Voerde/Hünxe. Erstmals wurde die AfD zum Mehrheitsbeschaffer für einen Antrag im Bundestag. Dafür hagelt es viel Kritik. Wie die hiesige CDU reagiert.

Nach der Annahme ihres Antrags zur Verschärfung der Migrationspolitik auch durch die AfD am Mittwoch im Bundestag reißt die Kritik an der Union nicht ab. Der CDU/CSU wird ein Einreißen der Brandmauer zur selbsternannten Alternative für Deutschland vorgeworfen, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft. Gegner sprechen von einem Tabubruch. Auch am Freitag vor der Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“, das 2024 im Innenausschuss abgelehnt worden war und mit dem sie jetzt im Bundestag überraschenderweise am Ende scheiterte, stand die Union massiv unter Beschuss. Und wie sieht die CDU-Basis in Dinslaken, Voerde und Hünxe das Vorgehen der Union und ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz? Geht sie auf Distanz, so wie es die ehemalige Regierungschefin Angela Merkel getan hat?

Das sagt die CDU Voerde

Der Vorstand des Voerder CDU-Stadtverbandes, in dessen Namen Parteichef Henning Stemmer auf NRZ-Anfrage Stellung nimmt, antwortet darauf ausweichend: „Wir hätten uns eine Unterstützung des in der Sache richtigen Antrages der CDU/CSU-Fraktion durch die Parteien der Mitte gewünscht. Die FDP hat es erkannt. Die Ampel hatte dreieinhalb Jahre Zeit, die Probleme zu lösen. Nichts ist passiert. Hoffentlich gehen sie auf das Gesprächsangebot von Friedrich Merz ein.“ Sodann dreht der Voerder CDU-Vorstand den Spieß um. Den zweiten am Mittwoch von der Union vorgelegten Entschließungsantrag hätten die verbliebenen Ampelparteien mit Stimmen der Alternative für Deutschland abgelehnt – „also waren SPD und Grüne Gehilfe, um die AfD vor weiteren Befugnissen der Polizeibehörden zu schützen“, kommentiert Stemmer.

Am Freitag bei der Abstimmung im Bundestag zu dem von der Union vorgelegten Zustrombegrenzungsgesetz müssten „SPD und Grüne Rückgrat zeigen“, forderte Stemmer einige Stunden vor der Entscheidung, „sonst sind sie die Steigbügelhalter und brechen Tabus nicht zuletzt durch die Ignoranz demokratischer Prozesse“. Am Ende erlitt die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Merz eine Niederlage. Der Gesetzentwurf wurde mit 349 Nein- zu 338-Ja-Stimmen und bei fünf Enthaltungen abgelehnt. 41 Mandatsträger stimmten nicht mit ab – darunter zwölf aus den Reihen von CDU/CSU. 75 der 76 AfD-Bundestagsabgeordneten votierten mit Ja, ein Mitglied nahm nicht an der Abstimmung teil.

CDU Voerde: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD“

Henning Stemmer wehrt sich gegen den Vorwurf einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD. Die gebe es nicht. „Der Antrag war mit ihr nicht abgestimmt und enthält AfD-kritische Passagen“, sagt der Voerder CDU-Chef. Und wieder der Fingerzeig auf die Gegenseite: „Ist es auch eine Kooperation, wenn die SPD im NRW-Landtag zusammen mit der AfD stimmt – was sie mehrfach getan hat? Zitat Olaf Scholz vom August 2023: ,Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.‘ Wenn die anderen Parteien der demokratischen Mitte bei sehr wichtigen Themen mitziehen, müsste man über Stimmen der AfD nicht diskutieren. Das haben die anderen Parteien leider nicht getan.“

Es gehe, betont Stemmer, um das höchste Gut, was ein Staat seinen Menschen anbieten könne: „das Sicherheitsversprechen“. Durch „die schrecklichen Anschläge“ habe sich das Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung nochmal verstärkt. „Wenn wir das nicht so adressiert hätten in dieser Woche, dann wäre die AfD noch mehr erstarkt. Wollen wir das? Die Deutungshoheit zur Lösung der Migrationskrise bei der AfD lassen? Wir wollen keine Stimmen der AfD. Wir wollen die von SPD, Grünen und FDP zur Lösung eines Problems“, erklärt der Voerder CDU-Chef.

