Bochum. Theater-Chefin Nina Selig stemmt sich in Langendreer mit einem kleinen feinen Programm gegen die Konkurrenz. Leicht ist das nicht.
Der Sekt steht kalt, es gibt etwas zu feiern: Die Kneipe des Kulturbahnhofs Langendreer hat neue Pächter. Und das freut auch Nina Selig in ihrem Filmtheater eine Türe weiter. Ihre Gäste können künftig wieder vor oder nach der Vorstellung etwas essen, ein Pluspunkt, ein zusätzlicher Anreiz für einen Besuch. Im Endstation.Kino stemmt sich die 44-jährige Direktorin mit viel Einsatz gegen eine Zeit, die für kleinere Lichtspielhäuser zusehends schwieriger wird. „Immer mehr Menschen gehen in immer größere Produktionen – und immer weniger in kleinere Filme“, beobachtet sie. Dazu die starke Konkurrenz, auch innerhalb der Stadt: „Es ist ein schwieriges Business.“
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Dabei ist das Theater im äußersten Osten Bochums ein Wohlfühlort mit Kultstatus. 85 Plätze hat der kleine gemütliche Kinosaal und ein uriges Foyer zum Zusammensitzen. In einem Archiv im Keller lagern rund 150 Filme und 600 Trailer, die dringend auf eine Katalogisierung warten, etwa durch eine studentische Hilfskraft. Die Treppen rauf, im Vorführraum, stehen neben dem modernen Digitalprojektor auch alte schwere Maschinen für 35mm- und 16mm-Kopien bereit. Nina Selig zeigt einen Umrolltisch, an dem früher Filmrollen umgespult wurden. Inzwischen funktioniert alles via Laptop. „Das war mal sehr viel aufwändiger. Aber auch romantischer.“
Heute ist spielfrei, Vorstellungen gehen seit Frühjahr 2023 nur noch von Donnerstag bis Sonntag über die Leinwand. Denn richtig entspannt hat sich die Lage seit Corona nicht. Die Auslastung könnte besser sein. Selig spricht von einem Kulturwandel. Beschleunigt durch die Pandemie wurden Streamingdienste immer populärer, „das kann man nicht mehr rückgängig machen.“ Sie rechnet in naher Zukunft mit einem bundesweiten Kinosterben und appelliert an die Politik, dagegen anzugehen. Ein Programmkinostatus mit festen staatlichen Zuschüssen könnte dabei helfen, ein Angebot jenseits des Mainstreams zu erhalten, die Filmkultur zu bewahren. Branchenvertreter wie die AG Kino-Gilde fordern das schon länger. Bisher basiert die Förderung überwiegend auf Geldspritzen wie etwa Programmpreisen.
Karten und Kontakt
Das Endstation.Kino liegt im Kulturbahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 44894 Bochum.
Karten kosten 10 Euro (ermäßigt 8,50 Euro), Kinder zahlen fünf Euro Eintritt. Popcorn (abgepackt) kostet 4,50 Euro.
Alle Infos unter Tel. 0234 6871610. Im Internet: www.endstation-kino.de
Umso mehr Wert legt Selig auf Filmbildung, mit der sie das Publikum von Morgen für das Kino begeistern will. In Filmclubs entstehen Kurzfilmprogramme. Es gibt spezielle Screenings für autistische Kinder, die leiser, werbungsfrei und unaufdringlich sind. Regelmäßig finden Schulvorstellungen statt. Außerdem ist das Theaterteam zu Gast im Unterricht, mit Vermittlungskoffern, in denen Objekte des frühen Kinos stecken. Etwa ein Thaumatrop, eine Zauber-Scheibe, die Bilder in Bewegung versetzt. „So erreichen wir viele Kinder, die sonst mit Kultur nichts zu tun haben.“
Workshops und Diskussionen sind im Endstation.Kino gut besucht
Auf ein eigenes Profil wird es künftig ankommen. Davon ist die Kinochefin überzeugt. Im vorigen Jahr besuchten Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet eine albanische Filmreihe. Workshops und Diskussionen laufen gut. „Wir müssen uns spezialisieren und das am besten durch Sonderveranstaltungen, optimal mit der Hilfe von Kooperationspartnern“. Hierfür bietet der Kulturbahnhof Langendreer gute Voraussetzungen. In den Räumen kommen Initiativen wie Amnesty International und die Flüchtlingshilfe zusammen.
Soziokultureller Treffpunkt ist das alte Jugendstil-Gebäude seit den 80er-Jahren. 1907 und 1908 wurde es von der Preußischen Landeseisenbahn errichtet – als einer der größten Umsteigebahnhöfe Deutschlands! 1984 hatte er ausgedient. Damals setzte sich eine Bürgerinitiative gegen den Abriss ein und sorgte für die Renovierung. 1986 wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt. Heute liegt es auf der Route Industriekultur und beherbergt eines der ältesten Kulturzentren Nordrhein-Westfalens.
Bei der Eröffnung spielte 1988 der noch recht unbekannte Helge Schneider Klavier
Ein Programmkino eröffnete im September 1988. Der erste Film: ein Stummfilmklassiker, „Der General“ mit Buster Keaton von 1926. Am Klavier saß der damals noch recht unbekannte Helge Schneider. Gezeigt wurde fortan „alles außer Mainstream“: Filmreihen, Retrospektiven, vieles in der Originalversion. Anfangs gehörte das Kino zum Verein Bahnhof Langendreer, seit 2012 ist es ein eigener Betrieb.
Bis heute stehen Spielfilme und Dokus aus aller Welt auf dem Monatsprogramm, OmU-Fans werden immer noch bestens bedient. Regelmäßig sind Filmexperten zu Gast. Und jedes Jahr im November gastiert das Festival „Blicke“in Langendreer. Ein Treffpunkt für Filmemacher aus der gesamten Region, die neue Beiträge über das Ruhrgebiet vorstellen.
Nina Selig hat hier 2001 als Studentin angefangen („Ich arbeite länger in diesem Kino, als ich verheiratet bin“). Chefin ist sie seit zehn Jahren. In der Stadt erfährt sie guten Rückhalt. Viele Bochumer haben in den letzten JahrenStuhlpatenschaften für die neuen Kinosesselübernommen, darunter Politiker, Stammgäste, Kitagruppen, Kollegen. Und so bleibt Nina Selig optimistisch. „Das Kino und ich sind Lebensabschnittsgefährten“, sagt sie. „Das ist ein Schatz, den ich erhalten und durchbringen muss. Wir machen das hier schon so lange und haben es immer hinbekommen.“ Der Einsatz lohnt sich allemal:. „Kino ist echt eine Wundermaschine. Wir schaffen Momente, die nirgendwo anders möglich sind!“