Duisburg. Marxloh hat einen schlechten Ruf: Viele denken an Schrottimmobilien, Müll und Kriminalität. Heidemarie Flatau lebt gerne dort und erzählt, warum.

Kriminalität, Armut und Vermüllung – damit wird Marxloh oft in Verbindung gebracht. „Dabei hat Marxloh auch schöne Seiten“, sagt Heidemarie Flatau (72). Sie lebt seit 66 Jahren in dem Stadtteil mit dem schlechten Ruf. Das Stahlwerk bescherte vielen Bewohnern einen gut bezahlten Arbeitsplatz inklusive Werkswohnung. Auch Familie Flatau profitierte davon und fand in einer dieser Wohnungen ihr Zuhause.

Heidemarie Flatau lebt seit 66 Jahren in Marxloh und ärgert sich über Vorurteile

„Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das damals war“, sagt sie. Neben der Belegschaft des Stahlwerks wohnten auch die Werksdirektoren im Stadtteil. Die Kaufkraft war hoch und das Leben in den Straßen der damals noblen Wohngegend florierte.

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„Wenn man in Marxloh ausgegangen ist, hat man sich schick angezogen“, erinnert sich Flatau. Das alles sind Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit. Heute prägen vor allem negative Schlagzeilen die öffentliche Wahrnehmung. „Zu Unrecht“, findet Flatau.

Vor allem eines schätzt die 72-Jährige an Marxloh: „So einen Zusammenhalt wie hier finde ich nirgendwo anders.“ Flatau hilft ihren Nachbarn, die überwiegend einen Migrationshintergrund haben, beim „Papierkram“ mit den Behörden. Als ehemalige Mitarbeiterin der Landesregierung habe sie dafür „ein Händchen“.

Flatau erledigt den Papierkram für die Nachbarn, im Gegenzug wird sie bekocht

Im Gegenzug kochen die Nachbarn regelmäßig für die Rentnerin mit oder gehen gemeinsam mit ihr einkaufen: „Das ist ein Geben und Nehmen.“ Wenn sie mal ihre Jalousien nicht rechtzeitig oben hat, bekommt sie sofort einen Anruf, ob alles gut ist. Wenn sie in Urlaub fährt, muss sie sich rechtzeitig bei ihren Nachbarn abmelden.

Heidemarie Flatau lebt gerne in Marxloh. Nirgends sei der Zusammenhalt größer, meint die Rentnerin.
Heidemarie Flatau lebt gerne in Marxloh. Nirgends sei der Zusammenhalt größer, meint die Rentnerin. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Ihre Freundinnen würden die Offenheit der Marxloher ebenfalls sehr schätzen, erzählt Flatau. Den Kontakt zu Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund empfindet die Rentnerin als Bereicherung. Doch sie findet, dass der Austausch zwischen der deutschen und ausländischen Bevölkerung bei vielen Anwohnern noch ausbaufähig ist. „Dass viele aneinander vorbeileben, ist eine Ursache für die vielen Vorurteile ist“, sagt die Marxloherin.

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Bei Sprachproblemen verständigt man sich mit Händen und Füßen

Natürlich hat Heidemarie Flatau oft mit sprachlichen Barrieren zu kämpfen. Jedoch verstehe man sich „mit Händen und Füßen“ irgendwie immer. Die Rentnerin betont, dass man auch miteinander in Kontakt treten kann, indem man jemanden höflich auf sein Fehlverhalten hinweist. „Wenn ich sehe, dass Müll auf die Straße geworfen wird, spreche ich die Leute direkt an“, erzählt sie. Viele würden solche Erlebnisse „in sich hineinfressen“ und ihren Frust später bei Facebook kundtun.

Der Jubiläumshain ist eine Oase der Ruhe in Marxloh.
Der Jubiläumshain ist eine Oase der Ruhe in Marxloh. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Flatau kritisiert, dass alle immer nur über wenige, mit Problemen belastete Straßenzüge reden würden. „Dabei gibt es hier wunderbare und gut gepflegte Wohngegenden“, sagt sie. „Vor allem rund um den Jubiläumshain.“ Auch der Park selbst habe viel zu bieten.

„Rund um den Jubiläumshain lässt es sich gut leben“

Neben dem Rosen- und Staudengarten und einer Vielzahl an Schatten spendenden Bäumen gibt es dort drei Spielplätze. „Außerdem finden dort im Sommer jeden Sonntag kostenfreie Konzerte statt.“ Wer seine Freizeit im Grünen verbringen möchte, könne das auch in einem der drei Marxloher Schrebergärten tun oder in den nahegelegenen Revierpark Mattlerbusch fahren.

Heidemarie Flatau hat noch mehr positive Aspekte zu bieten: „Nirgendwo in Duisburg kann man so gut und günstig essen wie hier.“ In den türkischen Cafés und Restaurants finde man für wenig Geld „richtig leckere Sachen“. Die Rentnerin empfiehlt jedem, der türkische Köstlichkeiten mag, Marxloh einen Besuch abzustatten. Auch wer noch keine Erfahrungen mit der Küche hat, solle sich „einfach mal darauf einlassen“. Ihr schmeckt zum Beispiel die türkische Linsensuppe „Mercimek Çorbası” viel besser als die deutsche Variante.

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„Ich habe aber keine rosarote Marxloh-Brille auf“, betont die 72-Jährige und benennt klar die Probleme des Stadtteils: die Vermüllung einiger Straßenzüge und die aggressive Bettelei entlang des August-Bebel-Platzes. Darauf mit hasserfüllten und ausländerfeindlichen Parolen im Internet zu reagieren oder die AfD zu wählen, sei aber keine Lösung.

Rund um den Jubiläumshain lässt es sich gut leben, sagt Flatau. Diese herrschaftliche Stadtvilla steht an der Mecklenburgerstraße.
Rund um den Jubiläumshain lässt es sich gut leben, sagt Flatau. Diese herrschaftliche Stadtvilla steht an der Mecklenburgerstraße. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Vieles an der aktuellen Situation habe die Politik mitzuverantworten. Die Menschen würden einfach nicht an die Hand genommen. Dies sei bereits der Fall gewesen, als die türkischen Gastarbeiter in den 1970er Jahren ihre Familien nachholten. „Die Männer und Kinder haben auf der Arbeit und in der Schule mit der Zeit gute Sprachkenntnisse erworben. Doch viele Frauen der ersten Einwanderer-Generation können bis heute kein Deutsch.“

Als die Rumänen und Bulgaren nach dem EU-Beitritt ihrer Heimatländer 2007 nach Marxloh gekommen seien, habe die Politik die gleichen Fehler wie damals gemacht. „Es ist nicht gut, dass es keine verpflichtenden Sprachkurse gibt. Statt etwas dafür zu tun, dass die Menschen die deutsche Sprache lernen, haben die Marxloher Banken und Ärzte angefangen, zweisprachiges Personal einzustellen“, erzählt Flatau.