„Die Brandmauer steht, das macht keine Partei so deutlich wie die CDU, und Friedrich Merz betont es bei jeder Gelegenheit. Es könnte am Wahlkampf liegen, dass SPD und Grüne auf diesem Ohr taub sind.“

Henning Stemmer, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Voerde

Die Reaktionen von SPD und Grünen sieht Stemmer von Wahlkampftaktik getragen. „Die schlechten Wirtschaftsdaten, die am Mittwoch vorgestellt wurden, sind dadurch leider in den Hintergrund geraten“, sagt der Voerder CDU-Chef. Eine dauerhaft schlechte Wirtschaft habe zur Folge, „dass die politischen Ränder stärker werden“. Die Brandmauer zur AfD stehe, betont Stemmer. Das mache „keine Partei so deutlich wie die CDU, und Friedrich Merz betont es bei jeder Gelegenheit. Es könnte am Wahlkampf liegen, dass SPD und Grüne auf diesem Ohr taub sind“. Die CDU halte die Brandmauer, das sei ihre Aufgabe. Aber bis zur nächsten Bundestagswahl 2029 „das Feuer“ dahinter zu löschen, sei „Aufgabe der gesamten demokratischen Mitte, das schaffen wir nicht allein“, erklärt Stemmer. Der „Feuerlöscher“ sei „gute, verantwortungsvolle und glaubwürdige“ Politik. „Ich hoffe, die Verantwortung nehmen SPD und Grüne schnell wieder wahr. Und hören auf, Öl ins Feuer zu gießen“, sagt Stemmer.

Es gehe darum, „die Migrationsfrage zum Wohle des gesamten Landes zu lösen. Wenn wir das mit guter Politik schaffen, dann nehmen wir der AfD ihr einziges Thema“. Stemmer richtet den Blick nach Dänemark: „Als sich die regierenden Sozialdemokraten zu einer sinnvollen Migrationspolitik entschlossen haben, war die dänische AfD schnell verschwunden. Das muss Ziel aller Parteien der demokratischen Mitte sein. Die Ampel hat das in den letzten dreieinhalb Jahren verpasst“, kritisiert Stemmer.

Pro und Contra: Stimmen aus den Sozialen Medien

Wir haben die Follower der Facebook- und der Instagramseite der NRZ nach ihrer Meinung gefragt. Beeinflusst die Abstimmung der CDU mit der AfD Ihre Wahlentscheidung? Dazu gab es ganz unterschiedliche Stimmen.

Pro Merz: „Wenn jemand einen Gesetzesvorschlag gut findet und ihn durchbekommen möchte, kann ihm doch egal sein, wer noch dafür stimmt. Wenn die AfD vorschlägt, mehr Geld für Bildung auszugeben, sollte man dann dagegen stimmen, weil der Vorschlag von der AfD kommt?“ fragt etwa Malte Ody auf Facebook – 58 weiteren Usern gefiel dieser Kommentar.

„Dass die Roten und Grünen nichts auf die Kette bekommen, sehen wir doch nun schon drei Jahre. Die FDP ist auch der Meinung wie die CDU/CSU, wenn sich dann die AFD mit dran hängt ist es so“, findet Stephan Bertram.

„Ob es einem gefällt oder nicht, aber so ist das in einer Demokratie“, erklärt Andrea Ristof. „Schon mal was von Demokratie gehört? Und hat Rot-Grün gestern den zweiten Antrag der CDU nicht nur mit Stimmen der AfD ablehnen können? Aber, das zählt dann nicht, oder?“, fragt Ingrid Meyer.

„Nach Logik der Kritiker dürfte man dann ja nie einen Antrag stellen, der das Asylrecht verschärft. Schließlich wird die AfD immer dafür sein. Somit wäre dann einzig rot-grüne Asylpolitik möglich. Ob das wirklich demokratisch ist?“, fragt Wolfgang Klein.

Und Frank Winkler schreibt: „Wir sind in einem Rechtsstaat und es wurde ein Gesetzentwurf zur Abstimmung gebracht. Dass die AfD mit im Bundestag sitzt, ist nun mal so. Und diese Partei darf mit abstimmen. Dieser Gesetzentwurf war im übrigen überfällig. Das hat die CDU erkannt. Die amtierende Regierung hat es nicht für nötig empfunden, entsprechende Gesetzentwürfe zu verfassen. Die Opposition musste jetzt tätig werden. Dass SPD und Grüne nicht zustimmen und nur die AfD, ist ein legitimer und demokratischer Vorgang. Die CDU hat mit der AfD aber selber nichts zu tun!“

„Die SPD hat auch mit der AfD zusammen gestimmt, mindestens zwei Mal. Sollte das dann auch meine Wahlentscheidung beeinflussen?“ fragt Instagram-User __babayaga_.

Contra Merz: Jörg Driegert findet: „Das geht überhaupt nicht.“

Christian Hölscher schreibt: „Formal gesehen ist eine Abstimmung im Parlament demokratisch. Aber die entscheidende Frage ist doch: Wollen wir als Gesellschaft, dass demokratische Parteien mit einer rechtsextremen Partei wie der AfD gemeinsame Sache machen? Die AfD wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt, und führende Mitglieder verbreiten rassistische sowie antidemokratische Positionen. Wenn die CDU mit der AfD stimmt, gibt sie dieser Partei Legitimität – und das ist genau das, was die AfD will: als normale Partei wahrgenommen werden. Demokratie bedeutet nicht nur Mehrheitsentscheidungen, sondern auch die Verantwortung, unsere Grundwerte zu schützen.“

„Herr Merz hat klar gemacht: Wer die CDU wählt, bekommt die AfD. Angela Merkel hat früh davor gewarnt, dass es keine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben darf – und wir wissen, wohin rechte Hetze führen kann. Der Mord an Parteigenosse Walter Lübcke war eine direkte Folge davon. Demokratische Verantwortung heißt, klare Grenzen zu ziehen.“, meint Alexander Barth.

