Mülheim. Das Halbzeit-Fazit zum Mülheimer Autorenfestival: Entlarvende Texte und großartige Schauspielkunst. Am 18. Mai geht der Wettbewerb weiter.
Die Mülheimer Theatertage stehen für die besten zeitgenössischen Autorinnen und Autoren, die meistgeschätzten Bühnen und großartige Schauspielkunst. Das ist auch bei der 49. Auflage so, kann man zur Halbzeit konstatieren. Mit Rainald Goetz‘ „Baracke“ (Deutsches Theater Berlin) und Felicia Zellers „Antrag auf größtmögliche Entfernung auf Gewalt“ vom Schauspiel Oberhausen (wir berichteten über beide Stücke) starteten zwei inspirierende Beiträge ins Rennen um den Dramatikpreis. Stark ging es jetzt weiter:
Das Thema Gewalt rückten schon die ersten zwei Stücke ins Licht. Mit „Laios“, dem dritten Beitrag, liefert Roland Schimmelpfenning die Überschreibung eines antiken Stoffes, der von blutrünstigen Exzessen in Theben berichtet. Der Text wirft die Frage auf, ob es dem Einzelnen möglich ist, aus einer immer wiederkehrenden leidvollen Geschichte auszubrechen und eigene Traumata zu überwinden. Es geht um Macht und Freiheit, Schicksal, Schuld, Verantwortung, Demokratie. Schimmelpfennig erzählt dazu die Geschichte von Laios, dem Vater des Ödipus, sie ist Teil zwei seiner Serie „Anthropolis“.
Schauspielerin Lina Beckmann wird vom Mülheimer Publikum gefeiert
Den Theatertext verliert der Zuschauer ob eines grandiosen Solos der Schauspielerin Lina Beckmann fast aus den Augen. Sie brilliert in einem multiperspektivischen Monolog mit schnellen Rollenwechseln, fasziniert durch ihr immenses körperliches Ausdrucksrepertoire, durch unterschiedlichste Sprechweisen und komisches Talent. Eine schlichte Inszenierung (Karin Beier, Schauspielhaus Hamburg) lässt der Darstellerin klug ihren Raum. Das Publikum feiert sie. Schimmelpfennigs Text beschert einen Abend, der schwer hätte werden können, aber leicht daherkommt. Durch Perspektivwechsel, Zeitsprünge, mehrere Sprachebenen, groteske Elemente ist er kurzweilig.
Ein hochinteressanter literarischer Versuch ist Ewe Benbeneks „Juices“, sehenswert dargeboten vom Nationaltheater Mannheim (Regie: Kamila Polivková). Der mehrschichtige Text ist nicht dokufiktional wie der von Zeller, sondern er arbeitet mit pointierten Motiven und Bildern. Drei Stimmen auf (oder unter) der Bühne erzählen vom Leben der Migrantinnen. Das Hauptmotiv: ein Kronleuchter, an dem die Stimmen hängen und herabzufallen drohen. Es steht für den Wunsch der Frauen, es zu schaffen im fremden Land – und von ihrer ständigen Angst vor dem Abrutschen. Benbenek nutzt verschiedene Sprachformen und Wiederholungen wirkungsvoll. Die BRD hat sich den Wohlstand nicht alleine erarbeitet, und „das Spiel mit billigen Arbeitskräften“ geht weiter, heißt es am Ende. Wo ist da Solidarität?
Die Mülheimer Theatertage gehen am 18. Mai weiter, Informationen dazu auf stuecke.de.
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