Bochum. 1957 eröffnete das Bahnhofskino als Zeitvertreib für Reisende. Heute steht es teils unter Denkmalschutz. Viele hetzen achtlos vorbei.

Die meisten Menschen hasten vorbei. Eine Armada der Rollkoffer, angetrieben von Durchsagen: Ankunft, Abfahrt, Verspätungen. Die Welt in Eile.

Aber es gibt auch andere Tage. An denen empfängt Sigrid Switala im ersten Stock überraschend Gäste, Neuankömmlinge oder Durchreisende mit Wartezeit, denen das Kleinod mitten im Bochumer Hauptbahnhof dann doch aufgefallen ist. Eine Oase der Ruhe, ein denkmalgeschützter Ort für die Kinokultur, versteckt zwischen Gleisen und Eingangshalle. Seit 1957 behauptet sich das Metropolis in der Hektik des modernen Verkehrs und ist damit eines der letzten Bahnhofskinos Deutschlands.

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Es sind die 50er-Jahre, überall sprießen Filmtheater aus dem Boden. In Bochum eröffnete die Direktion der Deutschen Bahn am 6. Juli 1957 das nunmehr 43. Kino der Stadt, ein Bahnhofskino, das wie die meisten „Bali“ („Bahnhofslichtspielhaus“) hieß – der allerletzte Schrei.

Theaterleiterin Sigrid Switala im Kinosaal des Metropolis. Früher hing hier eine Uhr, als Service für die Reisenden.
Theaterleiterin Sigrid Switala im Kinosaal des Metropolis. Früher hing hier eine Uhr, als Service für die Reisenden. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

Hier konnten sich Reisende die Wartezeit vertreiben. Mit einer Eintrittskarte durften sie beliebig lange bleiben. Zum Auftakt gab es „Krieg und Frieden“, Plakate mit Audrey Hepburn kündigten stolz den „Start des gewaltigsten Filmwerks aller Zeiten“ an. Fast fünf Wochen lief das Spektakel, danach wurde umgestellt auf ein Nonstop-Programm, ab neun Uhr früh. Bis eine Stunde nach Mitternacht gab’s Vorführungen, darunter die tägliche Wochenschau, ein Angebot auch für Menschen, die in den Fünfzigern noch keinen Fernseher besaßen.

Tickets und Programm

Das Metropolis liegt im Bochumer Hauptbahnhof, Adresse ist der Kurt-Schumacher-Platz 13, 44787 Bochum.

Karten kosten zwischen 8,50 (7 Euro ermäßigt) und 11 Euro (neue Filme, 10 Euro ermäßigt). Popcorn gibt es ab 3,50 Euro.

Kontakt: 0234 12263, alle Infos stehen im Internet: https://metropolis.bochumerkinos.de

Wer heute offenen Auges durch den Hauptbahnhof geht, entdeckt vielleicht zunächst das ehemalige Kassenhäuschen, ein kleines denkmalgeschütztes Bauwerk mit 50er-Jahre-Schwung, zwischen „Service-Point“ und Fastfoodkette; heute dient es als Werbeträger für das aktuelle Filmangebot. Der Standort hat Charme und Tradition. Ganz einfach macht er es Kino-Chefin Sigrid Switala aber nicht. Vor dem Ausgang sitzen Obdachlose, das stört manche Kinogäste. Und regelmäßig muss sie sich mit Vandalismus wie eingeschlagenen Scheiben herumschlagen. Switala sieht es gelassen: „Das ist eben ein Bahnhofskino. Man muss es nehmen, wie es ist.“

Unauffällig und bescheiden: Eingang des Metropolis in Bochum.
Unauffällig und bescheiden: Eingang des Metropolis in Bochum. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

Der Aufgang zum Theater führt dann auch in eine andere Welt. Die Marmortreppe und die Wände im Originalzustand der 50er-Jahre, der Blick fällt auf Plakate zum Fritz-Lang-Klassiker „Metropolis“, dem Kino-Namensgeber. Und spätestens oben im Foyer ist selbst der Bahnhofslärm Geschichte: Gemütlich ist es und stilvoll zugleich, rote Lederbänke, ein kleiner Tresen. Blickfang sind Schwarzweißbilder von Filmstars wie Sophia Loren und Kirk Douglas und wunderschöne alte Schaukästen. Türen mit echten „Bali“-Griffen führen in den Saal, der 196 Sitzplätze hat, was Switala genau weiß: Sie hat jede einzelne Nummer eigenhändig geschneidert und angebracht.

