Voerde. Politik brachte den Etat für 2022 und 2023 nur mehrheitlich auf den Weg: CDU enthielt sich wegen „großer Bauchschmerzen“, FDP votierte mit Nein.
Der Stadtrat hat am Dienstag den ersten Voerder Doppelhaushalt verabschiedet. Es war kein einhelliger Beschluss: Die CDU-Fraktion, zweitstärkste Kraft im Kommunalparlament, enthielt sich bei der Abstimmung, die drei FDP-Ratsmitglieder votierten mit Nein. Nicolas Kotzke hatte zuvor in seiner Stellungnahme für die CDU deutlich gemacht, dass seine Fraktion „ganz große Bauchschmerzen mit dem Haushalt“ habe. Der sei mehr als „nur auf Kante genäht“, erklärte der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende mit Blick auf den deutlich geschrumpften Überschuss, mit dem der Kämmerer – Stand jetzt – für die Jahre 2022 und 2023 noch rechnet. Waren Anfang Dezember noch rund 470.000 Euro beziehungsweise 640.000 Euro angesetzt, sind es jetzt knapp 48.000 Euro beziehungsweise 55.000 Euro. Hintergrund sind Entwicklungen wie etwa weiterhin fehlende Kita-Plätze, in deren Folge Anpassungen im Haushaltsplan vorgenommen werden mussten (die NRZ berichtete).
Die Kassenkredite blieben auf einem sehr hohen Niveau, die Nettoneuverschuldung steige weiter an und die Belastungen durch die Pandemie würden sich auch auf die zukünftigen „Haushalte nachhaltig negativ auswirken, beschreibt Kotzke die schwierige Finanzsituation der Stadt: „Generationengerechtigkeit sieht aus unserer Sicht anders aus und auch von einem funktionierenden Konnexitätsprinzip sind wir in der Realität leider weiterhin weit entfernt.“ Der CDU-Fraktionsvize machte deutlich, dass er dies nicht als Kritik an der Voerder Verwaltung verstanden wissen wolle. Bezogen auf die Einnahmeseite halten die Christdemokraten den Ansatz bei der Gewerbesteuer „weiterhin für deutlich zu optimistisch“ veranschlagt.
„Großes Fragezeichen“ bei Kosten für Schulraumentwicklung
Was die Ausgabeseite betrifft, sieht die CDU beispielsweise ein „großes Fragezeichen“ bei den prognostizierten Kosten für die Schulraumentwicklung. Diese halten sie für zu gering kalkuliert. Bei realistischer Betrachtungsweise würde der Haushalt aus Sicht der CDU-Fraktion am Ende nicht mit einem Überschuss, sondern mit einem Minus abschließen. Trotz ihrer großen Bauchschmerzen aber sehe sie auch ihre Verantwortung für diese Stadt. Verschiedene Maßnahmen müssten zeitnah an den Start gehen – was im Rahmen einer vorläufigen Haushaltsführung mit noch größeren Schwierigkeiten und Einschränkungen verbunden sei als ohnehin schon. Es werde allerhöchste Zeit, dass Voerde einen rechtskräftigen Haushalt bekomme. Deshalb werde die CDU-Fraktion diesen auch nicht ablehnen, sondern sich enthalten.
Die „nur noch etwa zehn Prozent“ der ursprünglich kalkulierten Jahresüberschüsse für 2022 und 2023 treiben auch die FDP um. Deren Fraktionschef Bernd Benninghoff schloss sich den Ausführungen seines CDU-Kollegen an, bestätigte dessen Einschätzung, dass der Etat „auf Kante genäht“ sei. Kritik äußerte der Liberale auch daran, dass in einer Zeit wie dieser mit vielen Unwägbarkeiten ein Haushalt gleich für zwei Jahre aufgestellt wird. Anders als die CDU-Fraktion konnte sich die FDP nicht zu einer Enthaltung durchringen, sondern lehnte den Doppelhaushalt ab.
Zustimmung von der SPD und WGV
Zustimmung für den von der Verwaltung vorgelegten Doppelhaushalt gab es von der SPD-Fraktion. Das Zahlenwerk sei in bewegten Zeiten und unter erschwerten Rahmenbedingungen aufgestellt worden. Obwohl der Etat formal ausgeglichen sei, zeige sich hier der dringende Handlungsbedarf in der Reform der Kommunalfinanzierung inklusive einer Investitionsoffensive und Altschuldenlösung, kommentiert SPD-Fraktionschef Uwe Goemann. Daran werde sich eine neue Landesregierung messen lassen müssen, nachdem die amtierende wichtige Reformen nicht angegangen sei.
Leider würden selbst initiierte deutliche strukturelle Verbesserungen schnell wieder durch andere Kostensteigerungen aufgefressen. Goemann nannte hier beispielhaft die „zusätzlich wieder eingeführte ÖPNV-Umlage“, mit der die Kommunen zu einem großen Anteil Coronaschäden der Niag kompensieren müssten, die selbst jedoch „über erhebliche Gewinnrücklagen“ verfüge.
