Düsseldorf. Kalle Somnitz‘ Kellerkino ist untrennbar mit der längsten Theke der Welt verbunden. Was Lars Eidinger und Julian Schnabel erlebten.
Vormittags um elf ist die Welt in der Altstadt noch in Ordnung. Wirte unterhalten sich über die Straße, Menschen flanieren vorbei, bleiben vor Schaufenstern stehen. Ein friedliches Stück Düsseldorf. Alles wirkt wie frisch geputzt. Dass das nicht immer so ist, ist eines der Dinge, die Kalle Somnitz mitunter Sorgen bereiten. Manche Kinobesucher scheuen den Weg durch das nächtliche Vergnügungsviertel mit seinem zweifelhaften Ruf: „Da muss man schon etwas Besonderes bieten.“
Aber da gibt es auch andere Gäste, die Somnitz in seinem Kellerkino in der Schneider-Wibbel-Gasse empfängt. So ging Regie-Legende Volker Schlöndorff kurzzeitig auf dem Weihnachtsmarkt verloren und Schauspieler Lars Eidinger bestand auf ein Steak an der Bolkerstraße, mit anschließendem Kneipenbummel. Freud und Leid, Arthouse und Altbier – Somnitz schönstes Kino „Cinema“ ist eben untrennbar mit der vermeintlich längsten Theke der Welt verbunden.
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Bis zum ersten Film des Tages ist noch Zeit, gerade stehen im Kinosaal mit seinen 192 Plätzen die Männer auf der Leiter. Der Vorhang will einfach nicht schließen, keine große Sache. Aber dank der Frickelei in zehn Metern Höhe mit Aufwand verbunden. Auch hierfür sind Fachleute rar geworden, seufzt Somnitz.
„Unser Aushängeschild“, sagt er, wenn er vom „Cinema“ spricht. Der Kino-Enthusiast betreibt die Metropol Düsseldorfer Filmkunst GmbH, zu der in der Stadt noch drei weitere Kinos gehören; das fünfte, das „Souterrain“, hat er im vergangenen Jahr dicht gemacht, weil sich der Betrieb nicht mehr gerechnet hat: eine Folge von Corona. Aber Somnitz hat an anderer Stelle ausgebaut und blickt mit Optimismus in die Zukunft: „Zurzeit gibt es viele starke Filme. Der Winter ist die beste Kinozeit.“ Und das Wichtigste: Das Stammpublikum hält ihm die Treue. „Und vielleicht wird der Strom ja wieder billiger.“
Kontakt und Karten
Das Cinema liegt in der Schneider-Wibbel-Gasse 5-7, 40213 Düsseldorf
Karten kosten 12 Euro (mit Gilde-Pass: 10 Euro), Popcorn gibt es ab vier Euro
Der Gilde-Pass bietet ein Jahr lang ermäßigten Eintritt in alle Düsseldorfer Filmkunstkinos. Er kostet zehn Euro, ermäßigt sechs Euro.
Infos/Kontakt: 0211 836 99 73, www.filmkunstkinos.de
Somnitz hängt an allen seinen Kinos, aber das „Cinema“ mit seinem Hauch von Nostalgie liegt ihm besonders am Herzen. Namhafte Film-Prominenz war bei Premieren und Erstaufführungen hier – darunter fünf Oscar-Gewinner. Neben Schlöndorff auch Caroline Link, Florian Henckel von Donnersmarck, Stefan Ruzowitzkyund István Szabó. Ai Weiwei hat das „Cinema“ besucht, Wim Wenders und die Toten Hosen, die für die vielen Selfie-Wünsche ihrer Fans alle hintereinander antreten ließen. Somnitz muss grinsen: So schufen sich die cleveren Punkrocker eine kolossale Präsenz in den sozialen Medien.