„Fakt ist: Man macht nicht mit Faschisten gemeinsame Sache“, findet Ralf Bühnen.

Und Rosita Herzog schreibt: „Ein paar Stunden vor der Antragsabstimmung der CDU sitzen die Scheinheiligen noch zusammen bei der Trauerfeier zum Gedenken des grausamen Massenmordes in Auschwitz. Ein paar Stunden später wählt die CDU mit der AfD zusammen. Pfui Teufel .“

„Meine Entscheidung ändert es nicht – keine Stimme der CDU“, sagt Claudia Wegener.

Instagram-User foo_del meint: Für wen die Ereignisse und politischen Stimmen am 29. Januar nicht Grund genug waren, die CDU nicht zu wählen, für den sollte die Distanzierung Merkels zu Merz ein deutlicher Weckruf sein!“

Hans Gutjahr schreibt: „Noch im November hat Merz genau das ausgeschlossen. Alle Parteien und auch Christliche Verbände haben vor diesem Schritt gewarnt! Das C kann seine Partei ja jetzt wohl streichen. Nach dem Prinzip ‚was stört mich mein Geschwätz von gestern‘ hat er klar die falsche Verfahrensweise gewählt! Für Demokraten in unserem Land sollte es ein klarer Weckruf sein!“

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Das sagt die CDU Hünxe

Von Zusammenarbeit mit der AfD könne keine Rede sein, betont auch Dr. Michael Wefelnberg, Fraktionsvorsitzender der CDU Hünxe: „Eine Zusammenarbeit ist ein gemeinsamer Antrag oder eine Koalition. Wenn ich einen Antrag einbringe und dem stimmt ein anderer zu, ist das ist gar nicht abgesprochen,. ist das definitionsgemäß keine Zusammenarbeit.“ Es seien schließlich „keine Gespräche mit der AfD geführt“ worden. „Es wird auch niemand bei uns mit der AfD zusammenarbeiten“, betont Wefelnberg. In der Tatsache, dass die AfD „mitgestimmt“ habe, könne er und auch sonst niemand in der CDU Hünxe eine „eingerissene Brandmauer“ erkennen.

„Es wird auch niemand bei uns mit der AfD zusammenarbeiten.“

Michael Wefelnberg, Fraktionsvorsitzender der CDU Hünxe

Die Migration sei „nach den vielen Morden das wichtigste Thema, das die Leute zurzeit beschäftigt. Und wir als CDU können das nicht allein der AfD überlassen“. Diese dürfe beim Thema „illegale Migration kein Alleinstellungsmerkmal“ haben. Wenn das der Fall wäre, halte er die Demokratie „für viel mehr gefährdet“. SPD und Grüne seien im Vorfeld gefragt worden, haben aber „nicht mitziehen“ wollen. „Natürlich ist es nicht glücklich, dass nur die AfD und FDP mitstimmen“, so Wefelnberg, „es wäre schöner gewesen, wenn die SPD mitgestimmt hätte.“ Ein Warten bis nach der Wahl in der Hoffnung auf eine eigene Mehrheit hätte er nicht für sinnvoll gehalten: „Die Leute wollen jetzt wissen, wo wir stehen – nicht nur von uns, sondern auch von der SPD.“

Im Wahlkampf vor Ort seien „viele Gespräche notwendig“, das habe er schon jetzt gespürt, so der Hünxer CDU-Fraktionschef. Er stellt klar: „Rassismus hat bei uns keine Lobby.“ Sollte es die AfD in den Hünxer Rat schaffen, „ist für mich beim ersten rassistischen Geschwätz der Ofen aus“. Mögliche CDU-Anträge würde er mit allen anderen Fraktionen absprechen, mit der AfD nicht. Wenn dann alle anderen nicht zustimmen würden, die AfD aber doch – „dann ist das eben so“, so Wefelnberg. „Reine Sachanträge“ einer AfD-Fraktion im Gemeinderat – etwa zum Thema Straßenbau – „die nichts mit weltanschlaulichen Dingen zu tun haben“, abzulehnen, halte er ebenfalls „für nicht sachbezogen“.

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CDU Dinslaken: keine Stellungnahme

Die CDU Dinslaken sowie deren Bürgermeisterkandidat Dominik Bulinski haben sich auf Anfrage der NRZ zum Thema bislang nicht geäußert. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Dinslakener Bürgermeisterin Sabine Weiss hat an den Abstimmungen am Mittwoch und Freitag nicht teilgenommen.