Hausräumungen informiert. Die Lage ist ernst, das haben die Menschen im Stadtteil längst verstanden. Und sie haben große Angst davor.
„Die Leute sind verzweifelt“ – nach einer Hausräumung fängt für viele der Ärger erst richtig an
„Ich traue mich nicht mehr aus dem Haus“, sagt Jasmine Nomigkeit mit tränennassen Augen. Sie heißt eigentlich anders und befürchtet, dass die Taskforce anrückt, wenn sie Einkaufen oder Spazieren geht, und sie nicht mehr in ihre Wohnung darf. Oder dass Südosteuropäer plötzlich ihr Zuhause für geräumt oder unbewohnt halten und illegal besetzen. Das komme durchaus vor, bestätigt Thomas Mielke vom Runden Tisch Marxloh. Den Verein bitten viele Betroffene um Hilfe. Mielke selbst hat erst kürzlich einen entsprechenden Einbruch in eine leere Nachbarwohnung vereitelt. „Die Leute sind verzweifelt“, sagt der Vereinsvorsitzende, der selbst in einem Gebäude einer IPG-Gesellschaft wohnt.
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Einerseits fürchten sie um ihr Zuhause, andererseits wissen sie, dass von der Taskforce zügig geräumte Wohnungen nicht gesichert und bewacht werden. Nicht immer werden geräumte Wohnungen demnach besetzt, manchmal werden die Zimmer auch einfach als Toilette benutzt. Für die ehemaligen Mieter sei beides schlimm, weiß Petra Schauer: „An Wohnungen hängen ganze Leben dran“. Deshalb setzt sie sich ebenfalls ehrenamtlich für andere ein, damit bei ihnen das Wasser weiterläuft und sie ihr Zuhause behalten können.
Marxloher Rechtsanwalt will allen Betroffenen kostenlos helfen
Tatsächlich sind gerade zig Marxloher und Marxloherinnen besorgt. Darunter auch der Rechtsanwalt Michael Kosthorst. Bereits im Frühjahr waren einige seiner Klientel ohne Wasser, weil eine der insgesamt fünf IPG-Schwesterfirmen nur wenige hundert Euro Wasserschulden nicht beglichen hat. Daraufhin warnte er die Stadtwerke vor einem großen Problem, weil mindestens zwei IPG-Gesellschaften „in sehr erheblichem Umfang auf dem Duisburger Wohnungsmarkt aktiv sind“.
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Jetzt, wo sich bewahrheitet, dass gut 800 der Mieter bald auf der Straße stehen könnten, kämpft er für die Betroffenen, damit die Stadtwerke nicht das Wasser abstellen. „Das ist ein massiver Skandal“, sagt Kosthorst und will alle Interessierten kostenfrei vertreten. Dem städtischen Versorger wirft er vor, völlig unverhältnismäßig zu handeln: So sei Obdachlosigkeit deutlich schlimmer als nur kein Wasser in der Wohnung mehr verbrauchen zu können. Außerdem werde „halb Marxloh entvölkert“.
Dass angeblich hundert Kinder und Jugendliche der Grillo-Gesamtschule betroffen seien, kann Schulleiter Thomas Zander zwar nicht bestätigen. Es sind demnach aber immerhin 34 Schülerinnen und Schüler, die vielleicht bald in eine Notunterkunft ziehen müssen. Lehrer, Schüler und Eltern wollen sich mit den Betroffenen solidarisch zeigen und ihnen deutlich machen: „Ihr seid bei uns willkommen, hier seid ihr richtig.“ Zugleich bereitet sich die Gesamtschule auf traumatisierte Kinder vor und erhöht auch die Sicherheit auf dem Gelände, um nach den Wassersperren in der Nachbarschaft unschöne Szenen zu vermeiden.
Plötzlich die Lösung: „Es wird keine Bude geräumt“
Plötzlich kommt am Mittwochabend die Entwarnung: „Es wird keine Bude geräumt, und es wird auch kein Wasser abgestellt“, sagt der SPD-Ratsherr Dieter Stradmann. Das sei das Ergebnis einer Krisensitzung. Zuvor hatte die IPG I bereits eine neue Hausverwaltung eingesetzt, die nun auch für die betroffenen Immobilien an der Pestalozzistraße, Gertrudenstraße, Diesterwegstraße und Wilfriedstraße zuständig ist.
Diese Firma zeigt sich laut den Stadtwerken bemüht, die aufgelaufen Wasserschulden von „fast einer halben Million“ zu zahlen. Daher werden die angedrohten Wassersperren zunächst für gut anderthalb Wochen ausgesetzt. Außerdem sollen die Immobilien zum Monatsende einen neuen Eigentümer bekommen, so Dieter Stradmann, und dann werde ein neuer Versorgungsvertrag mit den Stadtwerken geschlossen.
In Marxloh ist jetzt die Erleichterung erst einmal groß. Zudem gibt es die zaghafte Hoffnung, dass der neue Eigentümer die künftigen Wasserrechnungen fristgerecht bezahlt und sich gut um die Gebäude kümmert.
Die frühere Hausverwaltung Ivere und das Wohnungsunternehmen IPG I haben auf schriftliche Fragen der Redaktion nicht reagiert.
>> Meistens wirken die Mahnungen der Stadtwerke
- Laut der Stadt Duisburg hat die IPG I gegenüber der Verwaltung angegeben, im Stadtgebiet 56 Häuser mit rund 320 Wohnungen zu besitzen. Wie viele die Schwesternfirmen IPG II bis V in Duisburg besitzen, darüber führe die Stadt keine Statistik.
- Bei den Wassersperren folgen die Stadtwerke gesetzlichen Regeln. Das Abstellen sei immer nur das „allerletztes Mittel“. Und: „Es kommt nur bei rund sechs Prozent der angedrohten Sperrungen tatsächlich zu einer Umsetzung der Sperre“, so ein Sprecher. Zuvor sei meist ein mehrstufiges Mahnverfahren erfolgreich.
- Hat die Stadt genügend Notunterkünfte, falls 800 Menschen ihre Wohnung räumen müssen? „Grundsätzlich ist der Eigentümer dazu verpflichtet, Alternativwohnraum zur Verfügung zu stellen“, so ein Sprecher, und es komme vor, dass auch IPG-Wohnungsgesellschaften das tun. „Eine Unterbringung hunderter Mieter würde die Stadt vor sehr große Herausforderungen stellen“, so die Stadt weiter, aber „bisher ist es uns gelungen, Bedürftigen eine entsprechende Notunterkunft anzubieten“.