Der hohe Wert der veranschlagten Kreditneuaufnahmen attestiere, dass die Stadt trotz der strukturellen Verbesserungen in den vergangenen Jahren „immer noch nicht auskömmlich finanziert sei, um die notwendigen Investitionen zu stemmen“. Es brauche „endlich eine Investitionsoffensive mit deutlich höheren pauschalen Investitionsmitteln vom Land, um unsere Aufgaben erfüllen“ und den entstandenen „Investitionsstau“ abbauen zu können, sagte Goemann weiter.
Christian Garden begründete das spätere „Ja“ der WGV-Fraktion damit, dass die Stadt einen belastbaren Haushalt benötige, um arbeiten zu können. Auch gehe es darum, den in Voerde lebenden Menschen „Planungssicherheit“ zu geben. Die WGV wisse, dass der Etat angesichts des Weltgeschehens unter einem „hohen Risiko“ stehe, konstatierte der Fraktionschef. Garden nannte in dem Zusammenhang das Thema „Energie-Embargo“ gegen Russland. Es kämen auf die Stadt Kosten zu, die noch nicht zu bemessen seien.
Bürgermeister fordert Finanzierungszusage für Flüchtlingskosten
Bevor die Politik, wie es Brauch ist, die Gelegenheit bekam, zum Etat Stellung zu beziehen, hatte Bürgermeister Dirk Haarmann das Wort ergriffen – ein ungewöhnlicher Schritt, wie er selbst konstatierte: Traditionell hätten der Kämmerer bei der Einbringung des Haushalts und die Fraktionschefs vor der Verabschiedung des Etats einige Monate später im Stadtrat das Wort.
Es sei ihm ein Anliegen, „aufgrund der besonderen Situation, in der wir uns befinden, einige Gedanken offen auszusprechen“, erklärte Haarmann: „Seit nunmehr fast 15 Jahren befinden wir uns in schwerer See – im Grunde genommen kann man auch sagen: im permanenten Krisenmodus.“ Nach zehn Jahren Haushaltssicherung habe es die Stadt endlich geschafft, positive Haushaltsergebnisse einzufahren und für die Zukunft wieder leichte Überschüsse im Etat einplanen. „Dabei konnten wir gerade in den letzten beiden Jahren von unserem Kassenkreditvolumen von maximal 57 Mio. Euro fast zehn Mio. Euro wieder abbauen – übrigens schon damals Geld, das wir dringend in unsere Infrastruktur hätten investieren müssen, wenn es haushaltsrechtlich möglich gewesen wäre.“ Dies sei neben der Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen in der Finanzierung durch Bund und Land nur durch eine strenge Aufgabenkritik und Ausgabendisziplin, aber auch durch die „schmerzhafte Erhöhung von Steuern und Beiträgen“ möglich gewesen.
Haarmann erinnerte an die in dieser Zeit zu meisternde „erste große Flüchtlingskrise“ in 2015 und 2016 und die Pandemie, die seit mehr als zwei Jahren das Leben aller verändert habe. Es schmerze sehr, dass „uns die Folgen“ von Corona „über Jahre belasten werden – auch wenn wir erfreulicherweise aktuell statt von erwarteten 25 Mio. Euro nun von rund zehn Mio. Euro sprechen können“. Haarmann fehlt eine echte finanzielle Stützung der Kommunen in NRW. Diese hätten – „abgesehen von einer einmaligen Erstattung von Gewerbesteuerausfällen, die dann noch für Voerde drei Mio. Euro zu niedrig ausfiel“ – keinerlei Entlastung erfahren.
Mehr als 150 Menschen aus der Ukraine sind in Voerde
In dieser Woche werde die Stadt bereits mehr als 150 Menschen aus der Ukraine Schutz und Betreuung bieten. Haarmann richtete noch einmal eine klare Forderung nach Düsseldorf: Das Mindeste, was er vom Land erwarte, sei eine „uneingeschränkte Finanzierungszusage für alle Kosten, die für die Bereitstellung von Wohnraum sowie die laufende Betreuung anfallen.“ Dies stehe leider noch aus. Das Land habe hier eine unmittelbare Zuständigkeit für die Kommunen und müsse sich seinerseits mit dem Bund darüber auseinandersetzen. Bei einer Videokonferenz mit der zuständigen Ministerin Ina Scharrenbach am Montag habe er auf seine diesbezüglichen Fragen leider noch keine Antwort erhalten. Es sei lediglich angekündigt, dass über eine Rechtsverordnung flexible Regeln für die Haushaltsausführung in Kraft gesetzt werden sollen.
„Uns bleibt also zunächst nichts anderes übrig, als pauschale Beträge einzuplanen – ausgeglichen in Ertrag und Aufwand im Ergebnishaushalt“, monierte Haarmann. Die Voerder Verwaltung hat, wie berichtet, die für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge benötigten Finanzmittel für Unterkunft und voraussichtliche Transferleistungen „kostenneutral“ im Etat eingestellt – das heißt unter Berücksichtigung einer „vollumfänglichen“ Erstattung durch Bund und Land. Große Hoffnung hat der Voerder Verwaltungschef hier offenkundig nicht: Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Kommunen in der Finanzierung pflichtiger Aufgaben beschleiche ihn „das mulmige Gefühl“, dass sie auch diesmal „auf einem nennenswerten Teil der Kosten sitzenbleiben werden“.