Rot und bequem sind die Sessel, dazu eine dunkelblaue Wandbespannung, edle Lampen, ein üppiger dunkelblauer Vorhang. Früher gab es hier sogar einen Gong, der bei Vorstellungsbeginn ertönte. Aber der wurde inzwischen ausgelagert. Ebenso wie der Lautsprecher für die Bahnhofsdurchsagen und die Riesenuhr an der Wand, ein Service für Menschen, die hier auf ihre Züge warteten.

In den 60er Jahren zeigte das Metropolis Western, Action und Soft-Sex

In den 60ern ändern sich die Kino-Zeiten. US-amerikanische Filme hielten Einzug, die es im Fernsehen nicht zu sehen gab; Western, Action, Soft-Sex. „Django“ wurde im Bali ebenso gezeigt wie Russ Meyers „Mudhoney“ und das Hongkong-Kino der Shaw Brothers („Das Schwert des gelben Tigers“). In den 70ern hatte das Fernsehen die Wohnzimmer endgültig erobert, viele Kinos mussten schließen. Und im Bali gingen B- und C-Filme über die Leinwand, erzählt Switala, darunter „Godzilla“ und „Kung Fu“: „Heute sind sie Klassiker, damals war das Schund“. 1985 wurde das kleine Theater in „Metropolis“ umbenannt, das Programm auf eine „gehaltvolle Auswahl aktueller Filmkunst“ umgestellt. Zur Eröffnung zeigte man „Heaven‘s Gate“.

Das alte Kassenhäuschen des Metropolis im Bochumer Hauptbahnhof ist ebenfalls denkmalgeschützt. Heute dient es als Werbeträger für aktuelle Filme.
Das alte Kassenhäuschen des Metropolis im Bochumer Hauptbahnhof ist ebenfalls denkmalgeschützt. Heute dient es als Werbeträger für aktuelle Filme. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

Heute setzt die Kino-Chefin neben Qualität vor allem auf Vielfalt. Im Wechsel gibt es aktuelle Filme und Klassiker zu sehen, mal im Tages-, mal im Wochenrhythmus. Beliebt sind Filmreihen, zuletzt sorgten die 80er für ein volles Haus, auch ein Warner Bros.-Programm hat Sigrid Switala schon gezeigt, zum 100. Jubiläum. Zurzeit organisiert sie ein 90er-Festival, das im Frühjahr starten soll. Regelmäßig wird der Saal für VHS- und Schulvorstellungen vermietet, auch Hochzeiten finden hier statt. Es gibt Übertragungen aus dem Shakespeare-Theater in London. Und einmal im Monat startet eine Klassiker-Überraschungsvorstellung: Dann zahlen Besucherinnen und Besucher, was ihnen der Film wert war.

Das Metropolis liegt Kinochefin Sigrid Switala besonders am Herzen

Switala betreibt in Bochum auch das Casablanca und das Capitol, aber das Metropolis liegt ihr besonders am Herzen. „Es ist mein Schatz!“ Und gleichzeitig ihr schwierigstes Kino. Es gibt nur einen Saal, und das ist unbeliebt bei Verleihern mit ihrem üppigen Filmangebot: Kleinere Kinos stehen da oft hinten an. Was hilft, ist ein eigenes Konzept. „Wir müssen uns immer wieder neu erfinden, etwas Besonderes anbieten.“ Die Auswahl ist erlesen, ein bis zwei Vorstellungen am Abend sind genug. Eine Rechnung, die aufgeht. Das Metropolis ist über die Stadtgrenzen hinaus beliebt. Und es hat ein treues Stammpublikum.

Die bequemen Kinosessel im Vorführungssaal. Die Platznummern hat Kinochefin Sigrid Switala selbst angefertigt.
Die bequemen Kinosessel im Vorführungssaal. Die Platznummern hat Kinochefin Sigrid Switala selbst angefertigt. © Funke Foto Services | Olaf Fuhrmann

2005 wurde das kleine Arthouse-Kino behutsam renoviert, heute sind Ton und Projektionstechnik digital, aber auch 35mm-Filmkopien können gezeigt werden, im vorigen Jahr etwa „Pulp Fiction“ zu Quentin Tarantinos 60. Geburtstag. Inzwischen riecht es im Foyer geradezu betörend nach Popcorn. Sigrid Switalas Mann ist dabei, in der Küche die Ration für den heutigen Abend zuzubereiten. Auch das ist das Metropolis: Moderne Zeiten, handgemacht.