Volker Schlöndorff brachte dem „Cinema“ vom Weihnachtsmarkt einen Blechtrommler mit
Volker Schlöndorff brachte dem Kino vom Weihnachtsmarkt einen kleinen Blechtrommler mit. Und auch der kulinarische Irrlauf des US-amerikanischen Künstlers und Filmregisseurs Julian Schnabel ist Somnitz in Erinnerung geblieben. Er wollte vor der Premiere unbedingt fußläufig essen und landete in einem – naja: typischen Altstadtlokal. „War‘s ok?“, hat ihn Somnitz im Anschluss gefragt. Dessen Kommentar: „Nearby“ („Es war nah“).
Noch ist es ruhig im Foyer, das auch als Café dient. An der Wand ein 35-mm-Projektor – der alte Kartenspender vis-a-vis war bis vor Kurzem sogar noch in Betrieb. Aktuell zieht eine Ausstellung polnischer Filmplakate die Blicke auf sich, neue, künstlerische Ansichten von „Nosferatu“ und dem „Leben des Brian“. Platz, den Somnitz auch anderen Sammlern und Künstlern zur Verfügung stellt.
Theaterleiter Kalle Somnitz erzählt Geschichten vom Düsseldorfer „Cinema“
Kino-Chef Ronny Rubner überprüft die Abläufe, Kalle Somnitz hat Zeit für Geschichte(n). Die des „Cinemas“ beginnt mit dem Filmkaufmann Franz Röder, der mit der Schneider-Wibbel-Gasse im Herzen der Altstadt in den 50er-Jahren eine Verbindung zwischen Bolker- und Flingerstraße schuf. Heute ist sie die älteste Fußgängerzone der Stadt. Röder wollte neben Wohnungen und Kneipen unbedingt ein Filmtheater. Und so eröffnete 1957 das neue Lichtspielhaus als eines seiner „Bali“-Kinos. Geboten wurde das typische Programm der damaligen Bahnhofslichtspiele, Somnitz spricht von einer Mischung aus Karate, Western und Softsex a la „Unterm Dirndl wird gejodelt“.
Die Wende brachte das Jahr 1982, als der Filmspezialist Heinz Holzapfel übernahm. Die Geburtsstunde des Altstadt-Filmkunstkinos: Es ersetzte das „Cinema“, das wenige Schritte weiter abgerissen worden war. Künftig wurde das „Neue Cinema“ als Programmkino betrieben. Zur Eröffnung gab es „Kinder des Olymp“. Heute erinnert daran ein Wandplakat mit der Hauptfigur Pierrot.
Mitte der 90er gelangte das Cinema dann in den Besitz der Ufa. „Die konnten damit nichts anfangen und wussten gar nicht, was sie spielen sollten“, schildert Somnitz. Und so kamen er und sein ehemaliger Kompagnon Udo Heimansberg ins Spiel. Als in der Stadt Pläne vom Bau von fünf Multiplexen bekannt wurden, übernahmen sie auch das Cinema, bereit, mit der geballten Filmkunst-Kraft gegen die Mainstream-Riesen anzutreten. Seinerzeit wurden alle anspruchsvollen Filme im Düsseldorfer Bambi gezeigt, so dass Somnitz 1999 mit der US-Filmkomödie „Echt blond“ eröffnen musste.
Zu Vorpremieren in der Originalversion treffen sich die OmU-Fans im „Cinema“
Heute ist das „Cinema“ fest in Arthouse-Hand, geboten wird ein kleines feines Programm in Abstimmung mit Somnitz‘ anderen Theatern. Besonders beliebt sind die Vorpremieren in Originalversion, die immer montags laufen und bei denen sich Fangruppen regelmäßig treffen, schildert der Kino-Chef.
Am Schluss noch ein Blick in den großen Saal. Der Vorhang will immer noch nicht funktionieren. Somnitz bleibt gelassen. Et hätt noch immer jot jejange, sagt man im Rheinland. Oder auch: „Bis zur Nachmittagsvorstellung ist alles fertig.“